Die sechs Voraussagen des KI-Gurus für 2025

Der Chef der mass­ge­bli­chen KI-Com­mu­nity Hugging Face sagt, wo­rauf wir uns bei der künst­lichen Intel­li­genz im neuen Jahr ein­stel­len müssen.

Was wird die künstliche Intelligenz 2025 bringen? Auf Linkedin habe ich eine Prognose entdeckt, über die wir diskutieren müssen. Die Vorhersage stammt von Clem Delangue. Er ist ein Mitbegründer und der Chef der massgeblichen KI-Community Hugging Face, die ich genau vor einem Jahr hier vorgestellt habe.

Und hier kommen sie:

1) Es wird 2025 den ersten grossen öffentlichen Protest wegen der künstlichen Intelligenz geben.

Und die letztjährige Prognose traf auch ins Schwarze.

Vielleicht. Aber: Gab es den Protest nicht schon 2024? Wenn wir uns einen Menschenauflauf vor dem Hauptsitz von OpenAI vorstellen, die über ihre Transparente und Sprechchöre Sam Altman zur Mässigung aufrufen, dann nicht.

Aber wir erinnern uns an den offenen Brief in dem Autoren, Musikerinnen und Filmschaffende eine klare Ansage gemacht haben. Zitat aus der «Washington Post»:

Mehr als 10’500 Kreativschaffende, darunter Thom Yorke von Radiohead, die Schauspielerin Julianne Moore und der Roman-Nobelpreisträger Kazuo Ishiguro, haben einen offenen Brief unterzeichnet, in dem sie die «unlizenzierte Nutzung kreativer Werke» zur Entwicklung künstlicher Intelligenzsysteme wie ChatGPT von OpenAI verurteilen.

Wenn das kein öffentlicher Protest ist! Auch Grössen aus der Schauspielgilde wie Kevin Bacon und Melissa Joan Hart, Komikerinnen Kate McKinnon und Rosie O’Donnell, Autorinnen wie Ann Patchett und Emily St. John Mandel haben ihre Unterschrift geleistet, ebenso wie Björn Ulvaeus von Abba und diverse Filmmusikkomponisten.

Wer hätte das gedacht? KI ist ein wirtschaftlicher Erfolgsfaktor

2) Die Marktkapitalisierung eines grossen Unternehmens wird sich der KI sei dank verdoppeln oder vervielfachen.

Ja, das wird garantiert irgendwo passieren. Zumindest, wenn nicht eine globale Finanzkrise zuschlägt. Diese Prognose könnte auch vom Finanzberater einer abgelegenen Landsparkasse kommen.

3) Mindestens 100’000 persönliche KI-Roboter werden vorbestellt werden.

Hm, was ist ein persönlicher KI-Roboter? Da man sie vorbestellen muss, dürfte es sich wohl um ein Gerät handeln, das vermutlich frühestens 2030 ausgeliefert wird und – so stelle ich es mir vor – seine Dienste im Haushalt verrichtet und mir auf Zuruf einen Kamillentee mit Honig serviert.

4) China wird die Führung im KI-Wettlauf übernehmen (als Folge der Führung im Open-Source-KI-Wettlauf).

Wie Wikipedia verrät, gibt es in China eine KI-Industrie mit langer Tradition. Aber was heisst Führung konkret? Technologisch? Beim Umsatz?

Chinas KI-Strategie eignet sich nur bedingt zum Export

Bei der ETH lesen wir nach, dass China schon 2018 grosse Pläne hatte und bis 2030 die führende Nation in diesem Bereich werden will. Laut «Capital» erfolgte der «Aufstieg zur Weltmacht» bereits 2024:

Die sogenannte «digitale Seidenstrasse» ist Teil des Masterplans und wird jährlich mit gigantischen Summen und personellen Ressourcen gefördert. Die Volksrepublik China hat die ehrgeizigste KI-Strategie aller Nationen und stellt weltweit die meisten Ressourcen, Datenmengen, Talente, Unternehmen, Forschungen und Kapital zum Aufbau des KI-Ökosystems bereit. KI soll die gesamte chinesische Industrie vernetzen (…). Künstliche Intelligenz soll Waren produzieren, deren Ströme lenken und Angebot sowie Nachfrage austarieren und militärische wie digitale Interessen wahren. Die chinesische Regierung verfolgt eine zentral gesteuerte Strategie mit hyperlokaler Umsetzung. Von oben werden Werte und Ziele vorgegeben sowie Ressourcen zur Verfügung gestellt.

Das ist eindrücklich, zeigt allerdings auch, dass sich die chinesischen Ideen nicht einfach so auf eine offene, westliche Gesellschaft werden übertragen lassen.

5) Es wird grosse Durchbrüche in der KI für Biologie und Chemie geben.

Auch das keine sonderlich gewagte Prognose, nachdem 2024 KI-Forscher den Physik-Nobelpreis und den Chemie-Nobelpreis erhalten haben. Zu den Preisträgern gehört auch ein Biochemiker. Wenn noch Zweifel am Potenzial bestanden, dann sind die seit letztem Jahr ausgeräumt. Keine Frage, dass 2025 kein Naturwissenschaftler die Party verpassen wird. Und keine Frage, dass das Erfolge zeitigen wird. Und es liegt letztlich im Auge des Betrachters, was man als «grossen Durchbruch» ansieht.

6) Das Wachstumspotenzial der KI in Wirtschaft und bei der Beschäftigung wird sich anhand von 15 Millionen KI-Entwicklern auf Hugging Face abzeichnen.

Ein Werbespot in eigener Sache sei Clem Delangue natürlich gegönnt. Gegenwärtig gibt es um die sieben Millionen Leute, die auf der Plattform ihre Lösungen einstellen. Eine Verdoppelung ist ambitioniert, aber nicht unmöglich.

Nur bloss nicht zu konkret werden!

Fazit: Delangue zählt Aspekte auf, die wir im Auge behalten sollten. Nebenbei gibt er uns eine kurze, aber eindrückliche Lektion darin, wie man sich auf Linkedin als Koryphäe in Szene setzt: So vage wie diese Prognosen abgefasst sind, können sie fast nicht fehlgehen¹.

Was nun die tatsächlichen Überraschungen angeht, sollten wir uns an eine Erkenntnis halten, die uns schon die Atombombe vermittelte: Innovationen haben es an sich, dass wir ihre Auswirkungen erst dann erkennen, wenn sie eingetreten sind.

Fussnoten

1) Trotzdem habe ich mir erlaubt, sie für die Zeitung aufzugreifen und zu konkretisieren. Was zur Behauptung führte, dass 2025 die künstliche Intelligenz den Wocheneinkauf für uns erledigt.

Beitragsbild: Er hat schon gesehen, welche Tricks ChatGPT im neuen Jahr lernt (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).

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