Nach meinem Eschbach-Exzess¹ ist es an der Zeit, wieder andere Autoren zum Zug kommen zu lassen. Aber es ist angebracht, in Eschbachs Umfeld nach einem Nachfolger zu suchen – denn die Mischung aus Spannung, kluger Geschichten, sympathischer Helden und dem anpassungsfähigen Erzählstil ist ganz in meinem Sinn.
Ich habe darum für die Büchersuche das GPS für Literatur angeworfen und bin auf Wolfgang Hohlbein gestossen. Er schreibt, laut Wikipedia, Bücher, die er selbst gerne lesen würde. Das klingt zwar banal, trifft aber gerade im Unterhaltungsbereich nicht für sehr viele Autoren zu. Viele schreiben Bücher, von denen sie glauben, dass die Verlagslektoren sie gerne lesen. Und das macht einen grossen Unterschied.

Jedenfalls passt es gut, dass es in Das Paulus-Evangelium (Amazon Affiliate) um Hacker geht – da bleibe ich auch der Rubrik der Nerdliteratur treu. Und um wie üblich die Rezension mit dem Fazit zu beginnen, würde ich dieses Buch unter Vorbehalten empfehlen. Seine Bestimmung, mich als Leser zu unterhalten, erfüllt es bestens. Es ist nicht so raffiniert konstruiert, wie die Plots von Eschbach und es gibt am Ende einen klassischen Showdown mit Schiesserei und Schwertkampf, aber keinen «Kampf der Hacker» und kein Kräftemessen auf der technologischen Ebene, wie man sich das als Nerd natürlich wünschen würde.
Aber, ohne zu viel zu verraten, es ist leider so, dass der eigentliche Hacker im Buch, Guido, schon frühzeitig um die Ecke gebracht wird. Was in meinen Augen ein plottechnischer Fehler war: Marc Schreiber und seine Mitstreiterin Jezebel, die verbliebenen Helden, reagieren meistens bloss, als dass sie agieren würden. Und das ist weniger attraktiv, als wenn sich im Verlauf der Handlung Gegner auf Augenhöhe gegenüberstehen.
Details bleiben im Dunkeln
Was das Hacking angeht, bleiben die technischen Feinheiten im Dunkeln – auch da bringt Eschbach jeweils ein paar stimmige Details mehr, um echte Nerds bei der Stange zu halten. Der computermässige Einbruch in den Vatikan, der in «Das Paulus-Evangelium» die Ereignisse ins Rollen bringt, ist an den Haaren herbeigezogen: Guido gelingt es, über das Stromnetz in den Superrechner am Papstsitz in Castel Gandolfo einzudringen und dort dunkle Geheimnisse des Vatikans zu entwenden.
Das ist ohne weitere gute Erklärungen unplausibel. Man kann zwar Daten übers Stromnetz versenden (Powerline, Power-LAN). Aber das geht natürlich nicht einfach so, sondern nur, wenn die passende Hardware vorhanden ist. Und von der war hier niemals die Rede. Auch die geheimnisvolle Maschine, die aus überall im Internet gesammelten Informationen lebensechte Simulationen früherer Ereignisse macht, ist unglaubwürdig. Wenn man sieht, was künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen heute kann und eben nicht kann, dann steht ausser Frage, dass es noch sehr lange dauern wird, bis ein Computersystem aus einem Wirrwarr an Fakten stimmige Simulationen herstellen kann.
Dan Brown lässt grüssen
Und wer sich an dieser Stelle an Dan Brown erinnert fühlt, dann kommt das nicht von ungefähr: Das Hauptmotiv sind Enthüllungen religiöser Natur, die das Christentum in seinem Fundament erschüttern würden (selbst wenn eine Nebenfigur, Vater Tobias, ganz anderer Meinung ist) und die von den nicht so ganz gottesfürchtigen Agenten des Vatikans, im Keim erstickt werden sollen.
Das sind ein amerikanischer Ex-NSA-Mann Forsyth, der Mann fürs Grobe Alberto und natürlich Kardinal di Milani, der nicht ganz so gottesfürchtig ist, wie er sein müsste. «Das Paulus-Evangelium» ist 2006 erschienen, also nach «Angels & Demons» (2000) und «The Da Vinci Code» (2003). Ich nehme an, dass Hohlbein die Bücher gelesen hat, und sicher auch Das Jesus-Video von Andreas Eschbach von 1998 kennt. Aber er hat sich genügend von diesen Vorlagen gelöst, um sich keine Plagiatsvorwürfe anhören zu müssen.
