Religiöse Fundis auf Facebook

In den sozialen Medien bekommen wir es in letzter Zeit oft mit Missio­naren zu tun, die mut­mass­lich zu Sekten gehören. Sie nutzen den Face­book-Algo­rith­mus und die mangeln­de Trans­pa­renz aus.

Beitragsbild: Dann das Zweite, bitte (David Woroniecki, son of preacher Michael Woroniecki, with instructive sign for football fans on Michigan State’s campus, Saraware/Wikimedia, CC BY 3.0)

Das Phänomen ist nicht neu – aber es hat in den letzten Tagen und Wochen an Intensität gewonnen. Es handelt sich um religiöse Fundamentalisten, die ihre Botschaften über die sozialen Medien, vor allem Facebook, unter die Leute bringen und direkt missionieren. Das hat mehrere Ausprägungen:

Eine Variante hat Mimikama, ein österreichisches Portal gegen Internetmissbrauch, vor ein paar Tagen publik gemacht. Bei diesem Trick werden Leute mit harmlosen Fragen in vermeintlich harmlose Facebook-Gruppen wie «Sprüche und Grüsse» gelockt. Die Fragen lauten zum Beispiel «Wie und wo habt ihr euren Lebenspartner kennengelernt?» oder, via Gruppe «Omas altes Rezept», «Welche Zutat ruiniert ein Gericht für dich?».

Ein simpler Trick für virale Aufmerksamkeit

Weil die Fragen so niederschwellig sind, werden sie gern und oft kommentiert. Das wiederum führt dazu, dass sie der Facebook-Algorithmus auch den Leuten präsentiert, die mit den Kommentatoren befreundet sind – wodurch sich schnell eine grosse Reichweite ergibt. Ich hatte selbst einige dieser Postings in meinem Feed und dabei festgestellt, dass einige meiner Freunde den Braten gerochen haben: Sie haben leicht trollige oder moderat blasphemische Antworten verfasst. Das ist lustig, verstärkt die Reichweite der Beiträge aber natürlich trotzdem.

Schon das Durcheinander bei der Anrede lässt Schlimmes befürchten.

Wie man bei Mimikama erfährt, erhalten viele der Leute, die unter solchen Beiträgen kommentiert haben, eine Direktnachricht, in denen sie zu Online-Predigten eingeladen werden. Offenbar hatte auch der Autor des Beitrags keine Lust, sich die Predigt anzuhören und dabei vielleicht zu erfahren, wer dahintersteckt. Jedenfalls bilanziert er am Schluss: «Wer sich hinter diesen Seiten und Gruppen verbirgt, kann nicht gesagt werden. Auch nicht, ob es sich zu hundert Prozent um eine Sekte handelt. Tatsache ist, dass es sich um religiösen Fundamentalismus handelt.»

Eine chinesische Sekte?

Eine Vermutung bezüglich Urheberschaft wird im Beitrag geäussert. Der zielt auf die «Kirche des allmächtigen Gottes», eine chinesische Sekte.

Es ist jedoch nicht unbedingt nötig, dass wir solche Beiträge kommentieren, um missioniert zu werden. Ich habe die Aufforderung, an einer Online-Predigt teilzunehmen, auch von einer Person bekommen, mit der ich über den Freund eines Freundes bekannt bin. Nach meiner Antwort, ich sei «bekennender Agnostiker», war dieser Austausch bereits wieder zu Ende.

Ich habe eine simple Ansicht zu derlei Aktivitäten: Ich missioniere niemanden und erwarte im Gegenzug, auch nicht missioniert zu werden. Aber klar: Wenn wir uns für freie Meinungsäusserung einsetzen, dann müssen wir uns damit abfinden, dass auch Leute wie diese Jesus-Freaks davon Gebrauch machen und uns via soziale Netze damit behelligen. Eine interessante Frage wäre, ob es nötig ist, dass der Facebook-Algorithmus diese Gruppierungen bei ihren Rekrutierungsbemühungen aktiv unterstützten sollte, so wie er es derzeit tut.

Opt-out bei der Religion

Ich sehe das als grundsätzliche Kritik am Algorithmus: Es zeigt sich, dass es unweigerlich problematisch wird, sobald irgendeine Gewichtung stattfindet. Mark Zuckerberg könnte diesem Dilemma nur entgehen, wenn er auf die rein chronologische Darstellung des Feeds zurückkehren würde.

Das wird er natürlich nicht tun. Aber ich könnte mir eine Art Kompromiss vorstellen, der solche Gruppen- bzw. Seitenbetreiber dazu verpflichten würde, ihre religiösen Absichten zu deklarieren. Falls sie es nicht tun, würden die Gruppen und Seiten geschlossen. Und wir Facebook-Nutzerinnen und Nutzern sollten eine Option erhalten, dass wir von religiösen Inhalten verschont werden.

Ich stelle mir das als simple Checkbox vor: «☑ Ich möchte keine religiösen Beiträge in meinem Feed sehen.»

Apropos: Die Abtreibungsgegner und die sozialen Medien

Hanebüchener Blödsinn auf Facebook.

Übrigens: Mit einer gewissen Genugtuung habe ich festgestellt, dass der «Verein Mamma» per Ende 2022 seine Aktivitäten auf Facebook eingestellt hat. Dieser Verein setzt sich gegen die Abreibung ein und hat auch von völlig verdrehter Propaganda nicht zurückgeschreckt («Abtreibung als Mutter aller Kriege») und mich auf Facebook mit derlei Werbung eingedeckt – warum auch immer ich ins Targeting gepasst habe.

Dieser Verein deklariert sich auf Facebook als gemeinnützige Organisation. Auf seiner Website macht er keinerlei Angaben, wer ihn betreibt und finanziert. Die «BZ Basel» hat im Oktober 2022 aufgezeigt, dass dahinter die Stiftung Schweizerische Hilfe für Mutter und Kind (SHMK) stehe. Die wiederum ist auch auf anderen Social-Media-Kanälen aktiv: Radikale Abtreibungsgegner machen auf Instagram Jagd auf verunsicherte Schwangere, heisst das bei «Watson».

Auch da scheint es mir klar, dass das eine Form der Meinungsäusserung ist, die auch in den sozialen Medien grundsätzlich erlaubt sein muss. Aber es wäre wichtig, dass die Betreiber der Plattformen für Transparenz sorgen und bei solchen Werbebotschaften darauf hinweisen, dass die nicht von neutralen Quellen stammen, sondern von Akteuren mit einer politischen Agenda.

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