Wenn es euch mit Peertube so geht wie mir, dann ist euch der Name in den letzten Jahren bisweilen begegnet. Aber mit der Plattform selbst seid ihr vermutlich nicht in Berührung gekommen.
Zumindest dann nicht, wenn ihr euch nicht bewusst fürs freie, dezentrale Netz entscheidet. Denn auch wenn Peertube oft als Alternative zu Youtube gehandelt wird (von Wikipedia- und der ARD-Tagesschau) dann müssen wir konstatieren, dass es dort im Vergleich zu den kommerziellen Plattformen ein verschwindend kleines Angebot gibt. Wie viel kleiner dieser Davist ist, lässt sich schwer quantifizieren. Einerseits wird Peertube aus einem Netz von separaten Instanzen gebildet, sodass sich die Clips nicht ohne weiteres zählen lassen. Andererseits ist die Sache auch bei Youtube nicht klar, weil Google keine Zahlen nennt. Eine Schätzung, die ich hier gefunden habe, geht von 800 Millionen Videos aus.
Da scheint es schlauer, sich anhand gezielter Stichproben ein Bild zu machen:
- Zum Stichwort «iphone 16e review» liefert Youtube – wie könnte es anders sein? – sofort eine lange Trefferliste. Wie viele Videos enthalten sind, zeigt Youtube leider nicht an.
- Peertube liefert 662 Treffer. Das erste dieser Videos ist zehn Sekunden lang und zeigt, wie einer das neue Telefon vor die Kameralinse hält und dann in alle Richtungen dreht. Alle weiteren Clips in der Liste drehen sich zwar ums iPhone, aber um andere Modelle.
- Stichwort «Winterthur»: Youtube liefert ein chaotisches, aber vielfältiges Angebot an Clips, in dem man sofort etwas entdeckt, was Neugierde weckt. Z.B. den Kanal der
Stadtpolizei Winterthur mit 156 Abonnenten, in dem es zum Beispiel einen historischen 16-mm-Film zu sehen gibt, der mutmasslich aus den 1930er-Jahren stammt (ein Kommentator vermutet, zwischen Ende 1938 und Mitte 1941). - Peertube: Acht Videos, u.a. ein Auftritt der Jason Boon Big Band & «The Darnettes», der vermutlich in dieser Stadt aufgenommen wurde (im Casinotheater?), sonst aber keinen Bezug zu Winterthur hat.
- Nach ein paar Klicks begegne ich meinem ehemaligen Podcast-Kollegen Kubikpixel, der mir seinerzeit Mastodon erklärte. Über seinen Kanal gelange ich zu einem Video, in dem Jean-Baptiste Kempf über die Erfindung des Videoplayers VLC erzählt. Immerhin eine Entdeckung!
So willkürlich dieser Test auch ist, so eindeutig fällt das Resultat aus: Dem breiten Publikum hat Peertube fast nichts zu bieten. Es gibt keine Übersichtsseite mit Glanzstücken aus dem Repertoire, die den Besucherinnen und Besuchern klarmachen würden, welche Inhalte sie hier erwarten dürfen. Es gibt nur die Suchfunktion, die zu den Stichworten, die mir eingefallen sind, nichts Sehenswertes zu bieten hat.

Bemerkung dazu: Das ist anders, wenn wir direkt auf eine Peertube-Instanz anpeilen. Eine der grössten Instanzen ist videovortex.tv. Im Bereich Wissenschaft und Technik gehört der Server des französischen Bildungsministeriums zu den grossen Anlaufstellen. Aus der Schweiz kommt u.a. gaialabs.ch. Da stellt sich augenblicklich die Frage: Wie finden wir interessante Instanzen?
Dabei hilft die Übersicht unter instances.joinpeertube.org.
Der Beweis, dass Youtube nicht das Nonplusultra ist?
Nun könnte man mir vorwerfen, dass ich den falschen Massstab anlege: Die Absicht von Peertube sollte kaum darin bestehen, Youtube bei der Masse zu schlagen – wie sollte das auch menschenmöglich sein! Genauso gut kann es darum gehen, der Welt zu beweisen, dass Youtube nicht der Weisheit letzter Schluss ist und wir Anwenderinnen und Anwender mit einer nicht kommerziellen Plattform besser bedient wären. So steht es auch auf der Website:
Eine Alternative zu den Videoplattformen der Tech-Riesen: Peertube ist ein Tool zum Austausch von Online-Videos, das von Framasoft, einer französischen gemeinnützigen Organisation, entwickelt wurde.
