Google lässt ein Relikt aus der Vergangenheit sterben

Die Tech-Nachricht der Woche ist ohne Zweifel die Meldung, dass die Google Toolbar das Zeitliche gesegnet hat. Wir blicken zurück auf eine Zeit, für die sich Microsoft so richtig schämen sollte.

Es ist nicht zu übersehen, dass in der digitalen Welt die feiertagsbedingte Newsflaute eingesetzt hat. Wären da nicht ein paar Sicherheitsprobleme – Log4j und die Ausspähversuche bei Facebook, über die gerade informiert wird –, dann könnten wir Digitaljournalisten uns in den Winterschlaf begeben.

Extra für euch habe ich die Google Toolbar noch einmal installiert.

Gäbe es nicht Perlen wie diese Meldung hier: Nach 21 Jahren zieht Google die Google Toolbar aus dem Verkehr, berichtete «Ars Technica» am Wochenende. Irgendjemandem ist nämlich aufgefallen, dass es unter toolbar.google.com nun heisst, die Toolbar stehe sei mehr zur Installation verfügbar und man solle doch gefälligst Google Chrome installieren.

Aus nostalgischen Gründen hat «Ars Technica»-Schreiber Ron Amadeo Toolbar noch einmal installiert – wo er sie auch immer noch einmal auftreiben konnte. (Vielleicht hier von «Computerbild», wo es sie noch immer gibt?)

Er war verblüfft, dass die Toolbar noch nichts vom Ende von Google+ 2019 erfahren hat und auch sonst nur noch ein Schatten ihrer selbst war. Trotzdem, irgendwie war die Erkenntnis dieses Experiments nicht sonderlich überraschend:

Die Toolbar im Jahr 2021: Im Grund funktionierte nichts mehr ausser der Suche und das Einloggen. Es war Zeit, die sie aus ihrem Elend zu erlösen. Schockierend, wie lange sie sich gehalten hat.

Deutlich länger als die Google Wave, wie ein Zyniker auf Twitter meinte.

Im Jahr 2000 war Google ein Nobody

Viele alte Bekannte: Google+, Hotmail und Myspace.

Das Ende der Google Toolbar macht noch einmal deutlich, wie sehr sich die Nutzung des Web in den letzten zwei Jahrzehnten verändert hat. Vor zwanzig Jahren war der Internet Explorer der dominante Browser. Google war ein relativ unbedeutendes Unternehmen, das nicht einmal davon hätte träumen können, Microsoft mit einem eigenen Browser anzugreifen.

Doch eine Möglichkeit hatte Microsoft der Konkurrenz selbst eröffnet: nämlich die Unterwanderung des Browsers.

Wer damals schon Internetnutzer war, erinnert sich: Der Internet Explorer liess sich in vielerlei Hinsicht erweitern. Das war einerseits sinnvoll, indem man erwünschte Funktionen hinzufügen konnte. Die klassischen Beispiele waren Java und Flash, die es möglich machten, komplexe Anwendungen auszuführen und Videos abzuspielen. Aber diese Erweiterbarkeit war auch ein riesiges Sicherheitsproblem. Selbst nützliche Erweiterungen waren oft ein Einfallstor für Viren aller Art.

Die «Entführung» des Browsers

Die Erweiterbarkeit hat auch einem Phänomen die Bahn geebnet, das als Browser-Hijacking in die Geschichtsbücher eingegangen ist. Solche Drittkomponenten haben Suchanfragen umgeleitet, auch zusätzliche Werbung angezeigt, Affiliate Links eingefügt (wodurch die Hersteller der fraglichen Komponente mittels Partnerprogrammen von Online-Shopping-Händler Geld verdienen konnten) und die Startseite geändert, um die Surfer auf eigene Websites zu locken.

Das war ein echtes, nerviges Problem. Ich hatte damals als Betreuer der «Kummerbox», der Computer-Beratungs-Rubrik beim Zürcher «Tagesanzeiger», die ganze Zeit mit solchen Fällen zu tun. Am 17. November 2003 habe ich das im Beitrag «Internet-Eskapaden unterbinden» wie folgt beschrieben:

Der Besuch von Cool-homepage.com, GoHip.com, SecondPower.com hat unerwünschte Nebenwirkungen. Die Betreiber dieser und anderer (mitunter harmlos erscheinender) Sites tun alles, damit die Surfer zurückkehren – nicht aus Gastfreundschaft, sondern aus Aufdringlichkeit.

Die virtuellen Entführer (englisch Hijacker) schmuggeln unauffällige Progrämmchen ins Betriebssystem ein. Diese getarnten Helfershelfer verändern die Startseite, oft auch die Suchfunktion des Internet Explorer.

Wer Opfer einer Entführung wurde, sollte unbedingt die Antiviren-Software ans Werk lassen. Danach kommen Ad-Aware resp. SpyBot Search & Destroy zum Einsatz.

 

Spybot Search & Destroy gehörte zum Internet Explorer wie die Warze zur Nase der Hexe.

SpyBot Search & Destroy war damals ein unverzichtbares Hilfsprogramm, ebenso Ad-Aware. Später hat sich auch noch Hijack This dazugesellt. Ich habe die Produkte über die Jahre Dutzende Male vorgestellt, gegen wechselnde Schädlinge wie Hotbar, CoolWebSearch und Konsorten. Zum letzten Mal öffentlich empfohlen habe ich Spybot im Jahr 2014; damals gegen eine Masche, bei die unerwünschte Komponente auf Websites bestimmte Wörter mit eigenen Links ausgestattet hat, um den Nutzer auf Shoppingangebote zu führen.

Microsoft konnte das Problem nicht lösen

Mit anderen Worten: Es ist Microsoft fast 15 Jahre lang nicht gelungen, das Problem zu beseitigen. Erst das Verschwinden des Internet Explorers führt dazu, dass wir diese Dinge nun endgültig als historisches Phänomen betrachten dürfen.

Wie ist es aber zu werten, dass Google einen fremden Browser auf diese Weise vereinnahmt hat? Im Grund war Googles Angebot legitim und meines Wissens hat der Konzern auch nie versucht, den Leuten die Erweiterung unterzujubeln, wie das sonst so oft der Fall war. Trotzdem schwächte auch diese Erweiterung die Sicherheit des Browsers; 2007 konnte ein Sicherheitsexperte nachweisen, dass sich über die Erweiterung Schadsoftware einschleusen liess.

Fazit: Es gibt keinen Grund, der Toolbar eine Träne hinterherzuweinen. Was ich aber wirklich bemerkenswert finde, ist die Tatsache, wie lang es dieses Produkt gegeben hat – wo Google doch sonst gnadenlos alles einstellt, was nicht bei drei auf dem Baum ist…

Beitragsbild: Ganz gestorben ist die Idee der Toolbar, der Werkzeugleiste, noch nicht (David Rangel, Unsplash-Lizenz).

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