Der Schlankheitswahn hat auch seine Schattenseiten

Das iPhone 11 Pro in der Besprechung und im Vergleich mit dem iPhone 8 Plus: Es haut mich nicht aus den Socken, ist aber ein rundum schönes Gerät.

Von Apple habe ich ein iPhone 11 Pro (Amazon Affiliate) als Testgerät erhalten. Mein Kollege Rafael Zeier hat das ausführlich besprochen. Und im Netz gibt es auch anderswo unzählige Reviews wie die beim «Guardian», sodass ich mich hier in der komfortablen Situation wiederfinde, keine umfassende Einschätzung schreiben zu müssen, sondern bloss meinen persönlichen Senf dazugeben zu dürfen.

Bis jetzt habe ich das iPhone 8 Plus benutzt. Auch dazu habe ich seinerzeit meine Einschätzung abgegeben und festgehalten, dass dieses Modell zwar wirklich sehr gross, aber trotzdem ohne Einschränkungen alltagstauglich ist. Etwas relativiert habe ich diesen Befund allerdings im Beitrag Wie man sich den SUV an den Oberarm schnallt: Für den Sport ist das Modell einfach zu gross – und für meinen Geschmack fühlt es sich gar klobig an.

Im Vergleich dazu ist auch das grössere iPhone 11 Pro eleganter und leichter zu handhaben. In das Oberarm-Täschchen, das ich im obigen SUV-Blogbeitrag besprochen habe, passt es locker. Und auch sonst liegt es etwas angenehmer in der Hand. Beim zweihändigen Tippen muss man sich mehr konzentrieren, da die Buchstaben enger gepackt sind. Aber dafür tippt es sich einhändig angenehmer, weil man die Finger weniger strecken und nicht zur schmalen Tastatur wechseln muss.

Die Tastatur-Gewöhnung ist das eine. Aber man muss sich auch mit dem Bildschirm anfreunden können. Das iPhone 8 hat auf seinem 83,4 cm² Full-HD-Auflösung zu bieten. Beim iPhone 11 Pro sind es minimal mehr, nämlich 84,4 cm² (wobei ich nun nicht abgeklärt habe, ob in dieser Zahl von gsmarena.com die abgerundeten Ecken und der Notch berücksichtigt sind). Die Auflösung ist mit 1125 auf 2436 Pixeln und einer Pixeldichte von 458 ppi besser (beim iPhone 8 Plus sind es 401 ppi).

Hochgeschossen

Allerdings ist das Seitenverhältnis anders: Das iPhone 11 ist im Vergleich schmaler. Nicht 16:9, sondern, grob gerundet, 2:1 (19,5:9). Es hat, bildlich gesprochen, im Hochformat mehr Pixel unten statt am rechten Rand. Diese Pixel am unteren Ende sind weniger nützlich, finde ich. Beim Lesen hat man eine schmalere, dafür eine längere Ansicht. Aber wenn man fleissig  mitscrollt, dann nützt das kaum etwas.

Bei längeren Liste sieht man auf einen Blick etwas mehr. Doch der Platz unterhalb der Tastatur ist schlicht verschenkt. Die Tastatur sitzt nicht ganz am unteren Rand, sondern ist wegen der Display-Rundungen links und rechts etwas erhöht platziert. Darunter sitzen das Emoji-Symbol und der Diktat-Knopf – das ist verschenkter Screen Estate.

Die berühmt-berüchtigte Aussparung für die Selfie- und Face-ID-Kamera, der sogenannte Notch, stört mich zwar nicht sonderlich. Aber viel bringen die in die Ecken gequetschten Symbole dort auch nicht. Das ist ein Design-Sperenzchen, das niemand vermissen würde, wenn es niemals erfunden worden wäre.

Sieht man sich Videos an, ist das Bild vergleichsweise kleiner. Das liegt daran, dass man seine Videos sinnvollerweise im Original-Format sehen möchte, das in den allermeisten Fällen 16:9 beträgt. Man kann die Videos zwar ganz hochzoomen, aber dann sieht man nur noch einen Ausschnitt – und ausserdem ragt in diesem Fall der Notch störend ins Bild. Aber es bleibt Geschmackssache, was man bevorzugt – und gewöhnen kann man sich sowieso an beides. (Ansonsten man einmal in sich gehen und sich fragen sollte, wann man derartig unflexibel geworden ist.)

Längliche Videos

Das etwas längere Format hat eine weitere Auswirkung, die für viele Leute komplett irrelevant ist, für mich aber eine wichtige Rolle spielt. Ich drehe mit dem Smartphone meine Patentrezept-Videos: Die entstehen im Querformat. Doch die Handy-Ansichten sind sehr oft im Hochformat. Bei einem noch längeren Telefon hat das zur Folge, dass die fetten schwarzen Balken links und rechts noch fetter und der eigentlich interessante Teil noch schmaler wird.

Das ist sehr unschön. Ich werde gezwungenermassen dazu übergehen müssen, vermehrt Ausschnitte zu nehmen. Das bedeutet ein zusätzlicher Aufwand: Ich muss darauf achten, dass die wesentlichen Teile des Geschehens im sichtbaren Bereich stattfinden.

