«Schmeisst US-Tech aus dem Fenster!»

Ein viraler Post auf Face­book fordert uns dazu auf, ame­ri­ka­ni­sche Tech-Pro­dukte durch euro­päische zu er­setzen. Un­sin­ni­ger Online-Ak­ti­vis­mus oder der An­fang einer längst über­fäl­ligen Ab­na­be­lung?

Wer ein Nerd und Computerfreak ist, kommt an den USA nicht vorbei. Über die Geräte, Software und die Online-Dienste haben wir ständigen Kontakt zu den Vereinigten Staaten. Das muss nicht unbedingt zu vorbehaltloser Begeisterung führen. Eine Grundsympathie dürfte aber zweifellos bei den meisten vorhanden sein. Schliesslich sind die USA ein Motor für die Innovation, die uns allen Auswüchsen zum Trotz weiterhin bei der Stange hält.

Zumindest war das so. Seit Trump wieder im weissen Haus zugange ist, steht die Frage im Raum, ob dessen Berserkertums Auswirkungen auf diese Beziehung haben wird. Ist damit zu rechnen, dass wir unsere Nutzungsgewohnheiten bei digitaler Technologie komplett überdenken müssen?

Die Zerrüttung unseres Verhältnisses stand neulich schon im Raum, als Elon Musk OpenAI übernehmen wollte. Zum Glück gibt es mit Le Chat von Mistral seit Kurzem eine brauchbare Alternative aus Europa.

Die Kanadier finden, wir Europäer sollten weniger Produkte aus den USA kaufen

Bei den Turnschuhen ist es einfach.

Es gibt allerdings auch die Forderung, US-Produkte nicht punktuell, sondern generell zu meiden. Anfang Woche ist mir auf Facebook die Aufforderung begegnet, man solle anstelle von US-Produkten solche aus Europa kaufen. (Seltsamerweise in der Gruppe «Made in Canada» – was nach der Logik, dass der Feind des Feindes mein Freund ist, womöglich Sinn ergibt.)

Der Post macht konkrete Vorschläge aus diversen Lebensbereichen, u.a. Reisen, Autos, Bekleidung, Haushaltsgeräte und Elektronik und Gastro. Im Tech-Sektor würden wir Facebook, X, Instagram und Reddit in die Wüste schicken und auf Spond, Mastodon, Pixelfed, Bereal und Lemmy wechseln. Threema und Element kämen anstelle von Whatsapp und Facebook Messenger zum Zug. Die Dienstleistungen von Google, Microsoft und OpenAI würden wir mit Quant, Ecosia, Proton Mail, Mailbox und Libreoffice substituieren. Und beim Streaming müssten Netflix, Amazon Prime, Disney+ und Youtube Diensten wie Mubi und Peertube weichen.

Der Facebook-Post hat 134’000 Likes und 13’000 Kommentare angesammelt und wurde 30’700-mal geteilt. Ohne Zweifel stösst er in ein Wespennest. Auch mein Bauchgefühl sagt Yes. Wenn die Amis das Gefühl haben, der Rest der Welt sei dazu da, ihre Greatness zu bewundern und ihre Produkte zu kaufen, dann sollten wir ihnen eine Lektion erteilen. Abgesehen davon, dass es vorausschauend wäre, unsere technologische Abhängigkeit von der Neuen Welt deutlich zu reduzieren.

Wenn es nur so einfach wäre!

Dummerweise führt dieser Post uns aber auch vor Augen, wie wenig Europa im Technologiebereich zu bieten hat. Von vielen dieser Ersatzdienste habe ich nie gehört. Beispiel Zusammenarbeit (Collaboration), wo Teams, Google Meet, Slack und Discord über die Klinge springen müssten. Ich kenne weder Whereby, Revolt noch Whaller. Aber mein Arbeitgeber offensichtlich auch nicht, sonst würde ich womöglich bereits mit einem dieser Produkte arbeiten.

