Uns Geeks wird hier eine Menge abverlangt

Wil Wheaton hat ein auto­bio­gra­fisch gefärb­tes Buch geschrie­ben. In «Still Just a Geek» gibt es ein paar Erleb­nis­se mit William Shatner und Patrick Stewart – und leider erzäh­lerisch zu viele und zu grosse Lücken.

Eine literarische Gattung, die in den Buchhandlungen ein eigenes Regal verdienen würde, sind Autobiografien von Leuten, die in «Star Trek» mitgespielt haben. Davon gibt es viele. Einige davon habe ich gelesen, bzw. als Hörbuch gehört:

I Am Spock von Leonard Nimoy (Ich bin Spock), To the Stars von George Takei und «Warped Factors» von Walter Koenig (Serienstar ist auch nur ein Scheissjob) gehören in die Reihe. Von William Shatner alias Captain James T. Kirk gibt es geschlagene vier Werke in meiner Bibliothek: nämlich Leonard, Star Trek Memories, Star Trek Movie Memories und Up till Now.

Aber wie angedeutet, sind das längst nicht alle Biografien, die es zu TOS zu lesen bzw. zu hören gäbe. Es existieren noch mindestens zwei, die ich bislang ausgelassen habe: Auch Michelle Nichols hat in die Tasten gegriffen (Beyond Uhura), ebenso DeForest Kelley (Up Close and Personal). Die würden mich schon reizen. Allerdings: Wie oft will man sich die gleichen Anekdoten aus unterschiedlichen Perspektiven zu Gemüte führen¹? Der einzige, der seine Erfahrungen für sich behalten hat, ist offenbar James Doohan, alias Scotty. Aber ich würde nicht ausschliessen, dass irgendwann auch ein Manuskript auftaucht. (In Zeiten von ChatGPT ist das deutlich wahrscheinlicher geworden.)

Auch Wil Wheaton alias Wesley Crusher hat ein Erinnerungsbuch in petto

Der alte Wil (hinten) hat das Buch des jungen Wil (vorn) nochmals in die Finger genommen.

Also, was diese literarische Gattung angeht, habe ich den Sprung zu TNG gewagt. Vor einem Jahr hat Wil Wheaton mit Still Just a Geek ein eigentliches Monumentalwerk vorgelegt. Er hat in der «Star Trek»-Neuauflage von 1987 bis 1994 den Fähnrich Wesley Crusher gespielt; doch ihn auf diese Rolle zu reduzieren, wäre zu kurz gegriffen. Gerade auch bezüglich dieses Werks, das sich weniger um diese Rolle, als vielmehr und den langen und beschwerlichen Kampf dreht, der nötig war, um sie abzuschütteln.

Ich kann nicht sagen, dass es «Still Just a Geek» seiner Leserschaft einfach machen würde. Ganz im Gegenteil – und darum kann ich es leider an dieser Stelle nicht vollen Herzens empfehlen. Mir ist Wheaton zwar zutiefst sympathisch und ich bewundere seine schonungslose Offenheit und die gnadenlose Selbstkritik. Aber!

Das erste Problem dieses Buchs ist seine Form. Es basiert auf den Blogposts, die Wheaton ab 2001 auf wilwheaton.net veröffentlicht hat. Diese Blogposts hat er 2004 in Buchform als «Just a Geek» veröffentlicht. Und «Still Just a Geek» aus dem April 2022 ist eine überarbeitete, mit Anmerkungen versehene Neuauflage dieses Werks.

Umständlicher geht es kaum

Das heisst, dass sich im Buch drei Fassungen der Texte gewissermassen überlagern: Originalpost, erste Buchfassung und die Anmerkungen der zweiten Buchfassung. Und als ob das nicht umständlich genug wäre, gibt es in der Hörbuchfassung weitere Anmerkungen, die Wil Wheaton offenbar mehr oder weniger spontan während des Einsprechens vorgenommen hat – denn natürlich liest er sein Hörbuch auch selbst.

