Über Sinn und Unsinn der Twitter-Labels

Beim Mikrobloggingdienst lassen sich neuerdings Bots kenntlich machen. Es gibt auch Labels für Regierungs-Accounts und staats­nahe Medien. Bringt diese Kenn­zeich­nung etwa oder ist sie bloss eine Alibi­übung?

Transparenz bei meinem twitternden Alter-Ego.

Twitter stellt seit etwa einem Monat die Möglichkeit bereit, Accounts zu kennzeichnen, die automatisch bespielt werden – und die man gemeinhin als Bots bezeichnet.

Ich habe sogleich die Gelegenheit ergriffen, mein Alter-Ego @MSchuessler mit diesem Label auszuzeichnen. Das verwittert in Eigenregie meine Artikel. Ich habe es vor zehn Jahren eingerichtet, weil ich unbedingt mit dem damals höchst faszinierenden Web-Automatisierungsdienst Ifttt herumexperimentieren wollte. Inzwischen ist Ifttt leider in Ungnade gefallen: Die Blogposts werden ganz schnöde über die Social-Media-Automation aus dem Jetpack-Plugin von WordPress abgesetzt.

Übrigens, meine persönlichen Wortmeldungen gibt es unter @MrClicko. Dort garantiert ohne jegliche Anflüge von Automatisierung oder gar künstlicher Intelligenz.

Ein paar Klicks für die Bot-Kennung

Das Label einzurichten, ist ein Kinderspiel: Man loggt sich mit dem Bot-Account bei Twitter ein, klickt auf Mehr > Einstellungen und Datenschutz, dann auf Account-Information, worauf man zuunterst im Abschnitt Automatisierung mitteilt, dass es sich um einen automatisierten Bot handelt. Damit Twitter weiss, von wem der Bot stammt, gibt man bei Verwaltungs-Account sein angestammtes Handle ein. Natürlich muss man sich daraufhin mit diesem Konto einloggen, damit man niemandem einen bösartigen Bot unterschieben kann.

Mit ein paar Klicks ist das Automatisierungs-Label beim Bot hinterlegt.

Gemäss dem FAQ von Twitter soll das Label für Transparenz sorgen, indem es hilft zu erkennen, ob es sich bei einem Account um einen Bot handelt oder um einen, der von einem Menschen betreut wird.

Eine gute Sache. Allerdings steht und fällt diese Transparenz-Offensive mit der Bereitschaft der Nutzer, ihre Bots auch zu kennzeichnen. Und hybride Accounts, die abwechselnd direkt und automatisiert bespielt werden, fallen zwischen Tisch und Bank.

Ich frage mich, ob es nicht klüger wäre, die Kennzeichnung automatisch, und zwar pro Tweet vorzunehmen. Das müsste technisch doch machbar sein: Wenn der Tweet über eine Schnittstelle von einem Dienst wie Ifttt oder Jetpack-Wordpress kommt, dann sollte er das Label erhalten. Wenn jemand ihn in seine App oder seinen Browser getippt hat, dann nicht.

Ein blaues Häkchen fürs Ego

Wenn wir bei der Deklaration von Accounts sind, dann gibt es einige weitere Labels, die der Transparenz dienlich sind. Wieweit das beim famosen blauen Verified-Häkchen der Fall ist, darüber lässt sich diskutieren. Es zeigt an, dass jemand «echt» ist und schützt uns Twitter-Nutzer, die Ergüsse von Parodie-Accounts für bare Münze zu nehmen. Vor allem aber schmeichelt er auch der gekennzeichneten Person, die sich nun offiziell wichtig fühlen darf.

Es gibt auch Labels für Regierungs-Accounts. Die habe ich bislang vorwiegend im US-amerikanischen Bereich gesehen; sogar @ch_portal muss ohne den offiziellen Hinweis auskommen. Auch staatliche bzw. staatsnahe Medien werden inzwischen mit entsprechenden Hinweisen versehen; Beispiel @rt_com: Dort gibt es das Prädikat «Russia state-affiliated media».

Vielleicht etwas viel des Guten? @RT-com wird auf Deutsch als «Medien- und Nachrichten-Unternehmen» und mit dem englischen Zusatz «Russia state-affiliated media» bezeichnet.

Das Propaganda-Brandmal

Auf vornehm-diplomatische Weise gibt uns Twitter hier zu verstehen, dass es sich um ein Propaganda-Instrument handelt. In diesen Labeln steckt natürlich Zündstoff, was man an den hitzigen Debatten sieht, die entsteht, wenn jemand SRF als Staatssender bezeichnet. Die Gefahr droht allerdings nicht, wie Twitter erklärt:

Staatlich finanzierte Medienorganisationen mit redaktioneller Unabhängigkeit, wie beispielsweise die BBC in Grossbritannien oder NPR in den USA, werden im Sinne dieser Richtlinie nicht als staatsnahe Medien definiert.

Bringen solche Labels etwas oder geht es Twitter darum, sich als verständnisvolles und um Aufklärung bemühtes Unternehmen darzustellen? Den Trick mit der Kennzeichnung hat vor Jahren schon Facebook probiert und ist damit gescheitert. Mark Zuckerbergs soziales Netzwerk hat im März 2017 angefangen, Posts mit fehlendem Wahrheitsgehalt als «umstritten» («disputed») zu markieren. Im Dezember 2017 wurden diese Hinweise schon wieder abgeschafft, weil – lapidar gesagt – nicht funktioniert hätten. Und natürlich ist es beschönigend, eine falsche Nachricht als «umstritten» zu bezeichnen.

Bei Twitter liegt der Fall jedoch anders: Bei der Meldung anzusetzen, scheint mir aussichtslos. Den Absender einer Botschaft zu identifizieren und dessen Motive verständlich zu machen, ist meines Erachtens aber erstens hilfreich und zweitens eine gute Übung in Medienkompetenz: Wenn uns Twitter trainiert, auf dieses Detail zu achten, dann wird es vielleicht zu einer guten Gewohnheit, sich das auch sonst im Netz zu fragen: Mit wem haben wir es zu tun und was könnten mutmasslich seine Motive sein?

Da geht noch mehr!

Darum ist diese «Verschlagwortung» von Twitter-Accounts unbedingt ausbaufähig: Auch Parodie- oder Satire-Accounts hätten eine Kennzeichnung verdient, ebenso Künstler oder Akteure mit klaren politischen Interessen wie Parteien.

Nebenbei bemerkt ergeben sich aus solchen Kennzeichnungen grossartige Recherchemöglichkeiten: Wie toll wäre es, zu einem Stichwort nur die Posts der Satiriker abfragen zu können? Mir als altem Metadaten-Fan geht allein beim Gedanken daran das Herz auf…

Beitragsbild: Was bei Konfitürengläser funktioniert, kann bei Social-Media-Posts nicht verkehrt sein (Miguel Á. Padriñán, Pexels-Lizenz).

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