Peertube verwendet das Activitypub-Protokoll aus dem Fediversum. Das hat den interessanten Effekt, dass ich mit meinem Account beim Kurznachrichtendienst Mastodon auch den Peertube-Kanalbetreibern folgen kann. Genauso, wie das auch beim Foto-Netzwerk Pixelfed der Fall ist.
Diese offene, auf die Community ausgerichtete Struktur gefällt mir ausgezeichnet. Ich habe daher Sympathien für Peertube. Das ändert aber nichts daran, dass ich niemandem empfehlen würde, Videos hier hochzuladen, wenn ein nennenswertes Publikum erreicht werden soll. Mit dieser Absicht muss man sich den Tatsachen beugen – und sich wenigstens Vimeo zuwenden, wenn einem Youtube komplett zuwider ist.

Vergebene Liebesmüh
Soll man sich trotzdem hier engagieren – vielleicht parallel zu den herkömmlichen Plattformen? Die Antwort auf diese Frage hängt davon ab, ob wir damit rechnen, dass es das Fediversum jemals schaffen wird, sich über den Status des Proof of Concept hinaus zu entwickeln. Für mich ist das nicht absehbar. Dafür müsste die Software schneller, sicherer¹, benutzerfreundlicher und einladender werden.
Ein letzter Aspekt: Peertube sei auch ein Instrument gegen Zensur. Im Blogpost von Framasoft zur ersten Version steht dazu Folgendes:
Diese Ausrichtung auf Videos wurde uns von den zentralisierenden Plattformen, allen voran Youtube, verwehrt. Die Plattform hat Standard mit empörenden Praktiken wie blinder Zensur und der Aneignung von Inhalten etabliert.
Zensur versus Moderation
Theoretisch könnte Peertube ein Instrument sein, mit dem oppositionelle Kräfte in Ländern mit repressiven Regierungen die staatliche Zensur umgehen. Praktisch habe ich keine Fälle gefunden, in denen das auch tatsächlich geschieht². Das wundert mich nicht, weil diese Anwendung zu komplex ist und in echten Bedrohungssituationen eben doch zu wenig Schutz bietet.
Mit der «blinden Zensur» sind im Blogpost eher Youtubes Community-Richtlinien gemeint. Die bieten unbestreitbar viel Angriffsfläche. Aber ich habe grosse Zweifel, ob der Ansatz von Peertube besser ist. Die Moderation ist die Aufgabe der Administratoren einer Instanz. Wie gut oder schlecht das funktioniert, lässt sich leicht feststellen, wenn man nach einschlägigen Begriffen sucht. Zum Stichwort «Hitler» finden wir augenblicklich Clips mit Titeln wie «Hitler hat die Christen von bolschewistischem Terror und Tyrannei befreit» oder Lesungen von «Mein Kampf». Es scheint, dass Peertube im Moment vor allem dann als echte universelle Alternative auftreten kann, wenn es um Inhalte geht, die bei Youtube völlig zu Recht gelöscht werden.
Der beste Anwendungsfall ist, selbst eine Peertube-Instanz aufzusetzen. Dort können wir eine Community aufbauen – und für klar umrissene Zwecke ist diese Umgebung, die wir selbst unter Kontrolle haben, dann tatsächlich besser als ein Haifischbecken wie Youtube.
Fussnoten
1) Da Peertube die Videos nach dem Peer-to-Peer-Prinzip verteilt, drohen auch dessen rechtliche Probleme. Wir können bei der Benutzung unabsichtlich Urheberrechtsverletzungen begehen, weil wir nicht nur Material beziehen, sondern auch weiterleiten, d.h. ins Netz laden. Diese Gefahr lässt sich bannen, indem wir in den Einstellungen die Option Hilf abgespielte Videos zu verteilen (empfohlen) abschalten. ↩
2) Falls ich etwas übersehen habe, freue ich mich über einen Hinweis. ↩
Beitragsbild: Schwer, daran vorbeizukommen (Cottonbro Studio, Pexels-Lizenz).