Die KI-Funktionen im Windows-Editor sind völlig unsinnig

Microsoft hat die Funk­tion «Um­schrei­ben» in Note­pad eingebaut. Sie führt Text­än­de­rungen mit­tels künst­li­cher In­tel­li­genz durch. Nebst der Frage, ob das über­haupt nötig ist, müs­sen wir fest­stel­len, dass die Im­ple­men­ta­tion auf die denk­bar absur­deste Weise er­folgte.

Bei der künstlichen Intelligenz schreckt Microsoft vor nichts zurück. Nicht einmal vor jenem Programm, das wie kein anderes Beständigkeit signalisierte und sämtlichen Modeströmungen und Tech-Manierismen widerstehen konnte. Es sieht noch fast so aus wie zu Windows 3.1-Zeiten: schlicht und funktionell, auf eine Aufgabe fokussiert.

2016 habe ich daher eine Ode an den Editor gesungen und ihn dafür gelobt, dass bei ihm kein marketinggetriebenes Imponiergehabe herrscht, sondern Nüchternheit und Funktionalität.

Und nun das! Drohende Anzeichen gab es im letzten Herbst, als «The Verge» mit drohendem Unterton ankündigte, sogar der Windows-Editor (Englisch Notepad) würde demnächst eine KI-Textbearbeitungsfunktion erhalten.

Inzwischen ist aus dieser Drohung eine Tatsache geworden. Eines der letzten Windows-Updates hat mir die KI-Version dieses Bearbeitungsprogramms für reinen Text beschert.

Die KI hat einen eigenen Knopf in der Symbolleiste

Erkennbar ist die Neuerung am Umschreiben-Symbol in der Menüzeile rechts, die mit einem Stift ausgestattet ist. Ausserdem findet sich daneben ein Knopf für den Microsoft-Account. Es wird sogleich klar, dass es für die Nutzung der KI zweierlei braucht:

  1. Eine Anmeldung mit Microsoft-Account,
  2. und ein ausreichendes KI-Guthaben.

Beim Klick auf das Profilbild meines Microsoft-Accounts erscheint ein Menü, das neben dem Abmelden-Befehl auch den Punkt KI-Guthaben aufweist. Er führt zur Übersicht meines Microsoft 365 Single-Abos, das pro Monat sechzig solcher Guthaben beinhaltet. Hier wiederum ist das Supportdokument Grundlegendes zu KI-Gutschriften verlinkt, das schon wegen seiner uneinheitlichen Terminologie verwirrt: einmal ist von Gutschrift, dann wieder von Guthaben die Rede. Gemeint ist wohl in beiden Fällen das gleiche, nämlich eine Schattenwährung, wie man sie aus all den Free-to-play-Games zur Genüge kennt. Die Abo-Seite bringt einen weiteren Begriff ins Spiel, nämlich die aus dem Englischen ausgeliehenen Credits.

Das reicht nirgends hin: Die paar Credits, die wir mit dem normalen Microsoft-365-Abo erhalten, sind ruckzuck aufgebraucht.

Immerhin geht aus diesem Dokument hervor, dass Nutzer ohne Abo 15 Gutschriften (oder Guthaben) pro Monat bekommen. Was hingegen nicht klar wird, ist der Preis, der jeweils fällig wird. Kostet eine KI-Aktion immer einen Credit oder variieren die Preise? Ausserdem steht hier, dass die am Ende des Monats verbleibenden Guthaben nicht auf den neuen Monat übertragen werden, sondern verfallen. Und es ist auch nicht möglich, Credits nachzukaufen. Falls wir sie frühzeitig aufgebraucht haben, solle man bitte Copilot Pro abonnieren, empfiehlt Microsoft. Dort muss man sich nicht mit Credits herumschlagen, dafür berappen wir allerdings satte 21 Franken pro Monat.

Diese Credits sind eine Schikane

Wir können noch vor dem ersten Ausprobieren ein vorläufiges Fazit ziehen: Diese KI-Funktion ist eine schlecht getarnte Werbeaktion für Microsofts Copilot Plus. Diese Funktion lässt sich im Alltag nicht sinnvoll nutzen, wenn wir ständig den Stand unseres Guthabens im Auge behalten müssen.

Selbst wenn wir haushälterisch damit umgehen, wird es fast zwingend passieren, dass wir schon vor dem Ende des Monats blank dastehen: Auch Prompt-Profis bekommen eine Anfrage für ein Bild oder auch eine Textantwort nicht immer auf Anhieb perfekt hin. Mitunter soll auch Copilot schlechte Tage haben. Und wenn wir uns daran gewöhnen, werden wir die KI so oft brauchen, dass 15 oder auch 60 Credits schneller schmelzen als ein Laptop an der prallen Sonne.

Copilot schafft es, meine fiktive Reklamation von den schlimmsten verbalen Ausfällen zu befreien.

