Die wahren Bedürfnisse eines rasenden Radioreporters

Das iPhone 11 hat so gute Mikrofone, dass man damit Aufnahmen in radiotauglicher Qualität anfertigen kann. Damit das klappt, braucht es die passende Aufnahme-Apps. Ich stelle drei Kandidaten vor, nämlich Sprachmemos, Ferrite und Røde Reporter.

Neulich habe ich das iPhone 11 Pro getestet. Die ausgezeichnete Qualität des eingebauten Mikrofons ist einer der Punkte, der auf der positiven Seite zu verbuchen ist. Während Aufnahmen noch beim iPhone 8 Pro die Qualität einer Telefonverbindung hatten, klingt die Aufzeichnung nun gut genug, um für einen Podcast oder eine Radiosendung verwendet zu werden.

Natürlich statte ich diese Empfehlung mit einer Einschränkung aus: Ein richtiges Aufnahmegerät klingt noch etwas besser, hat mehr Einstellungsmöglichkeiten und ist einfacher in der Handhabe, indem man es insbesondere besser vor sich aufbauen oder mit einem externen Mikrofon verbinden kann.

Das beste Equipment ist das, das man dabei hat

Aber es ist nun einmal so, dass man sein Audio-Equimpment nur dabei hat, wenn man explizit in einer Podcast- oder Radio-Mission unterwegs ist. Das Smartphone hingegen trägt man immer in der Tasche. Und darum ist es ideal für spontane Mitschnitte.

Sprachmemos

Apples Sprachmemo-App: Simpel, erfüllt aber den Zweck.

Bleibt die Frage nach der besten App. Apple liefert die Sprachmemos-App mit. Die erfüllt den Zweck ganz gut: Sie nimmt auf, lässt einen die Sprachaufnahmen mit einem Stichwort versehen und über den Teilen-Befehl per Mail, Messenger, Airdrop oder über die Dateien-App weiterreichen. (Das funktioniert auch gut via Airdisk-App: Sie ermöglicht den Zugriff via WLAN, sodass man seine Aufnahme am Computer über den Browser vom Telefon herunterlädt.)

Es gibt auch eine rudimentäre Funktion zum Bearbeiten. Doch viel mehr zu trimmen, d.h. den Anfang und das Ende entsprechend zu beschneiden, würde ich in dieser App nicht tun. Für höhere Ansprüche braucht es eine richtige Aufnahme-App. Einige habe ich im Beitrag Aufnahme-Apps, die auch aufnehmen vorgestellt.

Nun noch zu zwei weiteren Apps:

Ferrite

Ferrite: Aufs Mikrofon drücken, und losreden!

Sie ist kostenlos fürs iPhone und iPad erhältlich. Doch um das gleich am Anfang zu sagen: Bei der Gratisvariante gibt es einige Einschränkungen. Die grösste ist für Podcaster die Zeitbeschränkung auf eine Stunde pro Aufnahme. In der Pro-Version kann man bis zu 24 Stunden aufnehmen, was selbst für die gnadenlosen Schwätzer genug sein dürfte. Für diese Pro-Version zahlt man 29 Franken als In-App-Kauf. Das ist für die typische iPad- oder iPhone-App etwas viel, für ein professionelles Werkzeug aber recht wenig.

Doch auch die kostenlose Version hat gegenüber der Sprachmemo-App einige Vorteile: Man kann nebst dem normalen Aufzeichnungsformat (AAC) auch verlustfrei komprimiert aufnehmen. (Allerdings leider nur im Alac-Format und nicht in Flac). Das ist für meine Zwecke etwas unpraktisch. Und leider lässt sich auch nur mit 44,1 kHz Samplingrate aufnehmen. Für die professionellen Workflows hätte man lieber 48 kHz. Falls das eine Bedingung sein sollte, dann kommt die zweite App zum Zug, nämlich Røde Reporter; siehe weiter unten.

Vielfältige Bearbeitungsmöglichkeiten

Was an Ferrite gut gefällt, sind die Bearbeitungsmöglichkeiten. Man kann seine Projekte in der App mit Metadaten und einem Cover-Bildchen versehen. Bei der Bearbeitung stehen mehrere Spuren zur Verfügung, die man entweder direkt am iPhone oder iPad aufnimmt, wenn man ein passendes Audio-Interface zur Verfügung hat oder die man aus anderen Dateien importiert.

Mehrspurige Bearbeitung am iPhone: Möglich ist es – Spass macht es eventuell nicht wirklich.

Man kann die Spuren gegeneinander verschieben, schneiden, im Stereobild nach rechts oder links verrücken, ein- und ausblenden – und was man bei einer aufwändigeren Audioproduktion sonst noch so tun möchte.

Besonders gut gefallen mir die Ducking-Einstellungen: Beim Ducking wird automatisch die Lautstärke des einen Tracks reduziert, wenn beim anderen Track ein Pegel anliegt. Verwendet man Hintergrundmusik, wird die automatisch leiser gedreht, wenn der Sprecher etwas sagt. Bei Ferrite ist es nun möglich, für jede Spur festzulegen, ob sie sich duckt und wenn ja, welche Spur die Referenz dafür ist.

Røde Reporter

Ein grosser Knopf, der keinen Zweifel daran lässt, dass die Aufnahme läuft.

Diese App erinnert an Rode Rec, eine Aufnahme-App des Mikrofon-Herstellers, die ich seinerzeit gerne benutzt habe, die es aber leider nicht mehr gibt. Im Funktionsumfang wurde sie stark reduziert.

Die vielseitigen Bearbeitungsfunktionen gibt es nicht mehr; die App ist nur für die Aufnahme, nicht aber für die Bearbeitung da. Das ist per se kein Nachteil. Denn auch wenn man mit einer App wie Ferrite sehr viele Möglichkeiten hat, würde ich dafür lieber mit Maus, Tastatur, einem grossen Bildschirm und einem Programm wie Audacity (Wie verwegene Kerle ihr Audio schneiden) arbeiten.

Die Aufnahme-Einstellungen in der Rode-Reporter-App.

Wie oben angedeutet, überzeugt Røde Reporter durch die ausgeklügelteren Aufnahmeeinstellungen. Normalerweise nimmt man mit 48 kHz in unkomprimiertem WAV auf. Wenn man ein verlustbehaftetes Format vorzieht (z.B. wegen der Speicherreserven des iPhones), dann hat man die Wahl zwischen AAC und MP3 und Bitraten von 128, 256 und 320 kbps.

Gewundert habe ich mich über den Flag-Knopf unterhalb des Aufnahmeknopfs. Ich habe gedacht, dass man damit während der Aufnahme Zeitmarken setzen kann. Aber nein, man lädt dort eine Bilddatei – typischerweise das Logo des Senders.

Für echte Reporter-Einsätzen

Diese Funktion scheint für gut besuchte Pressekonferenzen gedacht zu sein. Wenn man bei dieser Gelegenheit einem Politiker sein iPhone vors Gesicht hält, ersetzt sie den Mikrofonwürfel bzw. den Windschutz mit der Markenkennzeichnung des Senders. Das wäre nun allerdings mein geringstes Problem – aber ich nehme an, dass dieses Feature zeigen soll, wie ernst Røde mit dieser App die wahren Bedürfnisse eines rasenden Radioreporters nimmt.

Beitragsbild: Mikrofonwürfel, die auch schon bessere Tage gesehen haben (Tibor Janosi Mozes/Pixabay, Pexels-Lizenz).

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