Der religiöse Kern ist denn auch der spannendste Aspekt vom Buch, den ich gleich erörtern werde, der aber ein paar Spoiler enthält. Deswegen hier erst noch das Ende des Fazits: Mir gefällt der lockere Schreibstil und der unterschwellige Humor (noch besser, als wenn Hohlbein eine wirkliche Pointe anbringen will).
Das Buch ist zu plapperig
Das Buch ist allerdings zu plapperig. Man hätte manche Passagen deutlich straffen und besser redigieren können. Das Hörbuch wird noch extra in die Länge gezogen, indem die von Sascha Rotermund gut gelesene Geschichte immer wieder durch die gleichen paar Musik-Tracks angereichert wird. Das soll wohl die Spannung steigern, ist aber IMHO überflüssig.
Also, ab hier kommen die Spoiler: Marc und Guido brechen per Computer (und Stromnetz) beim Vatikan ein und gelangen an Simulationen von biblischen Ereignissen, die durch neue Forschungsergebnisse in eine neue und doch recht erstaunliche Richtung gelenkt werden. Es ist nach dem Abendmahl zu unerwarteten Komplikationen gekommen, wenn man das so sagen darf: Die Jünger Jesu haben sich zu einer Rettungsaktion ihres Anführers entschieden.
Mit Erfolg: Der Mann aus Nazareth ist dem Kreuz entgangen, weil sich Paulus für ihn ausgegeben und geopfert hat. Ein Akt der Nächstenliebe, der an dieser Stelle natürlich ziemliche Probleme verursachte: Denn ohne den Märtyrertod von Gottes Sohn fehlt dem Christentum seine Legitimation. Das war auch Jesus bewusst, der sich in der Simulation nicht über seine Rettung gefreut hat.
Nachdem dieses Geheimnis in die falschen Hände geraten ist, legt di Milani, los. Der Kardinal, der grosse Ambitionen auf den Papststuhl hat, schickt seinen Killer Alberto auf die Piste und bietet Forsyth auf. Es gibt schon bald einige Tote. Auch eine Polizistin in Köln wird von Alberto umgebracht, was einen Nebenhandlungsstrang ermöglicht, bei dem ihr Vater, Kommissar Dallberg, zum Amokläufer wird. Marc entgeht den ersten Beseitigungsversuchen.
Er flüchtet mit der Festplatte mit Guidos Hackerprogramm zum einzigen Ort, an dem er glaubt, sich noch sicher fühlen zu können, nämlich zu Jezebel. Sie ist die Schwester seines besten Freundes, der gerade Priester werden will und die Garantin, dass in der Geschichte auch noch eine kleine Romanze Platz hat.
Der weitere Verlauf der Geschichte behandelt die Flucht von Marc ins österreichische Hospiz in Jerusalem, das es sogar in Wirklichkeit gibt. Das ist spannend, aber ohne wirklich überraschende Wendungen: Guidos grossartige Hacker-Software kommt nicht mehr so richtig zum Einsatz und auch die Wirklichkeitssimulationsmaschine des Vatikans mit Bruder Ramon, einem begnadeten Hacker im Dienst des Vatikans, bleibt ein Requisit.
Aus der Geschichte hätte sich mehr herausholen lassen
Mit anderen Worten: Aus dieser Geschichte hätte man mehr machen können. Das Buch hätte nicht zu einer theologischen Debatte verkommen müssen, selbst wenn man etwa die Frage diskutiert hätte, ob das Opfer von Jesus ein wirkliches Opfer ist, wenn es für den weiteren Verlauf der Religionsstiftung zentral und notwendig ist.
Die Figur von Vater Tobias hätte sich für diesen Disput angeboten. Er hätte natürlich betont, dass das keine Berechnung seitens der heiligen Dreifaltigkeit im Spiel war und man ihr kein Drehbuch unterstellen sollte. So bleibt die Religion, die Stadt Jerusalem mit ihren besonderen Problemen und ebenso die Technik Staffage. Aber ganz so hölzern und hohl wie bei Dan Brown wirkt die Sache bei Hohlbein dann doch nicht …
Fussnoten
1) Doppelt unsterblich, Peak Oil mal zwei, Mark Zuckerbergs feuchter Traum ↩