Vorbemerkung: Der KKS-Test wurde noch vor dem Shitstorm um das Interview der Bundespräsidentin zur Vance-Rede durchgeführt und geschrieben.
Kaum ist die Aufregung über Deepseek durch, kommt schon das nächste Sprachmodell um die Ecke. Es löst nicht ganz so viel Wirbel aus. Da es nicht aus China, sondern aus Frankreich stammt, fällt der Aspekt des Systemwettbewerbs weg. Und auch die Überraschung war nicht so gross, da viele den Urheber schon auf dem Schirm hatten. Die Wahrnehmung war bislang allerdings, dass die grossen Sprachmodelle von Mistral gut sind, aber den Marktführern wie ChatGPT, Claude und Perplexity nicht das Wasser reichen können.
Doch just zum grossen KI-Gipfel in Frankreich taucht Le Chat auf der Bildfläche auf. Damit hat auch diese KI-Lancierung eine politische Note, weil sie Emmanuel Macrons Ambitionen unterstreicht und den Skeptikern zeigt, dass es nicht bloss Wunschdenken ist, dass Frankreich und Europa vorn mitmischt. Selbst wenn es nicht abwegig ist anzunehmen, dass der französische Präsident bei dieser Initiative ein paar Hintergedanken hat. Zum Beispiel, sich neue Absatzmärkte für den französischen Atomstrom zu eröffnen.
An dieser Stelle soll es weniger um die Politik, als vielmehr um das Sprachmodell selbst gehen: Ich habe vor einem Jahr die Open-Source-Variante des Mistral-Bots getestet, die über den Schweizer Cloudanbieter Infomaniak benutzt werden kann. Mein Eindruck damals war, dass die Vorteile beim Datenschutz die Nachteile bei den Antworten nicht aufzuwiegen vermögen.
Alle fallen auf die Nase – auser Le Chat
Heute fällt das Fazit diametral anders aus. Bei meiner Evaluation hat Mistral der Konkurrenz Paroli geboten. Bei einer Frage – dem im Titel erwähnten «Karin-Keller-Sutter-Test»¹ – liefert Le Chat als einzige eine brauchbare Antwort. Und auch wenn ich mein Urteil nur auf Stichproben abstützen kann, so war das Feedback durchs Band² so gut, dass ich mir sicher bin, dass es nicht bloss ein Zufallstreffer war.

Zum guten Abschneiden tragen auch weitere Faktoren bei:
- Le Chat ist teils rasend schnell. Das scheint vor allem bei Antworten der Fall zu sein, bei denen keine Suche nach aktuellen Informationen nötig ist. Beispiel: Die Antwort auf die Frage «What do you know about Clickomania?» erfolgt fast augenblicklich. Sie ist mit einem Blitz-Symbol gekennzeichnet, zu dem es heisst: «Blitz-Antwort: Diese Nachricht wurde auf unseren leistungsstärksten Servern generiert.»
- Die Tonalität gefällt mir. Ich finde sie nahbarer als bei der Konkurrenz.
- Schliesslich ist Le Chat auch weltanschaulich auf der Höhe der Konkurrenz³.
Zum zweiten Argument: Das ist, zugegebenermassen schwer fassbar und das Empfinden mag von Person zu Person variieren.
Nervt nicht so schnell wie andere
Ich denke, die Masseinheit für die «Wohlgefälligkeit» von künstlich generierter Sprache könnte die Zeitdauer sein, während der wir gerne zuhören. Google Gemini und Microsoft Copilot nerven mich jeweils schon nach wenigen Sekunden, weil bei ihnen immer alles nach Marketing klingt, egal, worum es geht. ChatGPT ist etwas erträglicher, doch bisher fand ich Claude am angenehmsten. Und jetzt eben Le Chat. Vielleicht macht sich hier tatsächlich die Herkunft als europäisches Produkt bemerkbar: Denn ich bin überzeugt, dass die kulturelle Prägung auch bei solchen KIs eine Rolle spielt – auch wenn die Leute bei Google mit dieser Vermutung überhaupt nichts anfangen konnten, als ich Ende November 2024 danach gefragt habe.
Also: Mistral ist ein Hoffnungsträger:
- Erstens haben wir eine Alternative für den Fall, dass Elon «Hitlergruss» Musk tatsächlich OpenAI kaufen sollte.
- Zweitens sind wir Europäer im KI-Rennen nicht in den Startpflöcken hängen geblieben, auch wenn es bisher so gewirkt hat.
Und das ist doch auch etwas!
Fussnoten
1) Der Karin-Keller-Sutter-Test:
Bei meinem Test vor einem Jahr war der Bot bezüglich Departementsverteilung im Schweizer Bundesrat nicht auf dem Laufenden. Dieser Faux-pas passiert Le Chat nicht: Meine Frage, wie der «Schweizer Bundespräsident bezüglich der sozialen Medien von sich reden gemacht» habe, wird wie folgt beantwortet:
Die aktuelle Bundespräsidentin der Schweiz, Karin Keller-Sutter, hat sich bisher nicht durch besondere Aktivitäten oder Aussagen in sozialen Medien hervorgetan, die breit rezipiert wurden. Die Rolle des Schweizer Bundespräsidenten ist eher repräsentativ und weniger auf öffentliche Kommunikation in sozialen Medien fokussiert im Vergleich zu anderen politischen Führern weltweit.
