Wir dürfen die leise Hoffnung hegen, dass das, was wir in diesem Pandemie-Tunnel sehen, das Licht am anderen Ende ist.
Der Hauptgrund für den leisen Optimismus sind die Impfungen. Ich habe keinen Zweifel daran, dass wir ohne die grandiose Leistung der Biotech-Unternehmen noch lange an dieser Seuche herumgedoktert hätten. Darum freue ich mich, dass der technische Fortschritt wieder einmal gezeigt hat, wozu er in der Lage ist.
Ich bin in einer Zeit gross geworden, in der Fortschritt ein Schimpfwort war. Das war in den 1980er-Jahren, in denen man bei diesem Stichwort daran dachte, wie Computern zu wegrationalisierten Arbeitsplätzen führen.
Tschernobyl und Waldsterben
Man dachte an das vergiftete Geschenk der Atomspaltung, die uns nicht wie erhofft unbeschränkte Mengen an sauberer Energie, sondern Tschernobyl und die atomare Aufrüstung gebracht hatte. Man dachte an ungebremstes Wachstum, Luftverpestung und Waldsterben.
Und da war das Fernsehen. Ich erinnere mich Neil Postmans kulturpessimistische Abrechnung «Wir amüsieren uns zu Tode», die wir im Gymnasium besprochen und die meine Lehrerin zur Erkenntnis brachte, dass Technologien niemals neutral sind, sondern ein inhärentes Missbrauchspotenzial haben.
In jeder Technologie könnte der Kern des Verderbens schlummern
Mit dieser Erkenntnis war der Fortschrittsglaube vom Tisch: Denn wer würde noch naiv an die Segnungen der Technik und der Wissenschaft glauben wollen, wenn man bei jeder Errungenschaft davon ausgehen musste, dass in ihr ein böser Kern schlummert, den die Menschheit noch nicht erkannt hat, der aber unweigerlich zu deren Unglück führen würde?
Wer da es da noch wagte, Fortschrittsglauben zum Ausdruck zu bringen, war geistig in den 1950er stecken geblieben.
Dieser Fortschrittsglaube ist seitdem nicht zurückgekehrt, obwohl es mit dem Internet, dem Smartphone und der künstlichen Intelligenz wahrlich drei hervorragende Gründe dafür gegeben hätte.
Alles ist böse – irgendwie
Aber wir haben den Schock der Erkenntnis noch nicht verdaut, dass man eine Entdeckung nicht ungeschehen machen kann, selbst wenn die Menschheit keine Ahnung hat, wie sie mit ihr umgehen sollte: Die Atombombe hat uns zu dieser Einsicht gebracht, und wir hatten seitdem mehrfach Gelegenheit, sie bestätigt zu sehen – zum Beispiel angesichts der Gentechnologie, dem Genome Editing und solcher Dinge.
Heute verlaufen die Entwicklungszyklen so schnell, dass wir die negativen Auswirkungen eines Technologiesprungs immer schon zu sehen bekommen, noch bevor wir überhaupt in Euphorie ausbrechen konnten. Ein eindrückliches Beispiel ist die künstliche Intelligenz: Vor der haben uns die Sciencefiction-Autoren schon gewarnt, bevor sie überhaupt in ernsthafter Form existiert hat.
Alles nachvollziehbar. Aber haben wir es nicht vielleicht ein bisschen zu weit getrieben? Die sogenannte Impfskepsis scheint mir ein deutliches Indiz dafür zu sein, dass dem so ist. Wieso freuen wir uns nicht darüber, dass mehrere Impfstoffe gegen das Coronavirus entwickelt werden konnten, und das in viel kürzerer Zeit erreicht wurde, als man am Anfang der Pandemie für möglich gehalten hat?
Selbst notorischen Bedenkenträger müssten die positive Bilanz einer Impfung anerkennen
Impfungen wären ein Feld, in dem selbst notorische Bedenkenträger gegenüber des technischen Fortschritts anerkennen müssten, dass die Vorteile die Risiken derartig in den Schatten stellen, dass wir frei nach Neil Postman zum Schluss kommen müssten, dass diese Technologie einen guten Kern hat – nicht nur bei Corona, sondern auch bei den Pocken, der Kinderlähmung, Masern, Diphtherie.