Das ist selbst für einen Nerd wie mich schwer verdaulich. Vor allem als Hörbuch leidet unter dieser Voraussetzung: Es ist kaum zu unterscheiden, wann wir den Originaltext und wann die Anmerkungen zu hören bekommen. Wheaton gibt zu Beginn zwar eine Anleitung, wie stimmlich zwischen alt und neu differenziert. Das mag für ihn einleuchtend sein, aber was mich angeht, macht das die Sache viel zu wenig klar. Im gedruckten Buch lässt sich die Unterscheidung typografisch lösen, und im Hörbuch hätte man zwingend akustisch für eine Unterscheidungshilfe sorgen müssen; beispielsweise, indem die älteren Passagen nach Opas Dampfradio klingen.

Ich neige an dieser Stelle jedoch dazu, dass die Form gänzlich infrage zu stellen: Ich bin überzeugt, dass das Buch enorm gewonnen hätte, wenn Wheaton anhand des alten Materials ein neues Manuskript verfasst hätte. Das liegt auf der Hand: Ein autobiografisches Buch ist eine andere Textsorte als ein Blogpost. Und diese Diskrepanz offenbart sich bei «Just a Geek» leider fast bei jeder Zeile.

Das Buch strotzt vor Wiederholungen: Bei einem Blogpost, der für sich stehen soll, müssen viele Voraussetzungen geklärt werden. In einem Buch sind derlei Erläuterungen unnötig, wenn sie die Leserschaft noch aus früheren Kapiteln gegenwärtig hat. Vor allem aber braucht ein Buch unbedingt eine andere Struktur als ein aus Einzelbeiträgen bestehendes Blog: Es erzählt entweder chronologisch eine fortlaufende Geschichte oder aber es geht die wichtigen Themen nacheinander an.

Ermüdende Redundanzen

Das passiert leider nicht. Es kommen abwechselnd immer die gleichen Themen hoch, was spätestens ab der Hälfte des Buchs ermüdend wirkt. Und wirklich nervig wird die Redundanz, wenn sich Wheaton zum x-ten Mal entschuldigt, weil er sich vor zwanzig Jahren sexistisch geäussert hat². Er hat damals auch andauernd das Wort lahm (lame) verwendet, das heute als Ableismus gilt – und das hat im Hörbuch ständige Beteuerungen zur Folge, er sei sich dieser Kränkungen heute bewusst.

Die Form bringt es auch mit sich, dass das Buch das Versprechen im Untertitel («An Annotated Memoir») nicht einlöst. Eine Sammlung von Blogposts ergeben keine «kommentierte Memoiren». Blogposts bestehen typischerweise in einem analytischen Kommentar zu einem Ereignis, die auch gerne salopp und mitunter oberflächlich abgefasst sind. Eine Autobiografie ist eine Lebenserzählung. Sie darf natürlich auch analytische Passagen enthalten, in denen der Protagonist erklärt, was die Ereignisse für ihn bedeuten. Aber der Schwerpunkt muss auf der Erzählung liegen, die das Leben für den Zuhörer und die Zuhörerin fassbar macht.

Leider erzählt Wheaton viel zu wenig. Als Beispiel sei der Zwist mit seiner Familie erwähnt: Er wiederholt im Buch mehrfach happige Vorwürfe an seine Eltern. Seiner Mutter beschuldigt er, nicht auf ihn gehört zu haben, als er aus seiner Karriere als Jungschauspieler aussteigen und einfach nur ein normaler Jugendlicher sein wollte. Sie habe ihre Fürsorgepflicht verletzt und sich durch ihn verwirklichen wollen. Und sie hätte ihn nicht vor seinem Vater geschützt, den er als Tyrann schildert und in später geschriebenen Passagen nur noch «den Mann, der mein Vater war» nennt. Diese Anschuldigungen gipfeln in der Behauptung, seine Eltern und insbesondere die Vernachlässigung seiner Mutter seien an seinen psychischen Problemen schuld. Seine Depression und seine Angstzustände nehmen im Buch einen breiten Raum ein.

