Doppelt unsterblich

«Teufelsgold» und «Quest» sind zwei Bücher von Andreas Eschbach, die auf den ersten Blick in getrennten Sphären spielen. Auf den zweiten Blick haben sie einige Gemeinsamkeiten.

Wenn mich jemand fragen sollte, wer der bedeutendste Autor aus dem deutschsprachigen Raum ist, der sich um meine Lieblingsthemen Science Fiction und Fantasmen (um nicht die unpassende Genrebezeichnung «Fantasy» zu verwenden), dann würde ich ohne Zögern Andreas Eschbach nennen.

Klar, man könnte auch an Frank Schätzing denken, der neulich mit dem hier besprochenen Buch wieder einen imposanten Wälzer abgeliefert hat. Aber im Vergleich ist Eschbach eben einer, der sich dem Motto underpromise and overdeliver verschrieben zu haben scheint: Seine Bücher fangen, selbst wenn sie in einem anderen Raum-Zeit-Gefüge spielen, unprätentiös an. Und dann steigern sie sich zu einer fulminanten Sause, die einen in Beschlag nimmt. Figuren, Handlung und Erzählweise, alles ist aus einem Guss.

Eschbach ist ein unaufdringlicher Erzähler

Eschbach als Autor ist zwischen den Zeilen spürbar. Aber auf unaufdringliche, fast schon bescheidene Weise – selbst wenn die Themen alles andere als bescheiden sind. Eschbach hört sich zwischen den Zeilen so an: «Ich bin hier, dir eine meiner Geschichten zu erzählen. Ich hoffe, sie macht dir Spass.» Schätzing klingt zwischen den Zeilen nach: «Boah ey, schau her, was mir hier wieder eingefallen ist! Wie könntest du da anders, als hin und weg zu sein!?»

Nach den bereits früher besprochenen Büchern¹ geht es heute um Teufelsgold (Amazon Affiliate) und um Quest (Amazon Affiliate).

Die beiden Bücher sind auf den ersten Blick komplett unterschiedlich. Das eine ist fest in der uns vertrauten Welt verwurzelt. Es dreht sich um einen Mann namens Hendrick Busske, der zwar durchaus Erfolg bei den Frauen hat, den man sich aber als einigermassen farblose Person von der Statur eines Versicherungsvertreters vorstellt. Das zweite ist eine Space Opera. Es hat einen Koloss von Mann als Helden, der in einem völlig irren Unterfangen ein grosses Raumschiff namens Megatao in ferne Galaxien lenkt, um … naja, um etwas ähnliches zu tun wie Captain Kirk Star Trek V.

Nein, der lebt noch. (Bild: Yuri_B/Pixabay, CC0)

Beim zweiten Blick gibt es Parallelen in den beiden Büchern. Und da es nachfolgend nicht ohne einige Spoiler abgeht, hier die wichtigste Parallele überhaupt: Beide Bücher haben unterschiedliche Schauplätze, sind aber beide spannend und lesenswert – und optimal geeignet für einen schönen Lesesommer.

Da dieses Fazit etwas gar kurz für einen Beitrag in diesem Blog hier wäre, hier einige weitere Parallelen.

Auf einer anderen Daseinsebene

Zum Beispiel die: Da gibt es den Moment, wo die Hauptfiguren der Welt in eine Daseinsebene entrückt werden, aus der die normale Welt nur noch schemenhaft und Grau in Grau zu erkennen ist. Bei «Teufelsgold» ist das der Moment, bei dem (ohne allzu viel zu spoilern), die Crème de la Crème der modernen und historischen Alchemie ihrem Endziel näher kommen. Bei «Quest» ist es der Hyperraum, der zum Ursprung der Menschheit führen soll – und es dem kranken Eftalan Quest ermöglichen soll, dem Schöpfer seinen ganzen Unmut über die Schöpfung vor die Füsse zu kotzen.

In beiden Büchern hat die Hauptfigur einen Gegenpart, der mal Verbündeter, mal Antagonist zu sein scheint. Bei «Teufelsgold» ist es der Bruder Adalbert. Er ist rationaler Wissenschaftler, der Hendrick Busskes Drang nach Ruhm und Reichtum so gar nichts abgewinnen kann und die Sache mit der Alchemie mit spöttischem Unglaube verfolgt. Doch wie es die Handlung (und das menschliche Wesen) will, schützt auch überlegenes Wissen und ein Ritt auf dem hohen Ross nicht davor, den eigenen, uneingestandenen Wünschen zu erliegen.

Der Konterpart zum todgeweihten Kapitän bei «Quest» ist ein Unsterblicher. Smeeth wird von der Mannschaft der Megatao aufgegriffen, nachdem er während fast vierhundert Jahren mit einem havarierten Schiff durchs All gedriftet ist. Er hängt es zwar nicht an die grosse Glocke, doch sein Geheimnis kommt trotzdem recht schnell ans Licht: Er gehört zu den zwölf Unsterblichen, die bislang in einer alten gheeraischen Sage besungen wurden und, wie Smeeth beweist, tatsächlich existieren. Sie sind auch der Grund, weswegen der die Armeen des Sternenkaisers den menschlichen Rassen im All zusetzen und sie in Kriegen unterwerfen. Der Sternenkaiser strebt selbst nach Unsterblichkeit. Und dabei sollten ihm die Zwölf gefälligst helfen.

