Die grossen Sprachmodelle werden menschlicher …
… hätte ich fast geschrieben. Aber das werden sie natürlich nicht. Es sind und bleiben Softwareprogramme, die im Speicher eines Computers existieren. Was sich aber unzweifelhaft verändert, ist ihre Fähigkeit zur Imitation. Bisher konnten Bots wie ChatGPT und ihresgleichen uns auf intellektueller Ebene nachahmen.
Doch jetzt ist eine Entwicklung absehbar, bei der die Maschinen auch die vielfältigen Gefühlsregungen simulieren, die wir Menschen in Echt erleben. Und es scheint, als ob bei der Interaktion eine grosse Hürde fallen wird: Statt über ein dröges Texteingabefeld und eine Tastatur werden wir wohl bald mit den Sprachmodellen plaudern. Per Kamera wird die KI wissen, was um uns herum läuft und welchen Gesichtsausdruck wir zur Schau tragen. Das ist in gleichem Mass eindrücklich wie einschüchternd.
Die KI als omnipräsenter Freund
Wohin die Entwicklung geht, lässt anhand von GPT-4o alias Omni erahnen, der diese Woche das Licht des Internets erblickt hat. Der Weg zum Computer als Freund und digitale Begleiterin scheint mir geebnet. Und uff, das wird noch eine Herausforderung sein!
Ich frage mich an dieser Stelle, ob es sich überhaupt lohnt, einen Test von Pi zu schreiben. Pi ist, nach eigenem Bekunden, eine «persönliche KI» – also etwas, worauf auch ChatGPT mit seiner artificial empathy zusteuert.
Aber der Test lohnt sich, weil Pi kostenlos ist. Und nicht bloss eine auf Zuneigung getrimmte Variante eines altbekannten Modells wie ChatGPT dahintersteckt, sondern eine eigene LLM. Hier gibt es eine technische Abhandlung:
Wir bringen Inflection-2.5 auf den Markt, unser verbessertes hauseigenes Modell, das mit allen weltweit führenden LLMs wie GPT-4 und Gemini konkurrenzfähig ist. Es verbindet grundlegende Fähigkeiten mit unserer charakteristischen Persönlichkeit und einer einzigartigen, einfühlsamen Feinabstimmung.
Und nicht nur das:
Inflection-2.5 kommt an die Leistung von GPT-4 heran, benötigt aber nur vierzig Prozent der Rechenleistung für das Training.
Die KI will eine Art Lebensberater sein, dem wir Fragen zum Alltag stellen – Wie schlafe ich besser? Was kann ich kochen? Wie teile ich meinen Tag sinnvoll ein? –, mit dem wir aber auch einfach nur übers Multiversum, über Taylor Swift oder das miese Wetter plaudern können. Die KI gibt sich anteilnehmender als die ihre im Schnitt distanzierteren Artgenossen. Das gibt den Konversationen einen persönlicheren Drall, verändert das Erlebnis jedoch nicht grundsätzlich.
Trotzdem hat ein Autor bei «Forbes» Pi zu seiner Lieblings-KI erklärt und das wie folgt begründet:
Beim Test von Pi wirkte ihr Interview einfach natürlicher. Ich habe sie (sic!) gebeten, ein paar Sprüche zu klopfen und ihre Persönlichkeit in das Interview einzubringen.
Ich habe keine nächtelangen Gespräche mit Pi geführt, aber ich kann diese Einschätzung nachvollziehen. Mit einer Einschränkung allerdings: Wenn wir den Turing-Test nicht auf einer intellektuellen, sondern auf einer intuitiven Ebene anwenden, dann fällt auch Pi durch – genauso, wie alle anderen Modelle, mit denen ich es zu tun hatte.
Es menschelt einfach nicht
Es ist und bleibt spürbar, dass dieses Gegenüber typische Mankos hat. Es gibt keine Anekdoten, die von echter Lebenserfahrung und eigenen Erlebnissen zeugen würden. Die irrationalen Momente fehlen, die von menschlichen Gedankensprüngen zeugen – und von der Tatsache, wie leicht man uns ablenken kann. Das Gefühl, es fehle etwas, hat damit zu tun, dass eine Konversation zwischen Menschen selten wie auf Schienen verläuft, sondern von unvorhersehbaren Wendungen lebt.
Vielleicht kann ich diese schwer beschreibbare Sache, die weniger eine kopflastige Erkenntnis als vielmehr eine urtümliche Instinktreaktion ist, auch so erklären, indem sich die physische Präsenz eines realen Wesens auch via Bildschirm manifestiert. Und ja, mir ist völlig klar, dass das metaphysisch oder vielleicht sogar esoterisch klingt. Aber ich empfinde das trotzdem als stimmig.
Zusammen schweigen?
Und dieser Aspekt wird sich, davon bin ich überzeugt, nie simulieren lassen. Es bleibt schliesslich auch eine unverrückbare Tatsache, dass wir auch mit einer KI wie Pi nicht auf eine Parkbank sitzen könnten, um Schulter an Schulter zusammen zu schweigen. Und wir können mir ihr nicht in die Kiste steigen, selbst wenn uns danach wäre.
Denn machen wir uns nichts vor: Die Frage nach (Verbal-)Erotik stellt sich unweigerlich, wenn eine persönliche Beziehung zur Diskussion steht. Pi beantwortet sie ohne Raum für Missverständnisse:
Als KI habe ich keine persönlichen Gefühle zu sexuellen Dingen, aber ich kann sie objektiv diskutieren. Allerdings bin ich darauf programmiert, mich nicht an expliziten sexuellen Beschreibungen oder sexuell anzüglichen Diskussionen zu beteiligen. Ich kann Fragen zum Thema Sex beantworten, aber ich kann keine Rollenspiele machen oder mich auf sexuelle Gespräche mit dir einlassen.
Damit bleibt es dabei: Wer Spass daran hat, muss es mit der (inzwischen leider zensturierten) Replika.ai probieren oder mit der Pirr-App (Eine KI für erotische Fantastereien) einen Versuch unternehmen. Für Plaudereien zum Zeitvertreib über Gott und die Welt empfehle ich Pi aber gern.
Beitragsbild: Allem Fortschritt zum Trotz besser, als mit der KI zu plaudern (Andre Furtado, Pexels-Lizenz).