Zu viele Vorwürfe, zu wenig Erzählung

Im Buch bleiben die Vorwürfe und Anschuldigungen nicht fassbar und sie haben auf mich nach der x. Repetition schliesslich sogar unfair gewirkt: Wheaton hat eine millionenfache Leserschaft, während seine Eltern ohne Stimme bleiben. Wie viel eindrücklicher wäre es gewesen, wenn die Vorwürfe weniger explizit, vielleicht sogar unausgesprochen geblieben wären und uns der Autor mit Schilderungen aus seiner Jugend hätte miterleben lassen, wie er sich damals gefühlt hat³.

Die stärksten Passagen sind denn auch die, in denen Wheaton tatsächlich erzählt: Beispielsweise, warum er schlecht auf TNG-Produzent Rick Berman zu sprechen ist: Er hat ihn nämlich bei öffentlichen Anlässen, bei denen alle anderen Mitglieder der Star-Trek-Crew namentlich aufgerufen und zum Aufstehen aufgefordert wurden, hocken lassen – und das nicht nur einmal, sondern sogleich zweimal.

Ja, Wil Wheaton hat das Zeug zu einem tollen Autor. Die eindrücklichste Stelle im Buch beweist das: Sie handelt davon, wie Wheaton nach seinem Ausscheiden aus «The next Generation» und seiner Schauspielausbildung versucht, neue Rollen zu finden. Er erzählt, wie er seine Frau und seine beiden Adoptivsöhne allein in die Ferien fahren lässt, weil er kurzfristig zwei Angebote für ein Casting erhalten hat. In der Schilderung lässt er uns Leserinnen daran teilhaben, wie er sich einsam auf die Rolle vorbereitet, zum Vorsprechen fährt und dort ständig zu spüren bekommt, dass er eigentlich bloss dazu da ist, einen freien Slot zu füllen – weil diese Castings offenbar immer relativ breit aufgestellt wird, selbst wenn es nur einen Favoriten gibt.

In diesem Szenen wird das Machtgefälle spürbar, von dem wir alle natürlich geahnt haben, dass es vorhanden ist, seit wir von Leuten wie Harvey Weinstein und Dieter Wedel gehört haben, die das Machtgefälle ihrer Position schamlos ausgenutzt haben. Aber wie wenig glamourös das Schauspielerdasein ist, während man sich um Rollen bemüht, das war mir nicht klar.

Die hässliche Seite Hollywoods

Es ist das Verdienst von Wheaton, uns das eindrücklich vor Augen zu führen: Die Zahl der Ablehnungen, die selbst bei den Superstars die Zusagen um ein Vielfaches übertreffen – und das ständige Zurückgewiesenwerden, das bei einem ehemaligen Jugendstar wie Wheaton, der zwar nicht nur den Auftritt bei «Star Trek» im Resümee hat, sondern auch einen Auftritt mit Filmlegende River Phoenix in der Stephen-King-Verfilmung Stand by Me, aber der durch diese Rollen stark geprägt ist und auch nicht mehr zum Zeitgeist passt, wie Wheaton mit seinem Spott verdeutlicht, wonach die männlichen Schauspieler damals vor allem «edgy» hätten sein sollen – auch wenn niemand so genau hätte sagen können, was das genau heisst. Ausser, dass es das Gegenteil von Wheaton war.

Fazit: Es gibt ein paar wenige Einblicke zu «Star Trek». Aber die allein sind es leider kaum wert, sich durch die fast 24 Stunden (!) des Hörbuchs zu kämpfen.

Fussnoten

1) Was ich sofort hören würde, wäre ein Meta-Werk, das diese Erzählungen konsolidiert, sodass wir uns die gleiche Geschichte aus allen Perspektiven anhören könnten – das wäre sicherlich sehr aufschlussreich.

2) Ein Beispiel: Im FAQ-Teil beantwortet Wheaton Fragen von Leserinnen und Lesern. Eine Frage lautet:

«Stimmt es, dass du mit Ashley Judds den ersten Kuss auf dem Bildschirm geteilt und sie für den Rest ihres Lebens ruiniert hast?» (“Is it true that you were really AshleyJudd’s first onscreen kiss, and you ruined her for the rest of her life?”)