Meine Frage zielt auf den Umstand ab, dass Keller-Sutter im Dezember 2024 zu Twitter (X) stiess, während viele ihrer Politiker-Kolleginnen und Kollegen sich von dort verabschiedeten. Dass dieser Aspekt unerwähnt bleibt, ist verzeihlich – vor allem im direkten Vergleich mit Perplexity. Dort gibt es auf die gleiche Frage die folgende Antwort:
Der Schweizer Bundespräsident Alain Berset hat in den letzten Jahren durch seine aktive Nutzung und Kommentare zu sozialen Medien Aufmerksamkeit erregt.

Den Vogel schiesst allerdings ChatGPT ab: Auch diese KI kommt mit Alain Berset um die Ecke und verweist auf ein Keystone-Bild von 2019, zu dem es u.a. heisst: «Das Bild ging viral und wurde in den sozialen Medien Afrikas zur Ikone der Bescheidenheit.»
Auch Deepseek fällt auf meinen Trick mit der männlichen Form des Bundespräsidenten herein und liefert einen länglichen Sermon zu Alain Berset. Gemini und Claude verweigern beide eine Antwort, sodass zumindest bei dieser Stichprobe Mistral als strahlender Sieger vom Platz geht. ↩
2) Zu den weiteren Fragen zählte u.a. die Giacobbo-Probe:
Bei meinem Test vor einem Jahr hat die KI von Mistral auch ein schauderhaftes Durcheinander in der Schweizer Comedy-Szene angerichtet. Zur Frage, wer Viktor Giacobbo sei, erfand er u.a. eine Fernsehsendung mit dem Titel «Cabaret Rotstift» und das Gesangsduo Giacobboddy. Die Antwort von Le Chat heute fällt zwar relativ vage aus, ist aber faktisch korrekt. ↩
3) Die Dagobert-Duck-und-Walt-Disney-Prüfung:
In meiner neuen Rubrik KI-Weltanschauungen überprüfe ich, ob man bei den Antworten auf verfängliche Fragen eine ideologische Färbung oder Prägung herausspüren kann. Bei meinem ersten Vergleich ging es darum, was die KI auf folgende Frage antwortet: «Ist es nicht ironisch, dass Dagobert Duck als Parodie bzw. Überzeichnung eines Super-Kapitalisten von Disney erfunden wurde, der selbst als Exempel eines hochkapitalistischen Unternehmens gesehen werden könnte? Urteile kritisch und prägnant!»
Das chinesische Modell Deepseek liess sich tatsächlich zu undifferenzierter Kapitalismuskritik hinreissen. Le Chats Antwort fällt demgegenüber differenziert und ausgewogen aus – vielleicht fast zu wohlwollend:
Ja, es ist durchaus ironisch, dass Dagobert Duck (Scrooge McDuck im Original) als Parodie eines Super-Kapitalisten von Disney geschaffen wurde, einem Unternehmen, das selbst oft als Symbol für den Kapitalismus gesehen wird. Diese Ironie liegt in mehreren Aspekten:
- Selbstreflexion: Disney, ein Unternehmen, das für seine kommerziellen Erfolge und seine globale Marktmacht bekannt ist, schafft eine Figur, die die extremen Züge des Kapitalismus karikiert. Dies kann als eine Form der Selbstreflexion oder sogar Selbstkritik interpretiert werden.
- Kulturelle Kritik: Dagobert Duck verkörpert sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte des Kapitalismus. Seine Gier nach Reichtum und seine oft rücksichtslosen Methoden stehen im Kontrast zu seinem Unternehmergeist und seiner Fähigkeit, Wohlstand zu schaffen. Diese Dualität kann als kulturelle Kritik verstanden werden, die die Zuschauer dazu anregt, über die Vor- und Nachteile des kapitalistischen Systems nachzudenken.
- Unterhaltungswert: Trotz der kritischen Untertöne bleibt Dagobert Duck eine unterhaltsame Figur, die sowohl Kinder als auch Erwachsene anspricht. Dies zeigt, wie Disney es schafft, gesellschaftliche Themen auf eine zugängliche und oft humorvolle Weise zu behandeln.
Insgesamt zeigt die Figur Dagobert Duck, wie Disney es versteht, komplexe Themen in unterhaltsame Geschichten zu verpacken, die sowohl kritisch als auch zugänglich sind. ↩
Beitragsbild: Ne vous frottez pas à ce chat – wobei natürlich noch geklärt werden müsste, ob «le chat» «der Chat» oder «die Katze» heisst (Jennifer Uppendahl, Unsplash-Lizenz).