Zurück zum Windows-Editor: Bei dem stellt sich die Grundsatzfrage, ob er überhaupt KI-Funktionen braucht. Ich brauche dieses Programm vor allem, um Informationen zwischenzulagern und Dateien einzusehen (d.h. als Viewer). Dass ich wirklich Texte schreibe, kommt selten bis nie vor. Und selbst in den Ausnahmefällen wäre es ein Leichtes, eine Umschreibung mittels ChatGPT vorzunehmen und das Resultat per Copy-Paste zu übernehmen. Eine direkt in die Textverarbeitung eingebaute KI ist sinnvoll, wenn wir mit formatierten Dokumenten arbeiten, weil die Auszeichnungen beim Hin und Her mit ChatGPT unter Umständen verloren gehen. Doch da der Windows-Editor mit reinen Textdateien arbeitet, fällt dieses Argument flach.

Warum keine lokale KI?

Sinnvoll könnte die KI sein, wenn sie nicht in der Wolke sitzen würde, sondern direkt auf meinem PC. Genauso funktioniert es bei den Schreibwerkzeugen (Writing Tools) von Apple Intelligence; die arbeiten mit einem kleinen, lokal gespeicherten Sprachmodell. Wenn ich wüsste, dass ich mit Editor einen Text mit sensiblem Inhalt ohne Cloud bearbeiten kann, wäre das ein starkes Argument für diese neue Funktion. Da aber ohnehin alles auf Microsofts Server landet, bleibt nur der Schluss, dass das eine komplett sinnbefreite Neuerung ist, vor deren Verwendung abzuraten wäre.

Und es geht auch ums Prinzip: Ich finde, dass die Standard-Anwendungen des Betriebssystems wann immer möglich autonom, d.h. ohne Internetverbindung funktionieren sollten. Das gilt auch und insbesondere für den Windows-Editor.

Trotz dieses verheerenden Fazits noch einige Worte zur Funktion selbst:

  • Im Umschreiben-Menü gibt es die fünf Punkte Neu schreiben, Kürzen, Länger machen, Ton ändern und Format ändern.
  • Beim Ton haben wir Formell, Casual, Inspiration und Humor zur Auswahl.
  • Bei Format ändern gibt es die Varianten Absatz, Liste, Business, Akademisch, Marketing und Lyrik.

Ich nehme an, dass mit Format die Gliederung des Textes gemeint ist.

Test 1: Die entschärfte Beschwerde

Beim ersten Test habe ich eine Aufzählung mit (fiktiven) Beschwerden nach einem Hotelaufenthalt in schnoddriger Sprache verfasst und sie via Ton ändern > Formell umschreiben lassen. Editor liefert drei Varianten zurück, die sich nicht extrem unterscheiden. Die KI hat Kraftausdrücke wie «unter aller Sau» durch «äusserst unzufriedenstellend» ersetzt, doch sie bleibt in der Wortwahl nah an der Vorlage. Das ist nicht per se verkehrt, doch es schränkt die Einsatzmöglichkeiten auch beträchtlich ein. In ChatGPT, wo wir den Prompt selbst formulieren, könnten wir insbesondere die Anweisung geben, dass die Mängel nicht einzeln erwähnt, sondern bloss summarisch aufgeführt werden sollen; dass dafür aber Hinweise auf Konsumentenschutzgesetze sinnvoll wären, die ChatGPT natürlich selbst recherchieren müsste.

Negativ fällt auf, dass die KI in ihrer Fassung das scharfe S (ẞ) verwendet, obwohl mein Windows-System auf «Deutsch (Schweiz)» eingestellt ist.

Test 2: Humor ist, wenn man kein einziges Mal lacht

Beim zweiten Test habe ich eine Passage aus diesem Blogpost hier mit der Einstellung Ton ändern > Humor bearbeitet. Dabei verfälscht die KI die Anführungszeichen (sie verwendet Gänsefüsschen statt Guillemets) und ändert einige der Formulierungen auf eine Weise, die sich mir nicht erschliesst. Doch sie fügt absolut nichts ein, was irgendwie humorvoll wäre.

Das ist das Resultat der Umschreibung mit der Vorgabe «Humor» (links das Original, rechts die KI-Variante). Wer hier etwas Lustiges liest, soll sich bitte bei mir melden.

Beitragsbild: Wem geht es nicht so? (RobinHiggins, Pixabay-Lizenz)

One thought on “Die KI-Funktionen im Windows-Editor sind völlig unsinnig

  1. Der Editor hat immer noch Mühe mit grossen Dateien, kann kein Syntax-Highlighting, aber man kann sich mit seinem Microsoft Account einloggen und es gibt KI. Da hat Microsoft die Wunschliste der Benutzer ja 1:1 abgearbeitet.

    Wann kann ich mich endlich beim Taschenrechner mit meinem Konto anmelden?

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