Noch schlimmer: Der wichtige Bereich Mobiltelefon ist in diesem Posting nicht einmal aufgeführt. Die komfortable Begründung dafür lautet, dass die Geräte eh alle aus Asien kommen. Doch sie ignoriert die schmerzliche Tatsache, dass der entscheidende Punkt das Betriebssystem ist, bei dem kein Weg an den US-Produkten (iOS und Android¹) vorbeiführt.

Nach dieser Erkenntnis sind zwei Interpretationen möglich:

  1. Dieser Post ist reiner Slacktivismus: Er erlaubt es uns, mit einem Klick unserem Unmut über den MAGA-Vandalismus Ausdruck zu verleihen. Doch weil ein Like auf Facebook oder ein Retweet auf Twitter die Welt nicht verändert, bleibt diese Aktion komplett nutzlos.
  2. Dieser Post soll uns nicht dazu anleiten, unser digitales Leben gleich komplett auf den Kopf zu stellen. Aber er kann dazu anhalten, unsere Abhängigkeit punktuell zu reduzieren. Und zwar in Bereichen, wo die Nachteile eines Wechsels vertretbar sind.

Make «Freedom fries» Pommes frites again!

Um zu entscheiden, welche Interpretation wahrscheinlicher ist, habe ich mir den Absender dieser Botschaft angeschaut. Er findet sich auf buy-european-made.eu. Schauen wir uns das Impressum an, finden wir eine Proton-Mailadresse, sonst nichts. In den FAQ heisst es

Wir sind eine Gruppe von Menschen aus ganz Europa, die sich über das Subreddit r/BuyfromEU zusammenfanden. Wir kennen uns zwar persönlich nicht, haben uns aber dennoch zur Zusammenarbeit entschieden, um europäische Produkte und Dienstleistungen auf der Welt bekanntzumachen.

Die Reddit-Gruppe finde ich interessant, und ich finde gut, dass sie den Fokus nicht auf Boykottaufrufe legt, sondern auf die Stärkung lokaler Produkte. Das ändert aber nichts daran, dass die Gruppe keinen Monat alt und als spontane Protestaktion zu bewerten ist. Dass aus ihr eine nachhaltigere Bewegung werden kann, schliesse ich nicht aus, aber es muss sich erst weisen.

Das letzte Wort in dieser Sache hat der Winterthurer Cartoonist Ruedi Widmer. In einer Zeichnung für die WOZ zur anzustrebenden Unabhängigkeit Europas deutet er an, dass die Lösung womöglich bei uns allen im Untergeschoss lauert. Jedenfalls sagt die eine Figur zur anderen: «Ich habe diesen italienischen 75-er Olivetti TC-800 im Keller gefunden!»

Macht sich super auf dem Schreibtisch!

Fussnoten

1) Mir ist bekannt, dass es für Android-Geräte alternative Betriebssysteme wie LineageOS gibt. Ich habe vor zehn Jahren für diesen Artikel hier versucht, CyanogenMod zu installieren – erfolglos. (Die Videoaufnahmen von diesem Experiment schlummern vermutlich noch irgendwo auf meiner Festplatte, weil eigentlich eine Patentrezept-Folge daraus entstehen sollte.) Der Austausch des Handy-Betriebssystems ist nur für wenige Experten ein gangbarer Weg; der obendrein das Problem hat, ebenfalls auf Android zu basieren. Die Abhängkeit vom US-Konzern Google wird damit etwas kleiner, aber sie verschwindet nicht.

5 Kommentare zu ««Schmeisst US-Tech aus dem Fenster!»»

  1. Ich bin weit davon entfernt, „USA-frei“ zu leben, aber ich halte die Diskussion für wichtig. Wobei es mir hauptsächlich um die Grosskonzerne geht, deren CEOs bei Trumps Inauguration artig geklatscht haben, und nicht um Open-Source-Projekte, deren Entwickler in den USA leben.

    WhatsApp ist pfui, aber vor Wikipedia graust es mir nicht.

    Es freut mich, wenn sich die Industrie und vor allem die öffentliche Hand wieder mehr Gedanken machen, was sie einsetzen. Hunderte Schulen sind ohne gross nachzudenken in die Cloud von Microsoft gewechselt, weil Teams für Schüler halt nichts kostet. Jetzt, wo „wir zwingen Microsoft, seine Cloud-Dienste für Land XY zu sperren“ als Druckmittel in den Bereich des Möglichen gerückt ist, wäre mehr Unabhängigkeit angebracht. Würde Office 365 in der Schweiz abgestellt, stünden die meisten Betriebe, Schulen und Verwaltungen still.

