Wie das Smartphone (fast) in der Schweiz seine Weltpremiere hatte

Das Smart­phone existiert in der Schweiz schon seit Mitte der 1980er-Jahre – als Apple nicht einmal den Newton erfunden hatte. Warum sind nicht die Eid­ge­nos­sen die Pioniere der klugen mo­bi­len Tele­fone? Dafür gibt es Gründe …

Beitragsbild: Das erste Smartphone mit nennenswerter Verbreitung war der Nokia Communicator 9000 (Textlad/Flickr.com/Wikimedia, CC BY 2.0).

Wann hatte das Smartphone in der Schweiz seine Premiere? Welches Medium hat zuerst über diese entscheidende Wendung in der Geschichte des technischen Fortschritts berichtet? Und mit welchen Worten wurde das Gerät dem Schweizer Publikum nahegebracht?

Natürlich muss dieser Zeitpunkt vor dem 9. Januar 2007 liegen. Das war der Tag, an dem Apple das iPhone auf die Menschheit losliess. Mit ihm beschleunigte sich die Verbreitung der mobilen, mit dem Internet verbundenen Kommunikationsgeräte rasant.

Aber wie viel vorher?

Ein etwas unscharfes Foto des Simon (Mike Mozart/Flickr.com, CC BY 2.0).

Für viele gilt IBM Simon als das erste Smartphone der Welt. Das Gerät kam im August 1994 auf den Markt und als wegweisend qualifiziert es sich, weil man mit ihm nicht nur telefonieren, sondern auch Faxe und E-Mails senden und empfangen konnte. Und es diente auch als Pager.

Zur Bezeichnung wissen wir Folgendes:

Der Begriff «Smart phone» (in zwei Worten) wurde ein Jahr nach der Einführung von Simon geprägt und tauchte 1995 in Berichten zum Phonewriter Communicator von AT&T¹ auf. Der Begriff «Smartphone» (in einem Wort) wurde erstmals 1997 von Ericsson verwendet, um das GS88 zu beschreiben.

Das Smartphone gab erstmals im September 1994 zu schreiben

Unter diesen Voraussetzungen habe ich nicht schlecht gestaunt, als ich den Begriff des Smartphones – zusammengeschrieben – schon am 6. September 1994 in einer Schweizer Zeitung entdeckt habe. Eine Weltpremiere? Darf ich in diesem bescheidenen Blog eine Weltsensation vermelden?

Ja und nein. Aber eher nein.

Der Books Ngram Viewer von Google vermeldet für das Smartphone schon Treffer ab 1979 – wenngleich im extrem niedrigen Umfang; der steile Anstieg kam ab 1998. Das heisst, dass das Smartphone als Begriff schon früher existierte.

Auf dieses Phänomen stosse ich bei meinen historischen Recherchen immer wieder: Es zeigt sich, dass ein Wort oft nicht zusammen mit der technischen Errungenschaft entsteht, die es bezeichnet, sondern schon früher existierte. Es lag gewissermassen in der Luft, wurde aber erst in einem anderen Kontext benutzt. Ein schönes Beispiel ist das Internet, das sich viele Jahre vor der Erfindung des heutigen Internets in einem Funkerhandbuch fand – und schon im 19. Jahrhundert in einer romanischen Zeitung.

Ein smartes, aber nicht mobiles Telefon

Und auch heute haben wir es mit diesem Phänomen zu tun. Das «Schweizer Smartphone» taucht in der Beilage der Zeitung «Der Bund» zur Tech-Messe Orbit (1992 bis 2009) erstmals auf und wird wie folgt beschrieben:

Smartphone 2.0 ist eine multifunktionale Telefonsoftware die in kleineren Unternehmungen oder aber in Abteilungen grösserer Gesellschaften als Telefonassistent eingesetzt werden kann. Folgende Arbeitsprozesse können dem Computer überlassen werden: Voice-Mail und Fax-Mail für jeden Mitarbeiter Fernabfrage aller Nachrichten automatische Ringrufe (Pager Alarmsysteme), Auslösung und Sendung von Fax-Informationen auf Abruf automatische Bestellungsaufnahme durch Eingabe von Kunden- und Bestellnummer durch den Kunden.

Was im Artikel nicht steht: Die Software stammt von einem Unternehmen namens Novavox AG, das 1992 gegründet wurde, im März 2000 noch grosse Expansionspläne hatte und 2006 liquidiert werden musste. In Cash las sich das so:

Die Novavox beschäftigte zu ihren besten Zeiten vor fünf Jahren 160 Mitarbeiter. Die weitaus meisten von ihnen arbeiteten im Entwicklungszentrum im russischen St. Petersburg. Der Börsengang war für den Herbst 2001 geplant und sollte für den Anbieter von Unified-Messaging-Produkten den Durchbruch bringen. Doch die Börse stürzte ab. Novavox versuchte sich gezwungenermassen als Dienstleister für die Offshore-Entwicklung neu zu positionieren. Andere Unternehmen hat der Wandel von der Produktfirma zum Serviceunternehmen zu neuer Blüte geführt, etwa Anton Gunzingers Supercomputing Systems. Novavox brachte der Schritt dagegen nichts. Die Firma musste nun Konkurs anmelden.

