Was sich bei Microsoft anbahnt, ist eine Katastrophe

Ich habe Microsofts Bing-KI gefragt, was sie über mich weiss: Die Antwort fiel haar­sträubend schlecht aus. Doch das ist nicht das Schlimmste: Bing pro­du­ziert nicht nur Fehler, sondern ist auch erschreckend pie­tät­los.

Microsoft plant die Suchmaschinen-Revolution. Bing, der bisher abgeschlagene Zweite, soll Google den Rang ablaufen. Das «neue Bing» arbeitet mit künstlicher Intelligenz und liefert keine Trefferliste, sondern eine fixfertig ausformulierte Antwort. Es handelt sich nicht mehr um eine Such-, sondern um eine Antwortmaschine.

Microsoft ist der Meinung, dass das viel attraktiver sei als das, was wir bisher haben – und dass deswegen die Nutzerinnen und Nutzer in Heerscharen überlaufen werden. Wenn dieser Plan aufgeht, wäre das aufs Internet bezogen eine Zeitenwende: Erstens würde Google ins zweite Glied zurücktreten müssen. Zweitens würde sich die Nutzung des Webs fundamental verändern. Die Ära der Suchmaschinen wäre vorbei.

Microsoft als übermächtiger Informationsvermittler

Stattdessen würden uns KIs die Inhalte vermitteln. Das wäre viel komfortabler als bisher – und hätte fatale Auswirkungen auf das Angebot und die Vielfalt im Web: Denn der Vermittler würde noch mächtiger werden: Bis anhin hat er den Nutzerinnen und Nutzern eine Auswahlsendung an Informationen geliefert, die sie selbst sichten mussten. In dieser neuen Ära würde er diese Informationen auch filtern, aufbereiten und ausliefern.

Ob es so kommt, bleibt abzuwarten. Erstens glaube ich nicht, dass sich Google so einfach von Microsoft den Rang ablaufen lässt. Zweitens sehe ich riesige technische Hürden. Der Rechenaufwand für eine ausformulierte Antwort von «new Bing» muss um Welten höher sein als für eine klassische Suchanfrage – kein Wunder, dass all die KI-Anwendungen den Zugang dosieren. Sie tun das, indem sie die Zahl der Nutzer beschränken, wie das derzeit beim Testprogramm von Bing der Fall ist. Bei Dall-e 2 ist die Zahl der kostenlosen Abfragen limitiert. Und bei ChatGPT sehen wir ständig eine Meldung, dass die Kapazitätsgrenze erreicht sei und keine Anfragen gestellt werden könnten.

Wenn das «neue Bing» Google tatsächlich ablösen soll, müsste Microsoft in der Lage sein, um die neun Milliarden Anfragen pro Tag abzuwickeln. Das bräuchte riesige Datencenter und brächte einen riesigen Stromverbrauch mit sich (siehe «Wired»: Generative AI Race Has a Dirty Secret). Wie sich das finanzieren liesse, ist eine weitere Frage: Denn Bing liefert nur eine kurze Antwort im Gegensatz zu der langen Liste einer klassischen Liste von Suchresultaten – damit sinkt auch die Zahl der Werbeplätze massiv.

Haarsträubend und unterirdisch

Das grösste Problem ist aber in der Tat die Qualität der Antworten. Ich habe seit ein paar Tagen Zugang zum neuen Bing. In meinem Test für den Tagesanzeiger habe ich überprüft, wie gut das Allgemeinwissen des neue Bing auf die Schweiz bezogen ist: Das Resultat war nicht überragend, aber akzeptabel.

Ich habe aber auch einen Test zu spezielleren Sachverhalten gemacht. Mit anderen Worten: Ich habe mich egogebingt. Und das Resultat ist haarsträubend. Also wirklich: unterirdisch schlecht. Wenn ich mal analysieren dürfte:

Neuneinhalb Fehler in einem so kurzen Abschnitt!

Ich habe hier die Fehler markiert: Es sind neuneinhalb Fehler¹ auf sieben Sätze. Wenn jemals ein Schüler oder eine Schülerin – Göttin bewahre! – einen Aufsatz über mich schreiben muss und diese Aufgabe an Bing delegiert, ist eine ungenügende Note gewiss.

Mit nicht enzyklopädischen Quellen kann Bing schlecht umgehen

Dieses Versagen ist verblüffend, weil Bing in den Fussnoten verlässliche Quellen angibt, u.a. meine Biopage und die Informationen von den Tamedia-Websites über mich. Es zeigt sich aber, dass es für Bing schwierig ist, Informationen aufzubereiten, wenn sie nicht so streng enzyklopädisch abgefasst sind, wie namentlich Wikipedia.