  2. Hallo Matthias,

    Mit großem Interesse habe ich Ihren Artikel „Schmeißt US-Tech aus dem Fenster!“ gelesen, in dem Sie die Notwendigkeit betonen, unsere Abhängigkeit von den großen amerikanischen Tech-Konzernen zu reduzieren. Sie erwähnen darin auch Whaller, allerdings als eine Plattform, die Ihnen noch nicht sehr vertraut ist.

    Ich möchte diese Gelegenheit nutzen, um Ihnen mehr über Whaller zu erzählen und Sie einzuladen, unsere Lösung selbst kennenzulernen.

    Whaller: Eine europäische, souveräne Alternative zu amerikanischen Kollaborationslösungen

    Whaller ist eine sichere, kollaborative Plattform, die in Frankreich entwickelt und gehostet wird. Sie ermöglicht es Organisationen, sicher zu kommunizieren, Daten zu teilen und effizient zusammenzuarbeiten – und das ohne Abhängigkeit von den GAFAMs (Google, Amazon, Facebook, Apple, Microsoft). Im Gegensatz zu Microsoft Teams, Slack oder Google Workspace garantiert Whaller vollständigen Datenschutz, ohne kommerzielle Datennutzung und in vollständiger Übereinstimmung mit der DSGVO.

    Was macht Whaller einzigartig?

    ✅ 100 % private und sichere Arbeitsräume: Jede Organisation erstellt ihre eigenen geschlossenen „Sphären“, in denen die Daten unter vollständiger Kontrolle bleiben.
    ✅ Eine umfassende Alternative: Messaging, Videokonferenzen, Dokumentenverwaltung und Kollaborationstools – alles in einer Lösung, ohne Verbindung zu US-Cloud-Diensten.
    ✅ Souveränes Hosting: Die Daten werden in Europa gespeichert, geschützt vor extraterritorialen Gesetzen wie dem Cloud Act.
    ✅ Bereits weit verbreitet: Über 20.000 Organisationen nutzen Whaller heute, darunter Unternehmen, Universitäten und öffentliche Verwaltungen, die auf Datenschutz angewiesen sind.

    Gerne stehe ich Ihnen für ein Gespräch zur Verfügung, um über digitale Souveränität in Europa zu diskutieren und Ihnen Whaller in einer Live-Demo vorzustellen. Falls Sie Interesse haben, freue ich mich über Ihre Rückmeldung für eine Terminvereinbarung.

    Vielen Dank für Ihren Artikel, der auf die Bedeutung europäischer Alternativen zu den großen US-Technologieanbietern aufmerksam macht!

    Ich freue mich auf Ihre Antwort.

    Grégory Saccomani
    Direktor für Marketing und Kommunikation, Whaller
    gregory.saccomani[@]whaller.fr

  3. Auch ich habe von vielen Alternativen zu den US-Anbietern noch nie gehört. Aber es gibt sie. Und wenn wir unser Geld nicht mehr an US-Konzerne überweisen, sondern an europäische Firmen und Open-Source-Projekte, dann können sich diese auch entwickeln, besser und bekannter werden.

    Wir müssen ja auch nicht auf einen Schlag unsere komplette IT-Infrastruktur austauschen. Aber dort auf freie oder zumindest europäische Alternativen umzusteigen, wo es sie gibt, wäre ein Anfang.

  4. Ich bin tatsächlich von Google auf Proton umgestiegen (Mail, Drive, VPN und Kalender), von Whatsapp auf Threema und von OneNote auf Joplin, von MS Office auf LibreOffice, habe Instagram goodbye gesagt, und ich bin gewillt damit weiterzumachen. Leider ist unsere Abhängigkeit so gross, dass ich damit immer noch nicht Trump-frei bin, aber ich hoffe, es geht in die richtige Richtung.

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