Die Antwort lautet wie folgt:

Ja, das stimmt. Das ist zu hundert Prozent wahr. Ashley Judd spielte Robin Lefler in der Episode «The Game», und Onkel Willie ging nach Bootytown. Und mit Bootytown meine ich, dass wir, als die Kameras aufhörten zu drehen, nur zwei Schauspieler waren, die eine Szene spielten. Nur einer von uns hatte einen Ständer. (Yep. It is 100 percent true. Ashley Judd played Robin Lefler in the episode “The Game,” and Uncle Willie went to bootytown. And by bootytown, I mean when the cameras stopped rolling, we were just two actors doing a scene. Only one of us had a boner.)

Und ja, das war etwas salopp. Aber egal: Meines Erachtens ist die Antwort unbestreitbar lustig. Und ich bin überzeugt, dass so eine Aussage auch in Zeiten von gewaltfreier Kommunikation möglich sein muss: Die Sexualität wurde schliesslich nicht abgeschafft.

Aber Wheaton entschuldigt sich des Langen und des Breiten bei Ashley Judd, für den Fall, dass sie diese Passage als übergriffig erlebt haben sollte. Aber nicht nur das – er wirft sich auch in den Staub, weil auch irgendwer in der Leserschaft das als verletztend empfunden haben könnte. Allerdings zeigt dieses Beispiel, dass der gerne von rechts geäusserte Vorwurf, «man dürfe heute nicht mehr alles sagen», nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Nach wie vor ist es eine Tatsache, dass männliche Teenager in gewissen Situationen einen Ständer kriegen. Und darum muss das auch ausgesprochen werden dürfen.

Klar – man kann hier die Stilfrage aufwerfen. Ich habe die Passage als authentisch erlebt und auch wenn ich keine Frau bin, bin ich der Ansicht, dass die Frauen damit leben können sollten, dass so etwas in einem Buch steht. Wir Männer müssen es auch abkönnen, wenn uns jemand auslacht, weil es passiert, dass wir in unpassenden Situationen eine Erektion bekommen.

3) Am Anfang des Buchs erzählt Wheaton, wie seine Eltern ihm seine Einnahmen aus Fernseh-Wiederholungen (Residuals) vorenthalten und das Geld für sich selbst verwendet haben. Er beschreibt auch die finanziellen Engpässe, die er mit seiner Familie erlebt hat. Daraufhin hätten ihm seine Eltern ihm Darlehen gewährt, auf die er Zinsen hätte gewähren müssen – obwohl sie das von seinen eigenen Einnahmen bestritten hätten. Das ist natürlich eine ausgemachte Sauerei. Aber es rechtfertigt nicht die Vorwürfe von emotionaler Misshandlung und Vernachlässigung.

Was die angeht, wird Wheaton erst nach ungefähr 22 Stunden im Hörbuch konkret. Er bezieht sich auf den Dreh des Films The Curse von 1987. Er beschreibt, wie er das Engagement nicht hatte wahrnehmen wollen, von seinen Eltern aber mit Rückendeckung der Produzenten dazu quasi genötigt worden ist. Die Dreharbeiten erlebte er als traumatisch: Der Regisseur sei vollgekokst gewesen und grundlegende Sicherheitsvorkehrungen seien ausgeblieben. Er spricht von Demütigungen, wie in einer Szene, in der seine Figur in einem Kuhfladen landet, der mit echten Exkrementen gedreht worden sei. Seine Schwester Amy Wheaton, die in einer Szene mit Schnitten im Gesicht hatte auftreten müssen, sei dafür tatsächlich mit einem Skalpell geritzt worden. Und er macht Andeutungen von sexuellem Missbrauch, die er zweimal erlebt habe – aber ohne dazu in die Details zu gehen.

Das alles macht die Vorwürfe an seine Eltern verständlicher – zumal er auch der Ansicht ist, dass die Rolle in diesem missratenen Film ihm im späteren Verlauf seiner Karriere geschadet habe. Trotzdem bleibt dieser Aspekt zu fragmentarisch und angesichts der Härte der Vorwürfe zu wenig erzählerisch unterfüttert.

Beitragsbild: Der Erzählern ist in etwas gar viele Schalen gehüllt (K8, Unsplash-Lizenz).

Kommentar verfassen