Neulich habe ich auf Facebook eine interessante Entdeckung gemacht. Ich habe mich ziellos durch die Einstellungen geklickt und bin irgendwann mal so tief in diese Wirrnis vorgedrungen, dass ich auf eine Rubrik gestossen bin, in der Facebook angibt, welche Werbeinteressen man mir unterstellen zu können glaubt.
Das sind über vierhundert Interessen; 420 Einträge, um genau zu sein. Ich habe sie mit wachsender Neugierde studiert. Denn in ein paar Fällen liegt Facebook richtig. Doch die allermeisten Dinge, die mir hier attestiert werden, interessieren mich nicht. In manchen Fällen weiss ich nicht einmal, worum es sich handeln könnte. Das bringt mich zu einem harten Fazit und einer gewagten Theorie.
Bevor ich hier die Resultate im Einzelnen aufschlüssle, noch der Hinweis in den Fussnoten¹, wo ihr diese Werbeinteressen findet, falls ihr das gleiche Experiment für euch selbst wiederholen möchtet. Aber seid gewarnt: Dieses Facebook ist inzwischen weniger übersichtlich als der Konfigurationsdialog von Microsoft Office – und das will etwas heissen.
Da stimmt fast gar nichts
Aber jetzt geht es ans Eingemachte:
- Von den 420 Einträgen sind 134 zutreffend und 286 unzutreffend. Das ist eine Trefferquote von nicht einmal einem Drittel (31,9 Prozent). Das ist massiv schlechter als bei Google, wo ich das gleiche Experiment ebenfalls durchgeführt habe.
- 72 Einträge sind so unspezifisch, dass es mir schwerfällt zu beurteilen, ob überhaupt ein Interesse vorliegt. Beispiele sind: Nährstoff, Maschine, Hobby, Papier, Hochzeiten, Wissen, Genuss, Asien oder Risiko. In allen diesen Bereichen gibt es Aspekte, für die ich mich schon erwärmen könnte. Aber ich kann nun nicht behaupten, dass ich alles über Asien wissen will oder mich mit jedem Detail befassen möchte, das man über Papier in Erfahrung bringen könnte. Es gibt auch Einträge wie «Schalter» in der Liste. Ist ein Lichtschalter gemeint? Ein Tresen bei der Bahn oder bei einer Behörde?
- Gleichzeitig gibt es auch zu spezifische Einträge: American Cinematographer, das F-Bajonett von Nikon, die Lieferkette, eine Gravur, Digitale Kinokameras oder Künstlerbücher. Irgendwie finde ich diese Dinge schon interessant, aber auch nicht so, dass tagtäglich etwas dazu auf Facebook würde sehen wollen.
- Bei 17 Dingen habe ich keine Ahnung, worum es sich handeln könnte und warum ich mich damit beschäftigten sollte. Zu diesen Stichworten zählen u.a. American Veterinary Medical Association, Vietnam Veterans Memorial, Wistia, PowToon, National World War 11 Memorial, World War 11 Online, Kulturapfel, Samyang Optics und Essayfilm.
- Bei gut einem Dutzend Punkten hat Facebook Abneigung mit Interesse verwechselt: Geländewagen, Autos, Lastwagen, Mercedes-Benz, Kreuzfahrten, Volkswagen, Kia Motors, Range Rover, Fiat, Jaguar Cars, Penny, Mitsubishi und Rindfleisch.
- Und bei einem Punkt bin ich ins Grübeln gekommen. Ist der nun richtig, falsch oder keines von beidem?
Dieser Punkt lautet «Frau (Persönliche Identität)». Will mir Facebook sagen, dass ich trans oder divers bin und das nur bisher nicht gemerkt habe?
Bei oberflächlicher Betrachtung …
Nun, ich bin fürs Thema offen, aber mich wegen einer Geschlechtsdysphorie aktiv zu bewerben, wäre keine aussichtsreiche Investition. Das männliche Geschlecht würde mich als persönliche Identität genauso interessieren, es taucht in der Liste aber nicht auf. Generell finde ich den Geschlechterkampf derzeit eher ermüdend als erhellend, und auf Facebook will ich ihn sowieso nicht abhalten. Darum bleibt mir nichts anderes übrig, als das zu den groben Fehleinschätzungen zu zählen.
Fazit: Das ist für mich absolut verblüffend, wie heftig und wie oft Facebook hier daneben haut. Erinnert ihr euch noch Aussagen, wie gut uns Facebook angeblich anhand von einigen wenigen Likes einschätzen könne? So hat das 2013 «Die Zeit» berichtet:
Schwul oder hetero, Christ oder Moslem, konservativ oder liberal – das will nicht jeder über sich verraten. Doch es lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit aus den «Gefällt mir»-Klicks schlussfolgern, die Menschen im sozialen Netzwerk Facebook verteilen. Das fanden britische Forscher bei einer Untersuchung von 58 000 Facebook-Nutzern in den USA heraus. Mit einer Computeranalyse der «Likes» lassen sich Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit, sexuelle Orientierung und politische Einstellung der Nutzer erstaunlich genau vorhersagen, berichten die Sozialwissenschaftler in den «Proceedings» der US-Nationalen Akademie der Wissenschaften.
