Obwohl ich vor einer Woche an dieser Stelle verkündete habe, Windows 11 würde mich jetzt schon langweilen, komme ich nicht umhin, ein paar Worte dazu zu verlieren – nachdem Microsoft die neue Version des Betriebssystems gestern nun auch offiziell vorgestellt hat.
Die offiziellen Ankündigungen entsprechen zum grossen Teil dem, was man aufgrund der durchgesickerten Vorabversion erwarten durfte:
- Die Kacheln im Startmenü, die sogenannten Livetiles sind Geschichte.
- Es gibt eine Überarbeitung des Startmenüs, das wie zu Windows-7-Zeiten wieder einfache Icons anzeigen wird.
- In der Taskleiste sind Startknopf und die Icons zentriert, wobei man zum Glück zu der linksbündigen Ausrichtung zurückkehren kann.
- Die Widgets sind wieder da, wenngleich in etwas anderer Form als bei Windows Vista.
Eine echte Neuerung ist, dass Microsoft Teams ins Betriebssystem integriert wird – was eine naheliegende Neuerung ist, an der man selbstverständlich auch Kritik üben kann und sollte. Es liegt auf der Hand, dass sie aus wettbewerbsrechtlicher Sicht problematisch ist, weil sie Konkurrenten wie Slack benachteiligt.
Auch Apple hat im Moment wegen der Integration der eigenen Streamingdienste in die eigenen Betriebssysteme Probleme mit der EU; und wenn nun auch Microsoft die Bündelung der eigenen Produkte vorantreibt, könnte das die Regulierungsbehörden auf die Idee bringen, derlei Treiben einen endgültigen Riegel zu schieben – beispielsweise durch ein Gesetz, wonach die Konkurrenz in gleicher Weise berücksichtigt werden muss. Ich fände das spannend, aber Microsoft und Apple wären vermutlich weniger begeistert.
Der Store wird vielseitiger
Die interessanteste Ankündigung bezieht sich auf den Windows Store, der in der durchgesickerten Vorabversion noch keine Besonderheiten aufweist. Doch in der fertigen Version von Windows 11 wird man sich auf einen deutlich ausgebauten Store freuen können. Bislang gibt es im Store nur die sogenannten UWP-Apps, die auf der Universal Windows Platform basieren, aber keine herkömmlichen Programme, die auf der Windows-API basieren und gemeinhin Win32- bzw. Win64-Programme genannt werden.
Die kommen nun – und man ist geneigt zu fragen, warum das erst jetzt der Fall ist. Die Antwort ist, dass Microsoft die neuen UWP-Apps forcieren wollte und nun einsehen muss, dass dieses Unterfangen gescheitert ist.
Nebst der Win32- und Win64-Programme dürfen Entwickler auch Java-Apps und Anwendungen, die mit dem Electron-Framework entwickelt wurden und auf HTML, CSS und Javascript basieren, in den Store stellen. Aber nicht nur das. Überraschenderweise schreibt Microsoft Folgendes:
Wir freuen uns auch anzukündigen, dass wir zum ersten Mal Android-Apps auf Windows bringen werden. Im Lauf des Jahres werden die Nutzer Android-Apps im Microsoft Store entdecken und sie via Amazon Appstore herunterladen: Stellen Sie sich vor, Sie werden ein Video für TikTok aufnehmen und posten oder Khan Academy Kids für virtuelles Lernen auf dem PC nutzen.
Zu diesem Zweck wird ein Emulator in Windows eingebaut, mit dem diese Android-Apps ausgeführt werden.
«Windows 11 kann auf diesem PC nicht ausgeführt werden»
Windows 11 soll an Weihnachten 2021 erscheinen. Ob der Computer kompatibel ist, kann man jetzt schon mit der PC-Integritätsprüfung überprüfen. Mein PC ist bei der durchgefallen, ohne dass Microsoft konkrete Gründe oder Hinweise zum Aufrüsten liefern würde.
Damit kommen wir nun zum Fazit zu Microsofts Ankündigung und zu Windows 11: Und das kann nur vernichtend ausfallen. Windows 11 ist, so wie es im Moment aussieht, ein Missgriff, der Vista bei Weitem in den Schatten stellen wird.
Drei Gründe belegen diese Behauptung:
1) Windows 11 ist ein Rückschritt
Mit Windows 11 dreht Microsoft das Rad zurück: Die Live-Tiles werden abgeschafft, das mutige Design von Windows 8 wird verwässert und die Widgets – eines der Markenzeichen von Vista, der wahrscheinlich bislang schlechtesten Windows-Version – kommen zurück.
2) Microsoft gibt die Technologieführerschaft ab
Dass nun Android-Apps auf Windows ausgeführt werden, kann man nur als Verzweiflungstat bezeichnen. Um es schonungslos zu sagen: Microsoft wanzt sich an den Konkurrenten heran, um ein paar Brotkrumen abzusahnen.
Dieser Entscheid beweist, dass Microsoft den Glauben an die eigene Plattform verloren hat und es ist ein Eingeständnis, dass Android Windows an Bedeutung überflügelt hat und sich daran auch nichts mehr ändern wird. Microsoft ist zur Einsicht gelangt, dass die Plattform aus eigener Kraft nicht mehr genügend Strahlkraft entwickeln kann, damit alle relevanten Apps für Windows angeboten werden können.
Aber glaubt jemand im Ernst, dass emulierte Android-Apps unter Windows eine Freude sein werden? Nicht nur, dass sie optisch als Fremdkörper erscheinen werden – die auf Touch ausgelegten Apps werden sich mit Maus und Touchpad kaum angenehm bedienen lassen. Das einzige, was Android-Apps unter Windows bewirken werden, ist, dass Google vielleicht auf die Idee kommt, doch noch eine gute Tablet-Version von Android zu entwickeln, damit man, wenn man sie am grossen Bildschirm ausführen will, nicht auf Windows angewiesen ist.
Schliesslich kooperiert Microsoft noch nicht einmal mit dem richtigen Android-Store, nämlich dem PlayStore von Google, sondern mit dem Amazon-Store, der schon jetzt nur eine Behelfslösung war.
3) Und dafür sollen wir auch noch neue PCs kaufen?
Und als ob das nicht genug wäre, worüber man sich ärgern könnte, hat Microsoft auch noch die Dreistigkeit, die Hardwareanforderungen im Vergleich zu Windows 10 so nach oben zu schrauben, dass viele Nutzer sich neue Hardware kaufen müssten. «It’s a great time to buy a PC», heisst es im Blogpost von Panos Panay, dem Windows-Chefentwickler.
Tut mir leid, aber das ist es nicht: Ich kaufe einen neuen PC, wenn offensichtlicher und sinnvoller Fortschritt die höheren Systemanforderungen rechtfertigt, aber sicher nicht, wenn ein Konzern in der Defensiven sich überlegt, wie man noch ein bisschen Geld aus der Kundschaft herauspressen könnte. I am terribly sorry, Panos, aber das ist die beschissenste Verkaufsaktion in der langen Geschichte des Personal Computers.
Beitragsbild: Auf ihrem PC läuft Windows 11 wenigstens (Screenshot aus dem Werbevideo von Microsoft).
2 Kommentare zu «Microsoft hat die Technologieführerschaft verloren»