Ein rankes und schlakes Bildbearbeitungsprogramm

Von Photodemon könnte Adobe lernen, wie man kompakte Software programmiert: Diese Freeware-App ist nur 15 MB gross und hat trotzdem alles, was für grundlegende Foto-Bearbeitung nötig ist – inklusive Ebenen-Funktionen.

Man könnte den Eindruck bekommen, dass die klassische Free- und Shareware-Szene tot ist – umgebracht durch die grossen Tech-Konzerne Apple, Google und Microsoft, die mit ihren App-Stores ein neues Distributions-Paradigma geschaffen haben.

Dieser Eindruck mag in der Tendenz richtig sein. Doch es gibt zum Glück Ausnahmen, die uns davon überzeugen, dass die alternative und unabhängige Softwareszene noch Lebenszeichen zeigt.

Eine solche Ausnahme ist Photodemon: Das ist ein schnelles Bildbearbeitungsprogramm, das gratis und franko zu haben ist, unter der BSD-Lizenz veröffentlicht wird und jene Stärken pflegt, die wir bei den kommerziellen Programmen schmerzlich vermissen: Sie funktioniert ohne Cloud-Anbindung und erfordert keine Gigabyte-grossen Downloads. Die ZIP-Datei, in der Photodemon steckt, ist 14,3 MB gross.

Photoshop ist 88-mal so gross

Zum Vergleich: Photoshop bringt es auf 1,26 GB (siehe hier). Und natürlich will Photoshop installiert werden, woraufhin diverse Dienste und Hintergrundprozesse aktiv werden. Photodemon hingegen will sich nicht ins System eingraben: Die Software funktioniert von Haus aus portabel, sodass wir bloss die ZIP-Datei entpacken und auf die Exe-Datei klicken müssen, um sie zu verwenden.

Und ja, natürlich: Im direkten Vergleich des Funktionsumfangs gewinnt Photoshop haushoch. Es steckt ein Vielfaches an Entwicklerleistung in dieser Software. Soweit ich sehe, ist Photodemon hauptsächlich das Werk eines einzelnen Mannes namens Tanner Helland, der seit ungefähr zehn Jahren zusammen mit einigen Mitwirkenden an diesem Programm arbeitet. Im August 2012 – also vor fast genau zehn Jahren – hat er das Programm in seinem Blog angekündigt:

Ich habe zwölf Jahre lang an einem fortschrittlichen Bildbearbeitungsprogramm gearbeitet. (Denken Sie an Photoshop, aber ohne die Malwerkzeuge auf der Leinwand.) Die Software ist jetzt unter dem Namen Photodemon erhältlich. Sie ist schnell, kostenlos, quelloffen (BSD-lizenziert) und bietet eine Reihe nützlicher Funktionen, darunter Makroaufnahmen und automatische Stapel-Verarbeitung.

Mit anderen Worten: Das hier ist auch eine Geschichte von David (Tanner Helland) gegen Goliath (Adobe). Ich habe rein aus Spass versucht herauszufinden, wie viele Leute bei Adobe an Photoshop arbeiten. Ich habe keine Zahl gefunden – aber falls jemand einen Tipp hat, würde ich mich sehr darüber freuen.

Manches fehlt – aber vieles ist vorhanden

Photodemon ist keine Schönheit, aber für Bildbearbeitungs-Profis sofort schlüssig zu verwenden.

Aber klar, wir wissen von der 90-90-Regel. Sie besagt, dass es kleine Details sind, die den Löwenanteil des Entwicklungsaufwands beanspruchen. Im Fall von Adobe dürfte ein grosser Anteil der Arbeit in die Anpassung an die diversen Betriebssysteme und die unterschiedliche Hardware fliessen – und ins Drumherum wie Farbmanagement, Schnittstellen zur Creative Suite und anderen Adobe-Anwendungen, und so weiter.

In Photodemon gibt es vieles davon nicht. Beim Farbmanagement können wir zwar wählen, welches Profil für die Anzeige genutzt werden soll, doch das war es dann auch schon. Und bei der Performance ist ein über Jahre optimiertes Produkt natürlich überlegen.

Das heisst aber nicht, dass Photodemon nicht nützlich wäre. Im Gegenteil: Diese Software ist für viele Bildbearbeitungsarbeiten bestens gerüstet – die wir mit diesem schnellen Editor erledigt haben, während Photoshop noch immer den Splash-Screen anzeigt.

Im Effeke-Menü finden sich Perlen wie der Droste-Effekt.

Die Oberfläche sieht altbacken aus, erfüllt aber den Zweck und gibt eine gute Vorstellung des Funktionsumfangs: Es gibt …

  • sechs Malwerkzeuge (Stift, Pinsel, Radierer, Klonstempel, Füllwerkzeug/Farbeimer und Verlauf)
  • fünf Auswahlwerkzeuge (Rechteck, Ellipse, Polygon, Lasso/Freiform und Zauberstab),
  • fünf Layout-Werkzeuge (Verschiebe-Hand), Lupe, Ebenen-Transformation, Farb-Pipette und Messwerkzeug),
  • zwei Textwerkzeuge,
  • plus Datei-Befehle und Knöpfe fürs Rückgängigmachen und Wiederholen.

Wenn wir ein Werkzeug ausgewählt haben, erscheinen am oberen Rand die Einstellungsmöglichkeiten. Beim Zauberstab die Toleranz, Optionen zur Kante (Keine, Mit Antialiasing, Mit weicher Kante) und zum Verhalten zu einer bestehenden Auswahl (Neue Auswahl, Zur Auswahl addieren, Kombinieren, Mit Auswahl überschneiden).

