Die «drei Sonnen» zwischen zwei Welten

Als be­geis­ter­ter Leser der Trilogie «3 Body Problem» komme ich nicht umhin, die Netflix-Serie an der Buch­vor­lage zu messen. Und auch wenn es Kritik­punk­te gibt, ist die Serie ein trif­tiger Grund, das Strea­ming-Abo 2025 vo­rerst nicht zu kün­digen.

Es gibt einen transitorischen Passivposten zu begleichen. Ich habe euch im letzten Jahr zehn Serien versprochen, für die es sich lohnt, das Netflix-Abo nicht zu kündigen. Denn 2024 feierte der Streamingdienst seinen zehnten Geburtstag in der Schweiz, und gewisse Ermüdungserscheinungen sind unverkennbar.

Aber klar – bei den Gründen, die für die Fortführung der Zahlungen nach Los Gatos sprechen, darf eine Serie auf keinen Fall fehlen: 3 Body Problem (Wikipedia). Es ist eine spannende Science-Fiction-Erzählung, die durch ihre Stimmung, ihre visuelle Opulenz und die Verbandelung von Osten und Westen überzeugt. Sie schafft es, einer alten Frage eine neue, moderne Seite abzugewinnen.

Die Apple Vision Pro kann einpacken!

Achtung, wenn ich diese Frage nun ansprechen würde, wäre das ein Spoiler für alle Leserinnen und Leser, die weder die Filmproduktion noch die literarische Vorlage von Liu Cixin kennen. Darum verweise ich auf meine Besprechung vor neun Jahren und versuche, anhand meiner Erinnerungen die Unterschiede herauszuarbeiten – so weit ich mich denn noch an die Details erinnern mag. Bei einer Sache bin ich mir indes sicher: Es ist unbedingt ein Gewinn, mit den Büchern anzufangen. Sie erlauben es uns, viel tiefer in die chaotische Welt der Trisolarier einzutauchen.

Es menschelt mehr bei Netflix

Die Serie ist im Vergleich deutlich zugänglicher. Das hat einen trivialen Grund: Es ist viel einfacher, sich die Figuren zu merken. In den Büchern haben die meisten Hauptfiguren chinesische Namen, die es (zumindest Leuten wie mir) schwer macht, sie auseinanderzuhalten. Die Serie hingegen ist internationaler angelegt. Der Nanoforscher Wang Miao ist eine Frau namens Auggie Salazar (Eiza González), die in Grossbritannien arbeitet, die wiederum ihre Freundin Jin Cheng (Jess Hong) als Vertraute hat. Das gibt Raum für persönliche Beziehungen und Interaktionen.

Das Pub als Verbindungsglied zum Westen.

Es gibt einige weitere Figuren, namentlich Saul Durand (Jovan Adepo), Will Downing (Alex Sharp), und als Inbegriff eines Nerds Jack Rooney (John Bradley West), die für die Serie dazu erfunden wurden. Als Fan des Originals könnte man einwenden, dass die davon ablenken, dass der Autor den Beweis erbringen möchte, wie sich aus einem mathematisch-theoretischen Problem eine spannende Geschichte stricken lässt – und stattdessen mehr Menschliches erzählt wird, das auch in jedem anderen TV-Œuvre vorkommen könnte. Das ist Geschmacksache – ich konnte mich mit diesen Figuren gut anfreunden und empfinde sie als Bereicherung. Die brutalen Lebensumstände in der Welt mit den drei Sonnen werden in den Büchern viel deutlicher und mit mehr Nachdruck spürbar, während sie in der Serie als zu harmloses Game herüberkommt.

Aus dem Nanowissenschaftler ist eine Frau geworden.

Die chinesische Heldin kommt zu kurz

Und: Kommt Ye Wenjie zu kurz? In den Büchern verbringen wir viel Zeit mit der Astrophysikerin, die eng mit der Geschichte Chinas verknüpft wird. Es schwingt bei dieser Frage der Vorwurf mit, dass Netflix das Werk zu stark internationalisiert hat. Ist gar Kulturimperialismus mit im Spiel, indem sich der US-Konzern eine chinesische Geschichte aneignet und als Zugeständnis an den Massengeschmack ihrer Identität beraubt? Eine Verfilmung näher am Original wäre mutmasslich weniger erfolgreich. Deshalb lässt sich argumentieren, dass Netflix sich als Vermittler zwischen den Kulturen betätigt. Für diese Interpretation spricht, dass Ye Wenjie – als junge Frau von Zine Tseng gespielt und als ältere Dame von Rosalind Chao verkörpert – eine starke Figur ist und bleibt.

Der Anfang ist heftig: Während der Kulturrevolution wird Ye Wenjies Vater als Vertreter der Wissenschaft hingerichtet.

Ich glaube, eine stärkere Fokussierung auf sie hätte der Serie nicht geschadet (die Szene am Ende der sechsten Folge ist jedoch stark – noch etwas mehr als der Einstein-Witz – und macht einiges wett). Diesen Einwänden zum Trotz gibt es eine gute Note für «3 Body Problem». Die Serie lässt uns spüren, dass wir als Menschheit zusammenhalten und uns nicht so sehr mit den Ethnien, Geschlechtern oder anderen Unterscheidungskriterien aufhalten sollten. Und wir könnten lernen, dass wir nicht immer gleich in den Krieg ziehen sollten.

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