Ein Podcaster zeigt Elon den Vogel

Eine Kurzkritik des Podcasts «Flipping the Bird» zu Elon Musks Twitter-Über­nahme – und eine kleine Analyse, wie das so­ziale Netz­werk heute dasteht.

Der Titel sagt schon fast alles: Der Podcast Flipping the Bird: Elon vs. Twitter kaut das ganze Drama um die Übernahme des Kurznachrichtendienstes durch einen exzentrischen Milliardär nochmals durch (RSS, iTunes, Spotify).

Die naheliegende Frage lautet: Warum sollte man sich das antun wollen? Ich habe es aus beruflichen Gründen getan: Die Handlung hat inzwischen so viele Wendungen genommen und eine derartige Zahl an Tiefpunkten erreicht, dass man sich auch als aufmerksamer Tech-Journi fragt, ob man sie alle mitbekommen hat.

Er musste viele Federn lassen.

Die Quintessenz nach dem Podcast ist: Ich habe nichts Wesentliches verpasst. Der Podcast verrät mir nichts, was ich nicht schon gewusst hätte. Aber trotzdem ist es keine Zeitverschwendung, diese rasante, amüsante und fundierte Zusammenfassung anzuhören. Sie stammt von David Brown, von dem ich vor drei Jahren schon einmal zwei Wirtschafts-Podcasts vorgestellt habe

Der Mann zeichnet sich durch eine burschikose, zupackende Erzählweise aus, bei der weder die Unterhaltung noch die Faktenvermittlung zu kurz kommen. Er hat ein scharfes Auge auf die Details und auch die Produktion des routinierten Podcast-Verlags Wondery lässt nichts zu wünschen übrig.

Gefeuerte Mitarbeiter, Kritiker und Apologeten

Es gibt viele O-Töne aus Twitter-Spaces mit Elon zu hören. Es kommen auch eine Tech-Journalistin, diverse ehemalige Mitarbeiterinnen aus dem Konzern und Elon-Verteidiger wie Jason Calacanis zu Wort, der sich in seinem Podcast für den neuen Inhaber in die Bresche geworfen hat, aber nach einem der Tiefpunkte – nämlich dem Theater um Elonjet und dem nachfolgenden Bann einiger Journalisten wegen angeblichem Doxxing – auf Distanz ging. Diese unrühmliche Episode wird in der Folge Assassination Coordinates behandelt.

Ich mag an dieser Stelle voreilig urteilen, aber dennoch ist mein Eindruck, dass in den letzten Wochen eine gewisse Ruhe eingekehrt ist. Das hat damit zu tun, dass Linda Yaccarino als neue Chefin berufen worden ist und Elon sich tatsächlich mit der Idee anzufreunden scheint, ins zweite Glied zurückzutreten. Die erwähnte Episode des Podcasts führt einige Belege dafür an, dass all die Querelen auch an Elon nicht spurlos vorbeigegangen sind. Wie es aussieht, wenn er wieder aufgetankt hat und neue Ideen entwickelt, wissen wir allerdings nicht – ich traue diesem neuen Frieden daher nicht.

Zeit für eine Zwischenbilanz?

Es ist daher wahrscheinlich zu früh für ein Fazit, aber zumindest eine Art Zwischenbilanz sollte erlaubt sein. Für mich hat Twitter sehr gelitten. Es macht mich traurig, dass mein ehemals liebstes soziales Netzwerk derart den Bach heruntergegangen ist. Dass Musk mit Rechtsaussen-Republikaner Ron DeSantis gemeinsame Sache macht, um dessen Präsidentschaftskandidatur in einem gemeinsamen Twitter-Space ankündigt, ist völlig unhaltbar.

Natürlich dürfen Politiker solche sozialen Netzwerke für ihre eigenen Zwecke nutzen, solange sie sich in den Grenzen des Gesetzes bewegen. Aber der Besitzer eines solchen Medienunternehmens sollte ihnen dabei nicht das Händchen halten. Dass in seiner Rolle eine gewisse Neutralität gefordert ist, hat Elon nicht begriffen, und er wird es in diesem Leben auch nicht mehr begreifen.

«Für dich» ist eine ziemliche Kloake

Am neuen Twitter nervt mich am meisten die Für dich-Ansicht, in die ich immer wieder unabsichtlich hineinstolpere. Dort begegne ich ab und zu einem interessanten Tweet, aber hauptsächlich wird dort die Reichweite von Leuten verstärkt, die sich nicht durch differenzierte Argumentation, sondern durch Polemik, Aufwiegelung und teils auch Hetze auszeichnen. Das ist nicht der Marktplatz der Ideen, den Elon versprochen hat, sondern eine Arena der Spaltung, der Polarisierung, der Kulturkämpfe, Identitätspolitik und des Hasses. Damit hat Elon Musk nicht nur nichts aus den Fehlern von Facebook gelernt, er hat auch alle seine schönen Sonntagsreden Lügen gestraft.

Ich werde deswegen Twitter nicht den Rücken kehren, wie ich es angeblich konsequenterweise tun müsste. Es gibt dort auch jetzt noch gute Leute, die, wie ich, Gründe haben, zu bleiben. Es kann sein, dass Twitter in der Bedeutungslosigkeit versinken würden, wenn sie alle weg wären. Vielleicht auch nicht. Und wollen wir uns einfach so geschlagen geben?

Eines bleibt jedenfalls: Die Firmengeschichte von Twitter ist ein Drama, wie es nur das Leben schreibt – und Elon Musk ein komisch-tragischer Bösewicht, wie ihn sich kaum ein Autor hätte ausdenken können.

Beitragsbild: Es tut mir leid, aber «Flipping the bird» heisst in Englisch, anders als auf Deutsch, leider tatsächlich, dass der Stinkefinger erhoben wird (Engin Akyurt, Unsplash-Lizenz).

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