Aber nein – stattdessen lassen wir uns von den Bedenkenträgern ins Bockshorn jagen. Dabei könnten wir es auch einfach geniessen, dass wir uns impfen lassen können. Ich würde nicht so weit gehen, von Schmerzlust zu sprechen. Aber empfand meine beiden Besuche im Impfzentrum Winterthur als positives Erlebnis: Zwei Pikse, die entspannte Sommerferien versprechen. Das ist doch was!
Und nebenbei bemerkt: Auch wenn ich als Journalist zu den professionellen Haar-in-der-Suppe-Sucher-und-Finder gehöre, muss ich anerkennend festhalten, dass das Impfen im Impfzentrum wie am Schnürchen ablief, perfekt organisiert war und meine Anerkennung verdient. Darum können mir auch all die Deppen gestohlen bleiben, die mir prophezeien, ich werde spätestens im Herbst tot umfallen, weil dann eine bislang übersehene Langzeit-Nebenwirkung der Impfung mein Leben fordert.
Ein notorischer Optimist will die Welt retten
Zurück zum Thema und zur Frage, ob wir nicht mit mehr Optimismus an die Herausforderungen unserer Zeit herangehen sollten.
Zu der hat Franz Schätzing, seines Zeichens Ex-Werber, Schriftsteller und unerschütterlicher Optimist neulich mit einem beeindruckenden Pamphlet Stellung genommen. Das heisst «Was, wenn wir einfach die Welt retten?» und ist in Buch- und Hörbuch-Form erhältlich. Letzteres wird von Schätzing selbst gelesen.
Das Buch ist ein Sachbuch, weist bei näherer Betrachtung aber einen interessanten Genremix auf: Es ist zwischendurch mal Exposé zu einer dystopischen Fernsehsendung, dann Thriller, zwischendurch Selbsthilfeliteratur mit konkreten Handlungsanweisungen, dann wieder eine Schmähschrift, die mit Leidenschaft und völlig zu Recht auf den Vorsitzenden der deutschen FDP, Christian Lindner, eindrischt. Und es ist ein fulminantes Werk, dass mir deutlich viel mehr Spass gemacht hat als «Der neunte Arm des Oktopus» von Dirk Rossmann (siehe Weltrettung aus dem Pulp-Fiction-Regal).
Schätzing geht das Thema systematisch an: Er erklärt erst, welche Gefahren der Menschheit insgesamt drohen und welche Rolle die Klimakatastrophe einnimmt. Dann erklärt er die Grundlagen des Treibhauseffekts, malt das Worst-Case-Szenario an die Wand, geht auf die Ursachen und die Wirkungen ein, stellt die Mitspieler in diesem Drama (Verursacher, Aktivisten, Politiker und Verschwörungstheoretiker, Leugner und Verweigerer) vor und wendet sich dann den Handlungsmöglichkeiten zu.
Er spannt den Bogen bis zum Anschlag. Aber er behält recht.
Er zeigt nicht nur die Handlungsmöglichkeiten im Kleinen und im Alltag, sondern auch die Möglichkeiten von grünen Investments, Veränderungen bei der Mobilität und wird dann immer grösser und futuristischer: Das Ende ist das Best-Case-Szenario, in dem der Fortschritt die Katastrophe abwenden konnte – der jedoch nur gelingen konnte, weil wir gewillt waren, über unseren Schatten zu springen und unsere Gewohnheiten zu ändern. Aber ohne dass wir deswegen darben und wieder in den Höhlen wohnen müssten.
Fazit: Auch wenn Schätzing den Bogen manchmal spannt und für nüchterne Gemüter sicherlich auch überspannt, habe ich das Buch gern gehört: Es gibt einen hervorragenden Überblick über die Fakten und hat mich darin bekräftigt, dass es höchste Zeit ist, in die Kraft der Menschheit zu vertrauen, sich neu zu erfinden. Denn was machbar ist, sollten tatsächlich nicht die Bedenkenträger bestimmen, sondern die Leute, die gute Zukunft für uns alle anstreben – so anders die auch aussehen mag.
Beitragsbild: Bitte schön! (Cottonbro, Pexels-Lizenz)