Diesen Podcast wollte ich euch schon vor zwei Jahren vorstellen. Damals lief die erste Staffel und vor allem von der Folge Norman und sein Mobber war ich beeindruckt. Doch irgendwie hat er es nicht von meiner Themenliste ins Blog geschafft. Ich neige dazu, meiner Notiz-App die Schuld zu geben. Manchmal scheint Simplenote nicht richtig zu synchronisieren. Eine Person mit laienpsychologischen Ambitionen dürfte eine andere Vermutung haben: Selbstsabotage. Denn es geht um Leute, die vor einer potenziell lebensverändernden Konfrontation zurückschrecken. Ein Thema, bei dem ich mich zu den persönlich Betroffenen zähle.
Nun, ich muss nicht überlegen, ob ich mich als Kandidat bei Lea Utz melden soll. Ich bekam meine Konfrontation ohne ihre Hilfe auf die Reihe. Dieses Ereignis liegt mehr als zwanzig Jahre zurück. Bei ihm war kein Telefonanruf im Spiel, und es hatte ein Happy End. Trotzdem ist es nicht zu leugnen, dass die präsentierten Schicksale nicht einfach Unterhaltung sind, sondern mich tiefer berühren als die meisten der Produktionen, die hier sonst besprochen werden.
Es menschelt – auf die gute Art

Also, um die Laienpsychologen Lüge zu strafen, folgt hier eine mehr als verdiente Würdigung. Telephobia (RSS, iTunes, Spotify) ist ein Podcast, in dem es kaum mehr menscheln könnte. Doch das tut es auf eine maximal nahbare Weise – und auf diametral andere Weise als die Zeitschriften, die bei meiner Grossmutter adoptivväterlicherseits herumlagen, wo schon in Vor-Clickbaiting-Zeiten persönliche Schicksale für mediale Aufmerksamkeit ausgebeutet wurden.
Besagte Lea Utz bietet an, Menschen bei dieser Konfrontation zu begleiten: Sie hilft, diesen Anruf zu tätigen, vor dem sie sich so lange gedrückt haben. Sie tut das mit einer unschlagbaren Mischung aus Einfühlsamkeit, Nachdruck und Ermutigung, dass der Zeitungsmensch in mir nicht um die Feststellung herumkommt, dass diese Rolle als Wingwoman der bekannten Standesregel von Hanns Joachim Friedrichs widerspricht, dass ein guter Journalist sich mit keiner Sache gemein macht, auch nicht mit einer guten.
Allerdings stehen Podcasts seit jeher im Verdacht, nicht nach rein journalistischen Prinzipien zu funktionieren. Die Stimme vermittelt nie nur Fakten aus professioneller Distanz, sondern ist auch Erzählerin einer Geschichte, in der sie selbst eine Rolle spielt – und wenn es nur die der Rechercheurin ist. Wir haben es mit einer Form des New Journalism zu tun, und der ist oft so gut, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass sich Hanns Joachim Friedrichs ihm vollständig hätte entziehen können.
Ohne Kitsch und Gefühlsduselei
In der ersten Folge der ersten Staffel steht Lea Utz Norman zur Seite. Er wurde in der Grundschule von seinen Mitschülern geplagt und schafft es, dank der Rückendeckung den Rädelsführer zur Rede zu stellen. In einer anderen Folge möchte Erika ihre alte Freundin Dori wiederfinden. Sarah hat Angst vor einer Diagnose und Susi möchte ihre Notenblätter zurück – was zeigt, wie unterschiedlich diese Dinge sein können, die uns nicht loslassen. In der zweiten Staffel hat mich die Folge Judith und der rätselhafte Pirat am meisten beeindruckt: In der ruft Judith den Freund ihres früh verstorbenen Vaters an, um mehr über ihn zu erfahren. In der entfaltet sich Lea Utz’ Talent zur vollen Grösse, auf die Herzen der Hörerschaft abzuzielen, ohne in Kitsch und Gefühlsduselei abzugleiten.
Der dritten Staffel merken wir die Wirkung an, die die ersten beiden entfalten konnten: Ich wette darauf, dass sich viele Leute gemeldet haben und Lea und ihr Team inzwischen mehr Fälle zu Auswahl haben. Das eraubt es ihnen, die Bandbreite zu erweitern – von Annett, die aus der DDR flieht über Mario, der Kontakt zu seinem Vater aufnehmen möchte bis hin zu Joschka, der den Geistern aus seiner Primarschulzeit auf die Spur kommen will. Es bleibt aber dabei, dass jeder Fall ein Wagnis bleibt, bei dem am Anfang der Recherche nicht sicher ist, wie er enden wird – eindrücklich zu spüren auch bei Wolfram, der seiner ehemaligen Freundin nachspürt, mit der er in der Jugend die Revolution geprobt hat. Nebenbei für mich als KI-Mensch auch ein interessantes Beispiel zum Einsatz von KI zur Verfremdung von Stimmen. Es könnte sein, dass ich demnächst mal über die ethischen Aspekte bloggen muss.
Es kommt gut
Fazit: Merci, dass Eva mich an diesen Podcast erinnert hat. «Telephobia» ist die Antithese zum True Crime. Es geht zwar auch hier oft um halbwegs oder fast vollständig Verschüttetes. Die Ausgrabungen finden aber nicht für Gesellschaft und Justitia statt, sondern dem privaten Seelenfrieden zuliebe. Der entscheidende Unterschied ist aber folgender: Hier können die Dinge fast immer eingerenkt werden.
Beitragsbild: Der Feind in meinem Wohnzimmer (Pixabay, Pexels-Lizenz).