Wie verwegene Kerle ihr Audio schneiden

Audacity ist ein Editor für Audiodateien. Von der angestaubten Oberfläche sollte man sich nicht abschrecken lassen, denn das Open-Source-Programm ist auch Profi-Ansprüchen absolut gewachsen.

Audacity ist ein typisches Open-Source-Projekt: Optisch bieder bis langweilig, bezüglich Bedienung nicht leicht zu durchschauen, aber enorm leistungsfähig und fast so gut wie ein teures Produkt aus dem Profi-Bereich. Audacity – der Name bedeutet in Englisch Mut oder Verwegenheit – ist für die Bearbeitung von Audio-Dateien zuständig und misst sich mit Produkten wie Audition von Adobe oder Logic von Apple (diese kosten allerdings 490 respektive 200 Franken).

Audacity erlaubt es, Klang ab Mikrofon oder anderen Soundquellen nach dem Mehrspurverfahren aufzuzeichnen. Die Aufnahme kann geschnitten, exportiert und mit Effekten versehen werden. Verschiedene Effekte, Filter und Analysefunktionen helfen bei der Arbeit.

Alles, was man als Podcaster oder fürs Digitalisieren alter Analogaufnahmen braucht!

Das Open-Source-Programm leistet gute Dienste für Podcaster, die ihre Aufnahmen kürzen oder verschiedene Audiodateien montieren möchten. Es lässt sich auch sehr gut zur Digitalisierung von analogem Material von Schallplatten, Kassetten oder Spulentonbändern brauchen. Es wird auch beim Radio verwendet. Beim alternativen Winterthurer Radio Stadtfilter (für das der Autor dieses Beitrags zwei Sendungen mitbetreut) werden Beiträge oder ganze Sendungen in Audacity geschnitten und sendefertig gemacht.

Hand an die Welle legen

Die (bereits kritisch gewürdigte) Oberfläche stellt Werkzeuge zum Navigieren innerhalb der Spuransicht zur Verfügung, plus die Einstellungen zum Pegel, verschiedene Bearbeitungsmodi und Befehle zum Zoomen, Einfügen und Zuschneiden von Audioclips. Darunter erscheinen die horizontalen Wellenformen, die das Audio repräsentieren (eine Welle für eine Mono-Spur, zwei Wellenformen für ein Stereosignal). Diese Wellenform bearbeitet man so, wie man beliebige andere Informationen am Computer bearbeitet: Man markiert die Passagen, die man bearbeiten möchte und wendet dann den passenden Befehl an: Man kann Audiopassagen löschen – zum Beispiel störende «Ähs» in einem Gespräch, den «Überhang» am Anfang oder Ende einer Aufnahme oder unerwünschte Pausen mittendrin. Apropos «Ähs»: Die kann man, anstelle sie herauszuschneiden, auch einfach mit Stille maskieren – das lässt der Aufnahme ihren ursprünglichen Rhythmus. Dazu markiert man das «Äh» in der Wellenform und betätigt Ctrl + L oder Bearbeiten > Auswahl in Stille umwandeln. Das sollte man aber nur dann tun, wenn die Aufnahme wenige Hintergrundgeräusche aufweist. Denn plötzliche Stille in einer Aufnahme, die sonst reich an Ambiente ist, klingt auch seltsam.

Mit der Tastatur zu arbeiten, spart Zeit

Da die Orientierung gerade bei längeren Aufnahmen nicht einfach ist, sollte man sich mit den Tastaturkürzeln zum Aus- und Einzoomen, zum Starten und Stoppen der Wiedergabe und zum Springen in der Aufnahme vertraut machen: Hat man die intus, kann man bei der Bearbeitung sehr viel Zeit sparen. Hilfreich sind auch die Textmarken. Sie platziert man auf einer Textspur, die man über Spuren > Neue Spur erzeugen > Textspur einrichtet. Über Spuren > Textmarke bei Auswahl hinzufügen (oder Ctrl + b) fügt man eine neue Marke an einer Stelle ein, die man mit einer aussagekräftigen Beschreibung versehen und auch zum Schneiden brauchen kann. Apropos schneiden: Mit Bearbeiten > Clip trennen oder Ctrl + i teilt man eine Aufnahme auf, falls man einen Teil löschen, umstellen oder auf eine andere Spur verschieben möchte.

Falls man mit mehreren Spuren arbeitet, sollte man das Verschiebewerkzeug kennen: Es erlaubt es, einzelne Clips in der Zeitleiste vor und zurück zu bewegen. Das Hüllenwerkzeug ermöglicht eine flexible Anpassung der Lautstärke und mit dem Zeichenwerkzeug kann man einzelne Samples zeichnen oder korrigieren – das werden aber nur absolute Perfektionisten jemals brauchen.

Wichtige Befehle stecken dagegen im Menü Effekte. Mit Einblenden bzw. Ausblenden verhindert man am Anfang und am Ende einer Aufnahme abrupte Pegelsprünge. Kennen muss man auch den Befehl Normalisieren: Er sorgt dafür, dass der Pegel einer Aufnahme optimiert wird, d.h. hebt die Lautstärke einer Aufnahme an, dass der Peek (der lauteste Moment in der Aufnahme) auf 100% gesetzt wird. Beim Aufnehmen sollte man allerdings genügend Raum zum Pegelmaximum lassen. Übersteuerungen lassen sich nicht korrigieren, und sie können eine Aufnahme nachhaltig verhunzen.

Den Kompressor einsetzen – oder Spitzen manuell kappen

Ein zweiter wichtiger Befehl ist der Kompressor (ebenfalls im Effekt-Menü zu finden). Er flacht die Pegelspitzen ab. Dadurch kann man Lautstärkeunterschiede ausgleichen. Sie entstehen beispielsweise in Gesprächssituationen, wenn mehrere Personen in unterschiedlicher Distanz zum Mikrofon sitzen oder unterschiedlich laut sprechen. Die Krux ist allerdings, die optimale Einstellung zu erwischen. Komprimiert man zu stark, bleiben die Tonqualität und die Dynamik auf der Strecke. Als Anfänger ist es weniger gefährlich, Spitzen von Hand mit dem Hüllenwerkzeug zu kappen. Profis können statt des eingebauten Kompressors auch Endorphin von digitalfishphones.com einsetzen. Dieser subtil operierende Dual-Band-Kompressor lässt sich über die VST-Schnittstelle einbinden.

Ansonsten ist man gut beraten, sein Projekt immer mal wieder zu speichern, da Audacity nicht vor Abstürzen gefeit ist. Das fertige Projekt lässt sich zum Schluss in einem gängigen Format exportieren. Der Export als MP3 aus Audacity ist qualitativ allerdings nicht über alle Zweifel erhaben. Da lohnt es sich, im unkomprimierten WAV- oder Aiff-Format zu exportieren und die Datei in iTunes oder mit QuickTime in MP3 oder AAC zu wandeln. Über Datei > Auswahl exportieren kann man auch nur den gerade selektierten Bereich als separaten Track speichern. Das ist zum Beispiel dann hilfreich, wenn man beim Digitalisieren von Langspielplatten eine ganze Plattenseite in einem Rutsch aufgenommen hat und dann die einzelnen Titel separat exportieren möchte.

Audacity, kostenlos für Windows, Mac OS X und Linux:
audacity.sourceforge.net

Ein Handbuch in Deutsch, das nicht mehr ganz aktuell, aber nach wie vor sehr brauchbar ist.

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