Vermutlich kennt ihr sie auch, diese Fragen: Es braucht nur das passende Stichwort, um uns daran zu erinnern, dass wir genau diesen Sachverhalt schon mehrfach beantworten wollten. Aber wir haben das nie geschafft. Entweder ist etwas dazwischengekommen. Oder es war uns nicht wichtig genug. Oder wir haben gegoogelt, aber nichts Schlüssiges entdecken können.
Nun haben wir heute ChatGPT – und der ist immer für eine Antwort gut. Oder?
1) Casablanca
Frage: «Here’s looking at you»: Wie übersetzt man diesen Satz exakt wörtlich? Und ist «Ich schau dir in die Augen, Kleines» eine gute Übersetzung?
Der Satz «Here’s looking at you» lässt sich wörtlich übersetzen als «Hier schaut man dich an» oder «Hier schaut man zu dir». Allerdings ergibt diese wortwörtliche Übersetzung im Deutschen keinen sinnvollen Kontext, weil die Struktur und Ausdrucksweise im Englischen anders funktionieren.
Die populäre Übersetzung «Ich schau dir in die Augen, Kleines» ist keine wörtliche, sondern eine sinngemässe Übersetzung. Sie passt gut, weil sie den Charme und den Ton der Originalzeile einfängt. Diese Zeile stammt aus dem Film Casablanca und wurde im Deutschen so übersetzt, um die emotionale Bedeutung zu bewahren, auch wenn sie sich vom Original etwas entfernt.
Urteil: Richard Schneider teilt auf «Uepo, dem Übersetzungsportal» das Urteil von ChatGPT und meint, die vermeintliche Fehlübersetzung sei «doch nicht holprig und stümperhaft, sondern geradezu genial». Wir erfahren auch, dass es sich bei Bogarts Satz um einen Trinkspruch handelt, bei dem man sich quasi durch den Glasboden in die Augen geschaut hat.
Also: Eine gute Antwort, auf die wir allerdings auch mit einmal googeln oder Wikipedia-Lesen gestossen wären.
2) «Full of shit»
Die US-amerikanische Redewendung, jemand sei «full of shit», hat mich schon immer irritiert. Natürlich verstehe ich ihre beleidigende Wirkung. Doch im metaphorischen Sinn fand ich sie immer unklar.
Frage: Wenn jemand sagt, ich sei «full of shit», muss ich das als Füllung oder als Überzug verstehen?
Der Ausdruck deutet an, dass jemand unehrlich oder unaufrichtig ist. Er bezieht sich nicht wörtlich auf einen physischen Zustand, in dem man gefüllt oder beschichtet ist. Wenn man ihn metaphorisch verstehen will, müsste man von einer Füllung ausgehen, weil quasi die Scheisse von innen nach aussen dringt.
Urteil: Ich habe die Frage auf Englisch gestellt und auch eine englische Antwort erhalten. Die habe ich hier möglichst prägnant übersetzt; ChatGPT hat sich deutlich gewundener ausgedrückt. Diese Larifari-Formulierungen nerven an der KI oft. Doch in der zugespitzten Form gefällt mir die Erklärung!
Mit Google habe ich keine ähnlich schlüssige Erklärung gefunden. Es geht nicht um die Etymologie oder einen klar benennbaren Aspekt, sondern um das Sprachgefühl und um den Versuch, amerikanisch zu «denken». Der Wunsch, das zu verstehen, lässt sich kaum in einen passenden Begriff für die Suchmaschine packen.
3) Wer war dumm bei Clinton?
Frage: «It’s the economy, stupid.» Wer ist mit stupid gemeint?
Der Ausdruck «It’s the economy, stupid» stammt aus dem Präsidentschaftswahlkampf von Bill Clinton im Jahr 1992. Er wurde von James Carville, einem politischen Berater von Clinton, geprägt und sollte das Wahlkampfteam daran erinnern, dass die wirtschaftlichen Themen im Mittelpunkt stehen sollten.
Mit «stupid» ist niemand speziell gemeint, es ist eine flapsige, etwas selbstironische Formulierung, die das Team daran erinnern soll, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Es sollte eher im Sinne von «Denk daran, die Wirtschaft ist das Wichtigste!» verstanden werden, ohne dabei eine spezifische Person als «dumm» zu bezeichnen.
Urteil: Vermutlich stimmt diese Interpretation, auch wenn ich keinen Beleg dafür gefunden habe. Es gibt zwar einen Wikipedia-Eintrag, in dem dieser Aspekt nicht erläutert wird. Gemäss diesem Artikel scheint Mitt Romney ihn aber auf sich bzw. die Republikaner bezogen zu haben, sodass es auch andere Auslegungen geben könnte.