Dieses neue Gerät ist das erste iPhone, das ich für etwas längere Zeit nutze, das keinen Home-Knopf mehr hat. An die Wischgesten für den Homescreen und den App-Switcher gewöhnt man sich schnell, finde ich. Aber die Gesichtserkennung anstelle des Fingerabdrucksensors ist ein Rückschritt, da gibt es nichts schönzureden.

Zwar funktioniert die Face-ID ähnlich zuverlässig wie Touch-ID. Und sie lässt sich nicht durch feuchte oder klamme Finger oder gar Handschuhe aus dem Konzept bringen.

Doch ich nutze mein iPhone auch gern nachts in kompletter Dunkelheit. Da müsste die Erkennung, die auf Infrarot und dem Flood Illuminator trotzdem funktionieren. Meiner Erfahrung nach tut sie das aber nicht.

Myopie-Tragedie?

Das kann auch daran liegen, dass ich als Kurzsichtiger das Telefon in solchen Situationen ohne Brille benutze und ganz nahe vors Gesicht halte. (Ja, ich weiss, wie bescheuert das aussieht.) Da stimmt dann der Abstand nicht mehr. Ich nehme an, dass das Gewöhnungssache ist. Man muss sich antrainieren, das Telefon für die Entsperrung etwas weiter wegzuhalten. Aber im Vergleich zur Benutzung der Touch-ID, die mir in Fleisch und Blut übergegangen ist, fühle ich mich da seltsam ungelenk.

Übrigens, damit mich die Face-ID zuverlässig auch ohne Brille erkennt, musste ich tatsächlich das alternative Erscheinungsbild ohne Brille einrichten. Das wird Leuten mit weniger Dioptrien aber sicher erspart bleiben.

Unpraktisch ist die Face-ID ohne Zweifel auch bei Apple Pay – das ich nach meinem Testlauf mit Boon nun sehr gerne wieder nutze, seit meine Hausbank diese Zahlungsmethode endlich anbietet.

Man muss mit Doppel-Tap auf den Seitenknopf das Wallet aktivieren, dann das iPhone zwecks Identifikation ansehen und ans Terminal halten. Mit der Touch-ID reicht es, den Finger auf den Sensor zu legen, wenn man das Handy ans Bezahlgerät hält. Das geht schneller und einfacher – ist aber wiederum Jammern auf hohem Niveau. Im Vergleich zu Twint geht es allemal um Faktoren schneller.

3D-Touch fehlt!

Dieser Weg hat zweimal nicht funktioniert – es blieb nur die Wiederherstellung des iCloud-Backups.

Schmerzhaft vermisse ich 3D-Touch (alias Force Touch). Ich war seiner­zeit ein Fan dieser Benutzer­schnitt­stelle. Und auch wenn Apple sie nie stringent ins System integriert hat, so hätte man sie nicht einfach sang- und klanglos in der Versen­kung verschwinden lassen müssen. 😩

Fazit: Das iPhone 11 Pro ist ein schickes Gerät, das mich nicht aus den Socken gehauen, aber angenehm überrascht hat. Die Softwareprobleme mit iOS 13 müsste Apple aber in den Griff bekommen. Ich hatte das Problem, dass die Datenübernahme direkt vom alten iPhone in zwei Anläufen nicht geklappt hat und ich aufs Backup via iCloud zurückgreifen musste.

Zum Testen der Dreifach-Kamera und des Nachtmodus bin ich noch nicht gross gekommen. Ich freue mich aber darauf – und werde womöglich noch ein paar Tricks dazu nachschieben.

Nachtrag vom 12.11.2019

Zwei Dinge gibt es nachzutragen – Beobachtungen, die mir erst beim etwas längeren Testen aufgefallen sind und die meinen grundsätzlich positiven Eindruck noch deutlich verstärken:

  • Der Akku: Apple hat an der Keynote kein Geheimnis daraus gemacht, dass die Batterielaufzeit bei den neuen Modellen deutlich verbessert wurde. Das ist kein leeres Versprechen. Ich habe es bis jetzt kaum je geschafft, im Lauf des Tages unter fünfzig Prozent Kapazität zu kommen.
  • Das Mikrofon: Die Tonqualität ist massiv besser – und zwar so signifikant, dass ich mit auch ein Radiointerview mit dem iPhone aufzeichnen würde. Klar, der Rekorder ist trotzdem die bessere Wahl. Aber wenn man den nicht zur Hand hat, braucht man sich hinterher nicht wegen dem amateurhaften Klang zu schämen.

Beitragsbild: Der Nachfolger hat weniger Rand und mehr Pixel als der Vorgänger. Und eine schlankere Taille – was auch ein paar Probleme mit sich bringt.

2 Kommentare zu «Der Schlankheitswahn hat auch seine Schattenseiten»

  1. Bier oder Tee jederzeit gerne – eingeschlossen ein paar Tage in einem meiner Gästezimmer mit Meerblick und Poolbenützung. Ungeniert melden und freie Tage erfragen… 555

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