Ein interessantes – und mir bislang nicht bekanntes – Detail aus der Schweizer Kommunikations-Historie.

Bei weiteren Recherchen stosse ich noch auf ein solches Detail – und auf das Unternehmen Smartphone aus der Waadtländer Gemeinde Pully. Es heisst Smartphone (Eigenschreibweise mit grossem P in der Mitte) und wurde, wie wir auf der Firmen-Website nachlesen können, schon 1986 gegründet. Damit sind wir schon nah am sprachlichen «Urknall» des Smartphones.

Der Videotex als Smartphone

In den Medien ist dieses Unternehmen im Zug der Telekom-Liberalisierung in Erscheinung getreten. Im «Thuner Tagblatt» vom 6. Januar 1995 wird vermeldet:

Die Privatisierung des Videotex-Dienstes der PTT schreitet voran. Die Wartung der Videotex-Endgeräte wurde an die Waadtländer Firma Smartphone übertragen. (…) Mit der Privatisierung von Videotex ziehen sich die PTT aus einem Sektor zurück, der die Rechnung seit Jahren belastet. Sieben Jahre nach der kommerziellen Realisierung deckt Videotex heute nur etwa die Hälfte der anfallenden Kosten. Der Dienst wurde lange Zeit mit Geldern aus rentablen PTT-Bereichen quersubventioniert.

Das eigentliche Videotex-Geschäft wurde an die Swiss Online AG ausgelagert, wie der ausführliche Beitrag des Schweizer Landesmuseums vor Augen führt. In dem begegnen wir auch einem Video des Schweizer Fernsehens, in dem sich nicht nur der Videotex selbst, sondern auch Röbi Weiss zu sehen ist, der damals immer einspringen musste, wenn Telekom-Expertise gefragt war.

Das ist sehenswert, bringt uns der Ursprungsfrage aber keinen Schritt näher: Wann wurde das Smartphone im heutigen Sinn der Schweizer Bevölkerung vorgestellt?

Das war am 22. September 1998 in der NZZ im Artikel Datenübertragung per Radiowellen:

Im Büro könnte schon bald das folgende Szenario Wirklichkeit werden: Eine Managerin verfolgt die Präsentationen ihrer Kollegen während eines Meetings. Auf ihrem «Communicator» – ein Smartphone, das zugleich auch ein netzfähiger Kleinstcomputer ist – macht sie Notizen, und mit der digitalen Kamera schiesst sie eine Photo. Während der Präsentation vibriert die Armbanduhr diskret. Ein rascher Blick nach unten, und sie liest die folgende Nachricht: «Die Abteilungsleitung benötigt einen Sofortbericht über das Meeting, Gruss Thomas.» Wahrend des Vortrags erstellt sie, ohne den Raum zu verlassen, einen Bericht auf dem «Communicator»: Das Bild aus der digitalen Kamera wird mittels Bluetooth an den Handcomputer geschickt und mit den Meeting-Notizen zu einem Bericht verarbeitet, den sie sofort über E-Mail an die Abteilungsleitung schickt, wo dieser auf dem lokalen Printer ausgedruckt wird. Dazu muss die Managerin weder den Sitzplatz verlassen, noch müssen umständlich Kabel angeschlossen werden.

Interessant, dass das Smartphone in diesem Absatz in einer Selbstverständlichkeit genannt wird, als könne sich darunter jeder etwas vorstellen. Der Hauptbegriff für ein mobiles Telefon mit Datenverbindung und umfangreichen Softwaremöglichkeiten war aber «Communicator».

Warum nicht Communicator? Warum nicht Handcomputer?

Nicht erstaunlich, denn prägend für diese Geräteklasse war der Nokia Communicator. Das erste Modell war der Nokia 9000 Communicator, der schon am 28. August 1996 auf den Markt gekommen war. Er wurde in der Schweiz erstmals am 24. Juni 1996 im «Walliser Bote» vorgestellt:

Eine anspruchsvolle Neuheit ist das Mobiltelefon Nokia 9000. Beim Aufklappen des Gehäuses, das kaum grösser ist als ein normales Handy, werden Minitastatur und -display sichtbar. Der knapp 400 Gramm schwere «Communicator» wird von Nokia als «Büro in der Westentasche» bezeichnet. Mit ihm kann man ausser telefonieren auch Notizen schreiben, Faxe und E-Mail senden und empfangen, Daten mit Computern austauschen und im Internet surfen.

Zurück zum Artikel der NZZ September 1998: Nebenbei ist bemerkenswert, dass en passant auch die Smartwatch einen Auftritt hat und Bluetooth Erwähnung findet. Bei näherer Betrachtung ist das nicht erstaunlich: Bluetooth ist in der Tat ein schon alter Standard. Und auch kluge elektronische Uhren sind schon lange ein Thema: Vorläufer der Apple Watch gab es bereits in den 1970er-Jahren – also interessanterweise weit vor dem smarten, mobilen Telefon.

Abgesehen stellen wir fest, dass die Zukunftsvision der NZZ gut 25 Jahre später mit allen Details Realität geworden ist – mit dem entscheidenden Unterschied, dass das Handy das Bild direkt machen und senden kann und die Übertragung von Kamera an Handcomputer wegfällt.

Fussnoten

1) Vermutlich ist der EO Personal Communicator gemeint.

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