Aber Facebook hat nicht gemerkt, dass ich seit bald vier Jahren Vegetarier bin? Ich habe darüber gebloggt und die Blogposts auch auf Facebook veröffentlicht. Facebook hat meine Abneigung gegen SUVs verkannt und sie ins Gegenteil verkehrt?
Und all die Dinge, die Facebook nicht über mich geschnallt hat!
Ja, wenn man sich überlegt, welche Interessen ich auf Facebook kundgetan habe, die aber keinen Eingang in die Liste gefunden haben, dann steht diese Aufstellung noch viel schlechter da. Mein Interesse für den Laufsport, für Sciencefiction-Filme, fürs Programmieren – diese und noch viele weitere Dinge fehlen schlicht.
Wir kommen an dieser Stelle nicht umhin, uns zu fragen, ob das Targeting bei der Werbung über all die Jahre gar nicht so gut funktioniert hat, wie man uns weismachen wollte.
Warum? Haben sich die Tech-Unternehmen einfach besser dargestellt, als sie es sind? Haben Sie es zugelassen, dass dieser Eindruck entsteht? Hatten sie einfach keine Lust, öffentlich zu kommunizieren, mit welchen Ungenauigkeiten die Profilierung von uns Nutzerinnen und Nutzern behaftet ist und wie gross der Anteil der Fehleinschätzungen und Falschinterpretationen ist?
Verschwörungstheorie gefällig?
Man könnte an dieser Stelle auf die Idee kommen, eine verschwörungstheoretisch angehauchte Unterstellung ins Spiel zu bringen. Die würde unter dem Strich so lauten, dass die Werbe-Unternehmen mit voller Absicht das Image gepflegt haben, ihre Algorithmen seien unfehlbar und wir als Nutzerinnen und Nutzer des Webs anhand ein paar Likes komplett zu durchleuchten.
Der Grund liegt auf der Hand: Dieser Irrglaube wäre der Garant, dass das Werbegeld weiterhin fröhlich fliesst:
Es gehört zu Facebooks und Googles Geschäftsmodell, Leute mit bestimmten Interessen mit jenen Unternehmen zusammenzubringen, die entsprechende Produkte anzubieten haben. Damit das funktioniert, braucht es immer ein genügend grosses Publikum, das entsprechend bewirtschaftet werden kann. Indem die Interessen grosszügig attribuiert werden, ist das sichergestellt. Das ist lukrativer, als einem potenziellen Werbekunden zu sagen, dass seine Kampagne Geldverschwendung wäre, weil es keine entsprechende Zielgruppe gibt.
Die kochen auch nur mit Wasser (und das ist bloss handwarm)
Habe ich eine riesige Verschwörung aufgedeckt, bei der die Werbekunden seit Jahren gewaltig an der Nase herumgeführt werden? Und war die Wirtschaft in ihrer Blauäugigkeit immer bereit, ihr Geld zu Google und Facebook zu tragen, ohne einmal genau hinzusehen, ob das eigentlich funktioniert?
Ich polemisiere … allerdings nur ein wenig. Die gute Nachricht aus Sicht von uns Nutzerinnen und Nutzern ist, dass die Profilierung, deretwegen wir angeblich alle nackt im Netz sind, doch gewaltige Fehler aufweist.
Fussnoten
1) Hier die Anleitung zum Klickmarathon, wie ihr eure eigenen Werbeinteressen findet (im Idealfall): Ihr klickt aufs Benutzer-Icon rechts oben, dann auf Einstellungen und Privatsphäre und auf Einstellungen. Nun scrollt ihr am linken Rand runter bis zum Abschnitt Deine Informationen und klickt hier auf den Punkt Auf deine Informationen zugreifen. Nun heisst es womöglich, diese Ansicht sei in der Kontenübersicht zu finden, woraufhin ihr auf Weiter klickt und bei der gewünschten Übersicht mit den Aktivitäten landet. Ihr sucht Deine Informationen > Protokollierte Informationen; im Idealfall sollte dieser Bereich unter diesem Link hier zu finden sein. Nun klickt ihr im Abschnitt Andere Protokollierte Informationen auf Werbeinteressen. ↩
Beitragsbild: Schau mal, dieses Werbeinteresse hier könnte tatsächlich stimmen! (John Schnobrich, Unsplash-Lizenz).