Es funktioniert, wie es sollte

Das ist zweckdienlich, und ein Test mit besagtem Zauberstab-Werkzeug zeigt, dass es genau das tut, was es sollte: Es markiert Objekte anhand der Kontrastunterschiede, ohne dass wir von Hand eine Auswahl aufziehen müssten.

Das funktioniert bei geeigneten Motiven ausgezeichnet. Es zeigt auch den Unterschied zu Photoshop: Dort gibt es ausgeklügelte Methoden, die Motive nicht nur anhand von Kontrasten, sondern mithilfe maschinellem Lernen und einem gewissen Bildverständnis freistellen. Das ist für Leute, die Bildbearbeitung professionell betreiben, eine unverzichtbare Hilfe. Andererseits gibt es diese Funktion inzwischen gratis beim iPhone, sodass wir uns bei Bedarf auch so behelfen können. Für einfachere Aufgaben tut es Photodemon allemal.

Am rechten Rand findet sich eine Leiste mit Suchfeld, über die wir Befehle durch Texteingabe finden und aufrufen, Farbfelder und Einstellungen zu den Ebenen.

Ebenen inklusive

Die Überblendmodi für Ebenen: Manche kennen wir von Photoshop, andere muss wir unbedingt mal ausprobieren.

Damit wären wir bei einer Stärke von Photodemon, die ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal z.B. zu dem vielseitigen und schnellen Bildbeterachtungsprogramm IrfanView (Das eierlegende Wollmilchsau-Grafikprogramm) darstellt: Dieses Programm kann mit Ebenen umgehen, was für ausgeklügelte Bildbearbeitung und -kompositionen unverzichtbar ist.

Photodemon hält für Ebenen die wesentlichen Optionen bereit: Deckkraft (hier Opazität genannt), Füllmethode (Abdunkeln, Multiplizieren, Farbig nachbelichten, Linear nachbelichten, Aufhellen, Negativ multiplizieren, Farbig abwedeln, Linear abwedeln, Ineinanderkopieren/Überlagern, Weiches Licht, Hartes Licht, Strahlendes Licht, Lineares Licht, Lichtpunkt, Hart mischen und Differenz), Alphakanal (Übernehmen, Gesperrt), plus die Möglichkeit, Ebenen auszublenden.

Auch hier zeigt sich: Photodemon hält die grundlegenden und zwingend notwendigen Funktionen bereit, doch Photoshop hat im Vergleich nützliche Zusatzfunktionen wie Ebenenstile oder Ebenenmasken. Aber wie oben schon erwähnt, hängt es von der Nutzung ab, ob das den monatlichen Abopreis gegenüber der Gratisnutzung rechtfertigt.

An dieser Stelle können wir als Fazit festhalten, dass Photodemon ein Bildbearbeitungsprogramm ist, das nicht alles tut, was möglich wäre – das jedoch einen soliden Grundstock an Funktionen anzubieten hat. Und Photodemon grenzt sich klar von der Konkurrenz ab: Wer mehr braucht und sich in der Adobe-Welt zu Hause fühlt, greift zu Photoshop, oder allenfalls zu Photoshop Elements. Wenn ein grösserer Funktionsumfang benötigt wird, der Adobe-Aspekt aber vernachlässigbar ist, dann kommt Gimp zum Zug (Gimp und Photoshop Elements sind eine echte Alternative).

Gradationskurve und Tonwertkorrektur

Abschliessend ein paar Hinweise auf weitere Stärken: Photodemon hat im Menü unter Anpassungen auch einige, von Photoshop bestens bekannte Bildbearbeitungswerkzeuge zu bieten, u.a. die Gradationskurve (Kurven) und die Tonwertkorrektur, ebenso Schatten und Glanzlichter, Lebendigkeit und Weissabgleich, Einstellungen zu den Kanälen, inklusive Kanalmixer. Und es gibt zwei automatische «Mach mich schöner»-Befehle, nämlich Automatisch korrigieren und Automatisch verbessern.

Die Gradationskurve mit Vorschau: Alles, was man braucht.

Im Menü Effekte finden sich ähnliche Befehle wie bei Photoshop unter Filter. Nebenbei bemerkt, können wir auch eigene Filter einrichten und Photoshop-Plugins (mit Endung .8bf) verwenden.

Stapelverarbeitung und Makros

Zu den Stärken des Programms gehören die Automatisierungsmöglichkeiten. Wir finden einerseits eine Stapelverarbeitung, mit der sich mehrere Bilder aufs Mal durch die Mangel drehen lassen. Sie steckt unter Datei > Batch-Operationen. Andererseits existiert unter Extras > Makros erstellen ein Makrorekorder zum Aufzeichnen von Befehlsabläufen. Er dürfte ähnlich wie die Aktionen bei Photoshop funktionieren – aber ich hatte bislang keine Gelegenheit, ihn ausführlich zu testen.

Schliesslich seien hier auch die Funktionen für animierte Grafiken erwähnt, die über Bild > Animation zugänglich sind.

Beitragsbild: Nicht auszudenken, wenn Photoshop auf diese Waage steigen würde (Ketut Subiyanto, Pexels-Lizenz).

One thought on “Ein rankes und schlakes Bildbearbeitungsprogramm

  1. Guter Tipp, danke! Habe noch nie davon gehört und werde es gerne einmal anschauen. Bis jetzt habe ich den Leuten immer IrfanView (zum Betrachten, Konvertieren und Zuschneiden) und Paint.NET für komplexere Bearbeitungen, auch mit Ebenen, empfohlen.

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