Perplexity kommt zum gleichen Schluss wie ChatGPT und verweist auf den erwähnten Wikipedia-Artikel. Die Begründung lautet, der Ausspruch sei auf einem Schild im Wahlkampfbüro gestanden. Endgültige Klarheit könnte nur James Carville selbst geben.
Wenn wir hundertprozentige Sicherheit anstreben, dürfen wir uns mit den KI-Antworten nicht zufriedengeben. Wenn uns an einer Arbeitshypothese gelegen ist, dann ist die Auskunft okay.
4) «Hotel California»
Frage: Was will uns eigentlich der Text im Song «Hotel California» sagen?
Der Song «Hotel California» von den Eagles ist für seine geheimnisvolle und vielschichtige Bedeutung bekannt. Der Text erzählt von einem Reisenden, der in einem luxuriösen, aber unheimlichen Hotel landet, das er nicht wieder verlassen kann.
Als mögliche Interpretationen zählt ChatGPT nun Materialismus und Dekadenz, Sucht und Abhängigkeit, Illusionen und Desillusionierung, Spiritualität und Existenz sowie Lebensweg und Entscheidungen – also irgendwie alles, was einen Menschen im weitesten Sinn festhalten könnte. Mir wäre noch «Familie und Beziehungen» eingefallen.
Wikipedia widmet dieser Frage einen langen Abschnitt. Die erste Erklärung von Glenn Frey lautet, sie hätten etwas «Seltsames machen und sehen wollen, ob sie es schaffen» lässt auch die Auslegung zu, dass überhaupt kein tieferer Sinn im Song steckt. Diese Deutung findet sich auch auf Reddit: «Narzissmus und Drogenkonsum in der Unterhaltungsindustrie, wenn man einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht hat.»
Urteil: Ich finde es in Ordnung, dass sich ChatGPT grundsätzlich wohlwollend äussert. Doch da diese Frage ungeklärt ist und bleiben wird, sollten wir auch die Möglichkeit einbeziehen, dass wir es mit pseudo-tiefgründigem Nonsens zu tun haben.
5) Jesus von Nazareth
Frage: Was würde herauskommen, wenn man bei Jesus von Nazareth einen Gentest macht?
ChatGPT hält in einer Analyse einige wichtige Punkte fest, unter anderem den hier:
Die christliche Theologie lehrt, dass Jesus durch eine Jungfrauengeburt ohne menschlichen Vater gezeugt wurde, weshalb in einem rein biologischen Sinne kein väterliches genetisches Material vorhanden wäre. Wissenschaftlich betrachtet, müsste ein Gentest in diesem Fall ein ungewöhnliches oder sogar unerklärliches Ergebnis liefern, da DNA normalerweise von beiden Elternteilen stammt.
Das Fazit von ChatGPT lautet:
Insgesamt würde ein solcher Test, falls er überhaupt möglich wäre, eher Fragen zur Abstammung und Herkunft Jesu aufwerfen, während die religiöse Dimension von Theologie und Glauben unberührt bleibt.
Urteil: Die Analyse finde ich gut, doch bei dieser abschliessenden Bemerkung bin ich diametral anderer Meinung. Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass Gott problemlos ad-hoc die passende Vater-DNS erfinden kann, nachdem es ihm gelungen ist, Mensch und Tier zu erschaffen.
Es könnte natürlich auch herauskommen, dass Maria etwas mit dem Nachbarn oder dem Sohn des Schankwirts hatte und – wie einer hier pointiert kommentiert – wegen einer Ausrede eine ganze Weltreligion erfunden hat.
Eine solche Entdeckung könnte nicht ohne Implikationen auf Theologie und Glaube bleiben. Zumindest bei den fundamentalistischen Christen, die die Bibel unbedingt wörtlich auslegen wollen.
Übrigens: Wer denkt, das sei ohnehin eine saudumme Frage, den weise ich gern auf Publikationen wie diese hier hin. Oder qualitätsjournalistische Erzeugnisse wie das von der «BZ Berlin».
Das endgültige Fazit
ChatGPT ist wunderbar darin, diese kleinen Mysterien des Lebens für immer auszuräumen. Es bleibt uns überlassen, ob wir das als positiv erleben, weil es uns Seelenfrieden verschafft oder ob wir es bedauern, dass die Welt noch um ein dickes Stück weiter entmystifiziert wird …
Beitragsbild: «There is gambling going on?» (Screenshot Youtube)
Welches Modell hast Du verwendet? 4o? Frage 5 könnte das neue Modell vielleicht besser beantworten.
Ja, 4o. Als ich den Artikel geschrieben habe, gab es o1 noch nicht. Aber ich werde es mit dem noch probieren.
Guter Artikel!