Alexandra Bröhm ist eine meiner Kolleginnen beim Tagesanzeiger und neuerdings auch Romanautorin. Sie hat ein Buch geschrieben: Yrsa. Journey of Fate (Amazon Affiliate). Es handelt sich um einen historischen Roman. Das ist ein Genre, das nicht in mein literarisches Beuteschema passt. Das orientiert sich an gegenwärtigen und zukünftigen Zeitabschnitten, weniger an der Vergangenheit. Ich lese gern über Hightech-Auswüchse und Ähnliches.
Aus Neugierde habe ich trotzdem mit der Lektüre begonnen. Ich wollte mehr über diese mir bislang unbekannte Seite meiner Kollegin erfahren. Fertig gelesen habe ich das Buch schliesslich, weil Alexandra eine spannende Geschichte gelungen ist.
Eine mystische Welt, wissenschaftlich beschrieben
Und zwar unter erschwerten Bedingungen: Alexandra wollte nicht unsere romantischen Klischees bedienen, sondern eine Geschichte abliefern, die den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen standhält. Mit dem Vorsatz, sich auf erhärtete Fakten zu stützen, verschenkt sie eines der stärksten erzählerischen Werkzeuge. Man nennt es gemeinhin «künstlerische Freiheit».
Doch aus dieser Prinzipientreue entsteht auch ein Spannungsfeld, das zu den Stärken des Buchs zählt: Eine nüchterne Wissenschaftsjournalistin und Historikerin schildert uns eine Welt, in der das Übersinnliche allgegenwärtig ist. Die Natur um sie herum ist beseelt von Trollen und Elfen, die mit Opfergaben besänftigt werden wollen. Selbst in den Flüssen wohnen Geister, die den Überquerern wohlwollend gesonnen sein können – oder auch nicht. Yrsa ist überzeugt, dass der weibliche Schutzgeist Fylgja über sie wacht. Ihre Mutter war eine Seherin und ihr Bruder Sjalfi hat ihre übersinnlichen Kräfte geerbt.
Religiöse Globalisierungskritik
Yrsa hat keinen Grund, diese Dinge zu hinterfragen – und die Autorin zwingt sie auch nicht dazu. Im Gegenteil: Sie zeigt uns in einer Begegnung zwischen Yrsa und einem Mönch, wie verkopft das Christentum im Vergleich doch ist. Was mich zu einem meiner Lieblings-Aufregerthemen aus der Menschheitsgeschichte bringt: Die Langeweile, die die heutigen Weltreligionen global gesehen erzeugen. Warum, zum Teufel, musste beispielsweise Island christianisiert werden? Ferien dort sind schön. Aber man stelle sich vor, man könnte die nordgermanische Religion live erleben! Und auch in Griechenland würde ich viel lieber Zeus und Konsorten begegnen, anstelle der griechisch-orthodoxen Kirche. (Obwohl auch die einen archaischen Reiz entfalten kann.)
Eine zweite Stärke des Buchs ist die Hauptfigur. Sosehr sie auch in ihrer Zeit lebt, hat sie dennoch eine Seite an sich, die man nach heutigen Massstäben emanzipatorisch nennen darf. Yrsa will Kriegerin werden. Das ist ungewöhnlich, jedoch nicht völlig abwegig.
In unserer Geschichte kann die 18-jährige Frau nun einmal hervorragend mit dem Bogen umgehen. Sie sieht sich nicht als Heimchen am Langhaus-Herd und schon gar nicht als x-te Nebenfrau des Dorfschmieds oder dem Expartner ihrer Mutter, den es auch nach Frischfleisch gelüstet.
Kämpfe statt Kulturkämpfe
Yrsas Wunsch entspringt aus ihrem Inneren, nicht aus den sozialen Medien. Sie ficht keine Kulturkämpfe aus, sondern echte Gefechte. Bei einem Bogenwettbewerb setzt sie sich (fast) gegen die männliche Konkurrenz durch. Es gibt zwar die Magie, aber alles, was sie tut, ist mittelbar. Das empfand ich beim Lesen als erfrischend. Nicht zuletzt, weil ich noch immer zu viel Zeit auf Twitter verbringe.
Also, ein gelungenes Buch mit gewissen Längen. Die werden durch die starken Momente wettgemacht. Zu denen zählt die eindringliche Schilderung von Yrsas Mutters Tod, die die Geburt eines Kindes nicht überlebt. Nach diesem Schlag übernimmt Yrsa die Obhut über ihren jüngeren Bruder Sjalfi. Die beiden leben für sich, und sie tun es am Existenzminimum. Denn sie fliegen aus dem Langhaus des ehemaligen Lebenspartners ihrer Mutter, weil sie sich nicht mit ihm einlassen will. Als Yrsa eines Tages von der Jagd zurückkommt, ist der neunjährige Bruder verschwunden. Auf der Suche nach Sjalfi gerät sie allerhand schwierige Situationen, von denen eine hungrige Bärin und ihr Junges noch die kleinste Gefahr darstellen. Sie wird von Sklavenhändlern entführt und entkommt. Sie lernt auch einen jungen Krieger kennen, der Gefühle in ihr weckt, die sie nicht zu deuten vermag.
Wikinger ist auch nur ein Job
Wer, wie ich, mit Wickie und den starken Männern und Asterix und die Normannen aufgewachsen ist, muss bei der Lektüre von Yrsa und den starken Frauen einige Vorstellungen zurechtrückten. Der wichtigste Irrtum dürfte jener sein, dass wir die Wikinger als Stamm wahrgenommen haben, in dem jeder Mann ein raubeiniger Krieger und auch mit den Frauen nicht gut Kirschen essen ist. Es könnte somit überraschend sein zu erfahren, dass Wikinger eher die Bezeichnung für ein Jobprofil ist. Oder auch eine kulturelle Kategorie. Und die Helme hatten keine Hörner – keine Hörner!
Das wusste ich schon von meinen Besuchen im Wikingermuseum in Stockholm, wo erklärt wurde, dass das beim Rudern einfach unpraktisch gewesen wäre. Auch die etwas pathetische Darstellung im Dänischen Nationalmuseum hat meine Vorurteile aus der Wickie-Zeit korrigiert. Wie Alexandra in einem interessanten Nachwort und in einer Folge im Apropos-Podcasts des Tagesanzeigers erklärt, rühren viele der Mythen daher, dass die Wikinger kaum schriftliche Dokumente hinterlassen haben. Viele der Erzählungen über sie gehen auf Schilderungen der Feinde und Opfer zurück, die entsprechend lückenhaft und verzerrt ausgefallen sind.
Also, ein Buch, dass es uns erlaubt, die Heldengeschichten unserer Kindheit in einer realistischeren Inkarnation zu erleben und in uns zu überlegen, ob wir damals ein wohlhabender Bürger der Handelsstadt Haithabu oder doch ein Sklave gewesen wären, der es der resoluten Frau des Dorfschmieds nie wirklich recht hätte machen können …
Beitragsbild: Etwas freundlicher hat Yrsa sicherlich schon dreingeschaut – meistens. Bild ist KI-generiert. (Pixabay, Pixabay-Lizenz).