Jetzt bin ich schuld an Apples Fehlern?

Es tut mir leid, aber ich kann leider nichts dafür, wenn ein von mir positiv be­spro­chenes Betriebs­system-Update auf manchen Computern nicht so gut performt wie auf meinem Test­gerät.

Neulich kriegte ich Zuschauerpost. Es ging um dieses Video.

Wurmstichige Apple-Empfehlung? (Bild: Pete/Flickr.com)

Es ist schon eine Weile her, dass du das neue Mac-OS vorgestellt und gelobt hast. Leider, muss ich heute sagen, liess ich mich deswegen dazu verleiten, dieses zu installieren – obschon ich die neuen Funktionen eigentlich gar nicht brauche.

Das Resultat: Die Maschinen – ja, der Plural ist hier angebracht – sind nicht nur deutlich langsamer geworden, sondern es traten und treten zudem haarsträubende, unerklärliche und leider auch nicht konsistent nachvollziehbare Fehler auf, die nicht nur sehr ärgerlich sind, sondern auch die Qualität haben, Geschäfte zu vermasseln.

Darauf folgte eine Beschreibung der Probleme mit Mail und InDesign, und folgendes Schlusswort:

Vielleicht wäre es angebracht, wenn du in Zukunft beim Vorstellen neuer OS auf die Möglichkeit solcher Vorkommnisse hinweisen würdest.

Das ist ein gutes Beispiel, wo zwischen den Zeilen etwas ganz anderes steht als in der freundlich formulierten Mitteilung. Zwischen den Zeilen steht nämlich: «Wie kommst du eigentlich dazu, mir so einen Quatsch wie dieses El Capitan zu empfehlen?» Denn hätte ich die Software nicht positiv besprochen, hätte er sie nicht installiert. Ergo bin ich schuld an seinem Ärger.

Als Tester kann man leider nicht alle Probleme im Voraus erkennen

Was diesen Fall bemerkenswert macht, ist der Umstand, dass die Unmutsäusserung von einem Kollegen stammt. Er ist deutlich länger im Geschäft als ich und weiss daher natürlich, dass man als Tester und Rezensent einer Software unmöglich alle Probleme voraussehen kann, die draussen im Feld bei den Anwendern auftreten. Und dass nicht derjenige, der über ein Produkt schreibt, schuld an den Problemen ist, die dieses Produkt auslöst. Sondern derjenige, der das Produkt hergestellt und in den Handel gebracht hat. Der Hersteller, mit anderen Worten.

Der Shoot the messenger-Reflex ist – und das zeigt dieses Beispiel sehr wohl – selbst bei Journalisten vorhanden. (Auch wenn in diesem Fall der Überbringer der Botschaft nicht deswegen erschossen werden soll, weil die Botschaft schlecht war. Sondern weil sie offenbar zu viel versprochen hat.) Diesen Reflex sieht man häufig in den Online-Kommentaren unter den Artikeln und bei den Marketing-Menschen).

Im direkten Umgang mit den Lesern ist es meiner Erfahrung nach so, dass die allermeisten Leserinnen und Leser medienkompetent genug sind, um ihre Kritik an den richtigen Adressaten zu richten. Wenigstens, solange man als Journalist sorgfältig gearbeitet, kein entscheidendes Argument ausser Acht gelassen und sein Urteil nachvollziehbar begründet hat.

Also – entsprechend ärgere ich mich nicht über diese Zuschrift, sondern freue mich, dass sie mir ein Thema für einen Blogpost liefert. Und der Vorschlag am Schluss ist durchaus erwägenswert: Eine Warnung oder ein «Disclaimer» am Ende würde den Nutzern in Erinnerung rufen, dass mit einem Update auch Gefahren verbunden sind. Bringt so ein «Beipackzettel» zu einem Softwaretest etwas?

Die persönlichen Risiken lassen sich erst hinterher benennen

Die Erfahrung mit Beipackzetteln lehrt, dass sie zwar etwas über die statischen Risiken aussagen, aber komplett nutzlos sind, die konkreten, persönlichen Risiken zu benennen. Um diese in Erfahrung zu bringen, muss man das Medikament schlucken. Auch die Tauglichkeit einer Software zeigt sich erst, wenn man sie selber benutzt hat: The proof of the pudding is in the eating, wie es die Angelsachsen so schön ausdrücken.

Entsprechend würde ein solcher Disclaimer es uns als Journalisten erlauben, hinterher zu sagen, wir hätten ja gewarnt. Das hilft den Leuten dann allerdings auch nicht weiter, sondern riecht bloss nach der guten alten Save your Ass-Strategie.

Man kann nicht andauernd alle möglichen Risiken aufzählen

Und eben: Es ist rein aus Platz-, Zeit- und Praktikabilitätsgründen nicht möglich ist, bei jeder Berichterstattung über digitale Sachverhalte alle eventuell relevanten Warnungen anzubringen und die Leser vor jedweder Unbill zu schützen:

Sonst müsste man bei jedem Download auf die möglichen Risiken eines Downloads, bei jeder Installation auf die Notwendigkeit eines Backups, bei jedem Klick im Web auf die Scam-, Fishing- und Tracking-Problematik, bei jedem Login auf mögliche Datenschutz- und Privacy-Mängel, bei jedem App-Start auf denkbare Abstürze mit Datenverlust hinweisen…

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