In den letzten Jahren konnte der Eindruck entstehen, Apple sei immun gegen jegliche äussere Einflüsse: Egal, was in der Welt gerade passiert, Apple zieht sein Ding durch. Sprich: Verkauft iPhones, veranstaltet Keynotes und hält die Tech-Presse und Fanboys in Atem.
Das hat Apple auch dieses Jahr getan. Doch die chaotischen Zustände beim Fertigungsbetrieb Foxconn, bei dem Zehntausende Arbeiter in Zhengzhou die iPhones zusammenschrauben, dürften in Erinnerung bleiben: Arbeiter und das Sicherheitspersonal sind aneinandergeraten. Die Angestellten sind, so lassen es Meldungen auf Twitter vermuten, die schlechten Arbeitsbedingungen leid. Es geht auch um Prämien für Neueingestellte, die gemäss der NZZ an neue Bedingungen geknüpft oder verweigert worden sind, um schlechtes Essen und um Massenunterkünfte, in denen Covid-Infizierte zusammen mit Gesunden untergebracht sind – was allein deswegen Fragen aufwirft, weil China ansonsten eine Null-Covid-Strategie verfolgt.
Nicht aus der Verantwortung stehlen
Man könnte sich auf den Standpunkt stellen, dass das weder uns als iPhone-Nutzer noch Apple etwas angeht – schliesslich ist ein unabhängiges, taiwanesisches Unternehmen. Doch Apple will sich nicht so einfach aus der Verantwortung stehlen, sondern äussert sich zur Verantwortung der Zulieferer:
Apple-Zulieferer sind dazu verpflichtet, die höchsten Standards in Bezug auf Arbeits- und Menschenrechte, Gesundheit und Sicherheit, umweltbewusstes Handeln und Ethik einzuhalten.
An dieser Stelle könnte man es sich einfach machen und dieses Bekenntnis für einen Papiertiger halten. Aber wir wissen nicht, was Apple tatsächlich tut, damit diese Standards eingehalten werden – denn dass die Situation in China tatsächlich schwierig ist, lässt sich nicht allein einem Arbeitgeber anlasten.
Deutschland macht es besser als die Schweiz
Wichtig ist, dass die Unternehmen auch tatsächlich in die Pflicht genommen wird, wie es Deutschland mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (was für ein Name!) tut, das am 1. Januar 2023 in Kraft tritt. In der Schweiz haben wir eine Chance verpasst, als am 29. November 2020 die Konzernverantwortungsinitiative am Ständemehr gescheitert ist.
Ich bin mir sicher, dass Apple die Situation genau verfolgt und auch Pläne wälzt, die Abhängigkeit von Foxconn zu verringern. Denn dass Sorge herrscht, lässt sich diesem dürren Statement entnehmen, in dem es um die Lieferengpässe beim iPhone 14 Pro und Pro Max geht, die durch die Probleme in Zhengzhou verursacht werden – auch wenn Apple allein Corona als Ursache aufführt. Das iPhone wird inzwischen jedenfalls auch in Indien produziert.
Wie wir mit unserer Abhängigkeit von China und anderen Billiglohnländern künftig umgehen wollen, ist eine Diskussion, die über Apple hinausgeht – zumal es nicht nur um Smartphones, sondern auch um Medikamente und um unzählige Güter des täglichen Lebens geht. Ich nehme an, dass wir gewillt sind, die Lehren aus den Versorgungsproblemen zu ziehen, die die Pandemie und der Ukrainekrieg ausgelöst haben.
Der «Homeoffice-Streit»
Zurück zu Apple: Gegen aussen hat Apple auch 2022 den Anschein gemacht, unbeirrbar seinen Masterplan durchzuziehen. Ich habe allerdings immer mal wieder von Spekulationen gelesen, die Pandemie und ihre Auswirkungen hätten viele Entwicklungen verlangsamt. Eine naheliegende Vermutung, zumal Apple im Mai von den Mitarbeitern verlangt hat, aus dem Homeoffice in Büros zurückzukehren, was einige mit der Kündigung quittiert haben. Der prominenteste Abgang war Ian Goodfellow, ein hochrangiger Experte für maschinelles Lernen.
Wie gross diese Auswirkungen sind, darüber können wir nur spekulieren: Für Apple spricht, dass diesen Vermutungen zum Trotz mit der Apple Watch Ultra ist ein echter Coup geglückt ist: Die hatte im Vorfeld niemand so richtig auf dem Schirm und viele der Apple-Watch-Fans (zu denen ich nicht zähle) sind begeistert. Gegen Apple spricht, dass die Apple-VR-Brille dieses Jahr nicht das Licht der Welt erblickt hat – obwohl viele fest mit ihr gerechnet hatten.
Aber bleiben wir bei den erhärteten Fakten: Anhand derer gebe ich Apple eine knapp genügende Note. Mein grösster Kritikpunkt ist und bleibt das ungeklärte Verhältnis zwischen dem Mac und dem iPad. Die sind sich 2022 dank der neuen, ähnlich funktionierenden Fensterverwaltung Stage Manager noch ähnlicher geworden. Doch standardmässig ist Stage Manager weder beim Mac noch beim iPad aktiv – sodass bei mir der Eindruck bleibt, dass der vordringliche Zweck dieser Neuerung ist, die unvermeidliche Fusion der beiden Systeme weiter herauszuzögern …
Beitragsbild: Möge die Erleuchtung über den Apple Park hereinbrechen (Carles Rabada, Unsplash-Lizenz).