Das heisst: Wenn sich Bing abseits von Wikipedia informieren muss, dann dürfte der Verlässlichkeitsgrad rapide sinken. Das betrifft einen Bereich, der zu den zentralen Aufgaben einer Suchmaschine gehört, nämlich die Personensuche. Längst nicht jeder Mensch hat eine Wikipedia-Seite. Über viele gibt es nur verstreute Informationsfragmente im Netz. Erschwerend kommt eine Verwechslungsgefahr hinzu, indem der gleiche Name in manchen Fällen von sehr vielen Leuten getragen wird.

Trotzdem ist das Googeln von Leuten eine gängige Praxis: Leute suchen Personen im Netz, mit denen sie ein Date haben, die sie in ihrem Unternehmen anstellen wollen oder weil sie Zank mit ihnen haben – Gründe gibt es viele. Doch während beim Googeln schnell ein Bild darüber entsteht, wie gut die Informationslage ist, erweckt das neue Bing hier den Eindruck, die Sache wäre glasklar. Und das kann massiv in die Irre führen.

Bei lückenhaften Informationen versagt Bing völlig

Bing weiss nicht, was er nicht weiss.

Doch gerade dieser Umgang mit lückenhaften Informationen ist besonders schlecht, wie ein Test mit Personen aus meinem Umfeld zeigt. Ich habe Bing unter anderem nach meiner Grossmutter gefragt. Microsofts «Antwortmaschine» hat sich bei der Auskunft ausschliesslich auf einen Beitrag von SRF gestützt². Er enthält korrekte Informationen, ist aber bereits zehn Jahre alt.

Dafür hat KI kein Verständnis; die Altersangabe aus dem Artikel wird eins zu eins zitiert: «Els Morf-Bachmann ist 92 Jahre alt», behauptet Bing. Wenn schon, wäre sie 102; doch meine Grossmutter ist 2018 kurz vor ihrem 98. Geburtstag gestorben.

Mit anderen Worten: Was Bing hier abliefert, ist nicht nur falsch, sondern auch pietätlos. Die Antwortmaschine hat offensichtlich keine Ahnung davon, was sie alles nicht weiss. Es liegt auf der Hand, dass das Alter der Quelle berücksichtigen werden muss.

Im vorliegenden Fall müsste Bing das Geburtsdatum und nicht das Alter angeben. Da Bing nicht über die Information verfügt, ob eine Person noch am Leben ist, müsste die Formulierung entsprechend angepasst werden. Beispiel: «Els Morf ist bekannt als Mundart-Autorin und Verfasserin von zürichdeutschen Geschichten. Sie hat 2013 ein Büchlein herausgegeben mit dem Titel ‹Es Brösmeli Ziit› ³».

Der Einsatz von «new Bing» ist verantwortungslos

An dieser Stelle komme ich nicht umhin, Microsoft einen guten Rat zu geben: Lieber Satya Nadella, was du da anrichtest, ist an accident waiting to happen. Es hat mich nur eine Handvoll Tests gekostet, um so viele Schwachstellen bei diesem neuen Bing aufzuzeigen, dass nur ein Schluss zulässig ist: Diese Technologie ist längst nicht reif für den Praxiseinsatz. Und weil die KI nicht in der Lage ist, fundamentale Zusammenhänge zu verstehen, ist meine Vermutung, dass sie es so bald nicht sein wird.

Es ist verantwortungslos, diese Technologie jetzt auf die Menschheit loszulassen. Und ja, ich weiss, ihr seid jetzt von der Vorstellung getrieben, das Netz anstelle von Google zu dominieren. Aber anders als Bing habt ihr leider nicht die Ausrede, dass ihr nur eine dumme KI seid.

Fussnoten

1) Es sind neuneinhalb Fehler, weil ich die «digitale Bildung» als halben Fehler werte. Die Behauptung ist nicht komplett falsch, aber ich habe sie nie über mich gemacht und ich finde sie irreführend. Ich versuche zwar, die Digialkompetenz meiner Leserinnen und Leser zu stärken, doch die Formulierung erweckt den Eindruck, ich würde mich beispielsweise mit dem Einsatz digitaler Medien an den Schulen beschäftigen – und das ist nicht der Fall.

2) Es gäbe einen Wikipedia-Eintrag über meine Grossmutter. Er findet sich in der alemannischen Ausgabe von Wikipedia und ist entsprechend in Mundart verfasst. Das zeigt sich auch beim Namen, der – wie man es in Züritütsch sagt, als «Els Morf-Baachme» angegeben wird. Diesen Namen mit «Bachmann» zusammenzubringen, hat Bing offensichtlich nicht geschafft und auh die Dialekt-Informationen nicht in seine Antwort einfliessen lassen – sie wäre sonst um ein Vielfaches besser ausgefallen.

3) Das ihr alle kaufen müsstet, wenn es – so viel ich weiss – nicht vergriffen wäre. Aber einige Texte könnt ihr im Archiv ihrer Dorfposcht-Rubrik «Nachgedacht» nachlesen.

Beitragsbild: Zeit, die Reissleine zu ziehen – leider habe ich kein schönes Bild einer Reissleine gefunden (Erwan Hesry, Unsplash-Lizenz).

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