Jahrtausende alte Verführungskünste

Smeeth denkt nicht daran, das zu tun. Er macht sich auf dem Schiff auch nicht gerade beliebt, indem er mittels Tausende Jahre alter Verführungskünste die Erste Heilerin Vileena herumkriegt und Bailan in etwas verwickelt, das man als Intrige ansehen könnte. Bailan ist durch eine Verkettung unglücklicher Umstände auf dem Schiff gelandet. Als Novize des Ordens, das im Pashkanarium eine riesige Sammlung menschlichen Wissens hütet, ist er Eftalan Quest in die Quere gekommen, der Aufzeichnungen stehlen lassen wollte, die er für seine Mission für wichtig erachtete. Smeeth hilft Bailan, einen Übersetzungfehler zu beheben (diese sakrale Deklination in Utak!) und verhindert so, dass es zu einer fatalen Konfrontation mit den Yorsen kommt. Er hilft sich aber auch selbst dabei, schon bald darauf auf den Captainsessel der Megatao zu gelangen.

Space Opera! (Bild: Pink battle worn outside; David Revoy, Blender Foundation, Wikipedia.org, CC BY 3.0)

Eine weitere Parallele ist die Zeit, respektive der beschränkte menschliche Erkenntnishorizont, der in allen vielen Büchern Eschbachs irgendwie überwunden wird – sei es durch eine geschickte Investitionsstrategie, sei es durch Nanotechnik, die sich im ganzen All ausdehnt. Oder sei es, wie in «Teufelsgold», wo der Stein der Weisen es den Menschen ermöglicht, den Tod um Jahre oder gar Jahrhunderte herauszuschieben und allerhand Tricks anzuwenden, um der Unvollkommenheit der menschlichen Existenz zu entrinnen. Der eine tut das durch einen nicht-endenden Orgasmus, der andere durch die Transformation – zu was auch immer.

Ist es das, was Hendrick Busske wollte? Er ist in die ganze Sache eigentlich nur hineingestolpert. Er hat aus Neugierde ein Buch mitgehen lassen. In dem Buch stand etwas, das es ihm erlaubt hat, sich elegant aus einer unangenehmen Situation herauszureden. Und daraus hat sich wiederum sein neuer Job, sein Geschäftsplan ergeben.

Die Alchemie als lukratives Betätigungsfeld

Busske brauchte irgend etwas, mit dem sich Geld machen liess. Und da passte die Alchemie nun einmal sehr gut, da sich mit der aus Quecksilber Gold herstellen lässt. Die Alchemie ist Metapher und gleichzeitig ein Handlungselement. Und sie hat obendrein quasi naturwissenschaftlich eine Moral eingebaut. Denn das so hergestellte Gold ist gefährlich. Es strahlt radioaktiv und macht krankt – es ist Teufelsgold und verlangt seinem Besitzer einen Preis ab, der höher ist als er es bei normalem Gold sein könnte.

Um noch einmal zur Unsterblichkeit bei «Quest» zurückzukommen. Dort wird die Frage, weswegen es unsinnig ist, nach ihr zu streben, nebenbei und fast schon fast lapidar beantwortet. Da versucht die Heilerin Vileena dem ungläubigen Quest Folgendes zu erklären:

«Die Lebenden müssen wieder Platz machen für die Ungeborenen», sagte sie. «Die Alten müssen sterben, damit eine neue Generation entstehen kann. Nur so kann es Evolution geben, Entwicklung.»

Schliesslich verbindet die Bücher – und alle Bücher Eschbachs – dass der Autor grosse Sympathien für alle seine Figuren aufbringt. Er erinnert mich dabei an J.K. Rowling, die selbst für Lord Voldemort Zuneigung zu verspüren scheint. (Naja, bei Dolores Umbridge hält sich die Verbundenheit zugegebenermassen in Grenzen.)

Sympathien für die eigenen Figuren? Das ist längst nicht bei allen Autoren der Fall. Manche scheinen ihren Geschöpfen höchst ambivalent gegenüberzustehen. Andere traktieren sie auf eine Art und Weise, dass man Hass seitens des Autors vermuten muss: George R. R. Martin fällt mir hier ein, der Figuren, die eine Dummheit begehen, äusserst grausam bestraft. Und zwar selbst dann, wenn die Dummheit für die Handlung notwendig war. Aber gut, im Fall von Martin tut das dem Vergnügen keinen Abbruch.

Am schlimmsten sind jedenfalls die empathielosen Schriftsteller, die ein Reissbrettkonstrukt durch eine drehbuchartige Handlung jagen. Da ist dann der Showdown am Ende dafür umso grösser. Eschbach mag offensichtlich auch den Hendrick Busske, obwohl ich mir sehr gut vorstellen kann, dass Eschbach beim Schreiben vor sich hinmurmelte, dass Busske, dieser Ignorant, die Sache mit seiner Tochter Pia auch sehr viel früher hätte kapieren können. Also die eine Sache. Und die andere auch.

Die unerwartete Erkenntnis zum Schluss

Und die letzte Parallele ist, dass man bei Eschbach eine unerwartete Erkenntnis vorfindet. Bei «Teufelsgold» ist es die Erkenntnis, dass die Transhumanisten die neuen Alchemisten sind. Bei «Quest» ist die Erkenntnis, dass George Lucas mit seinem «Krieg der Sterne»-Universum einpacken kann, wenn der Mann aus Ulm mit seiner Space-Saga loslegt.

Fussnoten

1) «Der Jesus-Deal» in Jesus und die Katze von Schrödinger, «Todesengel» in Zeit für Superhelden?, «Eine Billion Dollar» in Mit einer Billion Dolllar die Menschheit retten, «Das Jesusvideo» und «Ein König für Deutschland» in Spione und Zeitreisende

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