Per Podcast in die Mörderseele blicken

Im Podcast «Man in the Window» berichtet die investigative Journalistin Paige St. John akribisch über die Ermittlungen im Fall des «Golden State Killers», der erst nach Jahrzehnten aufgeklärt werden konnte – und damit so etwas wie ein exemplarischer «Cold Case» ist.

Es gibt diesen Medientrend, den man im Satz «Krimis sind gut, aber echte Kriminalfälle sind besser» zusammenfassen könnte. Er nennt sich True Crime und kommt natürlich aus den USA. Ich habe neulich das Sachbuch «Chase Darkness with Me» zu diesem Thema vorgestellt (Crowdsourcing bei der Verbrechensbekämpfung). Heute habe ich eine dazu passende Podcast-Empfehlung.

In Man in the Window (RSS, Spotify, Itunes) wird der Fall des Golden State Killers aufgerollt. Das ist einer der spektakulärsten Serien-Verbrecher aus Kalifornien, der seine Taten vor Jahrzehnten verübte. Joseph James DeAngelo hat zwischen 1974 und 1986 Einbrüche verübt, Vergewaltigungen begangen und zuletzt auch gemordet.

Eine lange Liste von Verbrechen

13 Morde, fünfzig Vergewaltigungen und hundert Einbrüche waren all die Jahre unaufgeklärt, sogenannte «Cold Cases» – die aber manche Leute nicht losgelassen haben. Zum Beispiel auch die Autorin und Privat-Ermittlerin Michelle McNamara, die im erwähnten Sachbuch Michelle McNamara und im Podcast Erwähnung findet und dank ihrer Hartnäckigkeit vielleicht nicht die entscheidende, aber eine wichtige Rolle gespielt hat, dass DeAngelo schliesslich ermittelt und 2018 angeklagt werden konnte.

Der Podcast zum Verbrechen.

Im Podcast ist die investigative Journalistin Paige St. John, die für die  «LA Times» schreibt, dem Fall nachgegangen.

In sechs Teilen geht sie im mit Stimmen von Opfern, Ermittlern und Beteiligten nach. Das ist interessant, wenn man sich für echte Verbrechen interessiert – und auch ziemlich erschütternd, weil DeAngelo ein Verbrecher ist, der nicht aus Habgier oder Abenteuerlust gehandelt hat, sondern aus Sadismus und Freude an der Angst seiner Opfer.

Was ist der Erkenntnisgewinn aus einem solchen Podcast?

Die Frage an dieser Stelle ist natürlich: Warum sollte man sich das anhören; was könnte der Erkenntnisgewinn sein? In die Psyche eines Psychopathen hineinversetzen kann und will man sich nicht. Und was die Opfer durchmachen mussten, das wird auch bei einer oberflächlichen Beschreibung klar: Mehr Details führen nicht zu mehr Verständnis, sondern nur zu mehr Fassungslosigkeit über die menschlichen Abgründe – und man mag auch nicht den eigenen Voyeurismus und die Sen­sa­ti­ons­lüs­ternheit befeuern.

Braucht es darum sechs Folgen oder wäre nicht eine genug? Oder meinetwegen drei, zu Tat, Ergreifung und Bestrafung? Natürlich ist sich eine gestandene Journalistin wie Paige St. John dieses Problems bewusst – und sie thematisiert es auch in einem siebten Teil mit dem Titel «The Language of Rape», der eine Art Making-of ist.

Kaum Beistand für die Opfer

In dem wird erläutert, dass Vergewaltigungen in den 1970er-Jahren als vergleichsweise harmlos angesehen wurden. Es gab wenig Beistand für die Frauen und die Ermittlungen verliefen, zurückhaltend ausgedrückt, oft wenig professionell. Und den Behörden war oft mehr daran gelegen, die Öffentlichkeit ruhig zu stellen, statt ihr mit klaren Hinweisen eine Hilfestellung zu bieten, welche Vorkehrungen gegen den Serienverbrecher helfen würden.

Es geht im Podcast auch um das Problem von Zuständigkeiten und den Eitelkeiten der Ermittler – und darum ist es typisch für den Fall, dass DeAngelo, der im ganzen Staat aktiv war, unter mehreren Bezeichnungen geführt wurde (East Area Rapist, Original Night Stalker), bevor die Ermittler überhaupt auf die Idee gekommen sind, dass es sich um die gleiche Person handeln könnte. Genauso typisch wie erschütternd ist auch, dass die Vergewaltigungen früher verjährt sind als die Vermögensverbrechen – und die bei der Anklage nun keine Rolle mehr spielen.

Das Storytelling stimmt – und damit auch der Unterhaltungsfaktor

Fazit: Aus Storytelling-Sicht ein gelungenes Projekt – wenngleich ich die Vermutung habe, dass die Idee für den Podcast erst nachträglich entstanden ist. Denn wenn sie von Anfang an bestanden hätte, dann wären die O-Töne sicherlich in besserer Qualität aufgezeichnet worden.

Paige St. John beherrscht das Genre des Serial-artigen Erzählens ganz gut und das auf diese Art Podcasts spezialisierte Produktionsunternehmen Wondery hat seine Qualitäten bereits beim Podcast «The Shrink next Door» (Seelen-Geklempere mit Folgen) unter Beweis gestellt. Das Thema muss man allerdings mögen – sonst lässt man besser die Finger (respektive die Ohren) von diesem Podcast.

Beitragsbild: Original Night Stalker/American Law Enforcement, Public Domain/Wikimedia

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