Tun die Dorftrottel etwa bloss so doof?

Die Serie «Letterkenny» setzt ganz auf die gelebten Wi­der­sprü­che: Vier schein­bar unter­be­lich­tete Land­eier schaf­fen es im­mer wie­der, ihre der­ben Ver­hal­tens­wei­sen durch un­er­war­tete An­fälle von Zi­vi­lis­a­tion zu brechen.

Was sagt ein Buchhalter, der beim Fremdgehen erwischt worden ist? «Habe mich in der Spalte geirrt!»

Dieser Witz gibt exakt das Niveau wieder, das in der Fernsehserie Letterkenny zu erwarten ist. Wer keine Lust an überzeichnetem Männergehabe, an sinnlosen Prügeleien und an zelebriertem Dorfdeppentum hat, sollte einen grossen Bogen um diese bei Netflix zu sehende Produktion machen. Oder auch nicht: Denn natürlich wird die Dumpfheit ironisch gebrochen, und es bleibt in der Schwebe, wie trottelig die Leute auf dem Land tatsächlich sind. Entweder haben sie gelegentlich lichte Momente. Oder sie sind blitzgescheit, fühlen sich aber anders als wir Stadtbewohnerinnen nicht bemüssigt, ständig damit anzugeben.

Wayne und seine Schwester Katy.

Konkret sieht das so aus: Die vier Hauptfiguren sitzen vor ihrem Verkaufsstand, der vor der gemeinsam bewohnten Farm steht, aber scheinbar nie jemals von Kunden frequentiert wird. Dort führen sie Gespräche, bei denen innert kürzester Zeit anhand eines banalen Ausgangspunkts scharfsinnige Wortwechsel entstehen. Sie machen den Charme der Serie aus, weil sich auf überraschende Weise raffinierte Wortspiele, kluge Beobachtungen und tiefgründiger Humor abwechseln.

Prügeln gehört dazu

Die vier Hauptfiguren sind Wayne, der seinen Ruf als «härteste Kerl in Letterkenny» mit sinnlosen Schaukämpfen verteidigt. Er wird von Jared Keeso gespielt, der die Serie auch entwickelt hat und, man muss es leider so hart sagen, kein geborener Schauspieler ist. Seine Schwester Katy (Michelle Mylett) trägt gern knappe Kleidung und nutzt ihre Wirkung auf Männer auch aus: Mal führt sie die beiden kindischen und erfolglosen Hockeyspieler Reilly und Jonesy (Dylan Playfair und Andrew Herr) an der Nase herum, mal bringt sie Stewart (Tyler Johnston) auf den rechten Weg: Das ist der Chef der «Skids», der örtlichen Drogenbande, die Letterkenny zur «Methropolis», also zur Hauptstadt der Meth-Produktion machen wollte.

Daryl (Nathan Dales) ist der Sidekick und Freund von Waynes und so aus, als ob er noch niemals von dem Schlauch heruntergestiegen wäre, auf dem er als dem Kinderwagen Entstiegener seine Füsse platzierte. Meine Lieblingsfigur ist Squirrely Dan (K. Trevor Wilson), der die Prämisse der Serie am besten verkörpert. Er wirkt wie der sprichwörtliche Hillbilly aus dem letzten Inzucht-Tal, hat aber die oft klügsten Texte auf Lager.

Ein Intellektueller im Körper eines Antiintellektuellen.

Er ist – aufgrund seiner angeregten Darmtätigkeit – der Auslöser der Ereignisse in einer der denkwürdigsten Folgen. Das ist die dritte Episode namens «Fartbook», in der diese Flatulenzen zur Idee eines sozialen Netzwerks führen, bei der die Leute ihre Freunde an ihrem Darmgasen teilhaben können. Und ja, das führt zu genauso pennälerhaften Szenen, wie es zu befürchten war: Der Höhepunkt sind ohne Zweifel die Filter, die man in Instagram-Manier über seine Fürze legen kann, um einen alltäglichen Furz in einen aussergewöhnlichen Furz zu verwandeln.

Mark Zuckerberg auf dem Lande

Gleichzeitig entsteht eine tolle Parodie auf Facebook, in der der besagte Methhead Stewart zu einem gelungenen Mark-Zuckerberg-Gegenstück im Provinzformat mutiert, und in der schon während des Betatests all das passiert, was in den sozialen Medien in Echt passiert, sei es Belästigung, Spam oder Zweckentfremdung, wenn Katy bloss die Fürze ihrer Katzen postet. Das Ende der Geschichte: Wayne hält «Fartbook» für unwürdig und bringt seine Freunde dazu, das Experiment zu stoppen.

Fazit: Es gibt 81 Folgen der Serie in zwölf Staffeln. Ich bin mir nicht sicher, ob das Konzept so lange trägt – in Staffel zwei machen sich bei mir gewisse Ermüdungserscheinungen bemerkbar, obwohl das Gezänk um die Leitung der «Agriculture Hall» durchaus trägt. Mutmasslich ist «Letterkenny» keine Serie zum Komaglotzen, sondern für Zwischendurch oder zur Erholung nach der schlimmen vierten Folge von Baby Reindeer.

Nicht ohne Vorbild

Nebenbei habe ich ChatGPT gefragt, ob «Letterkenny» in der Tradition von Beavis and Butt-Head gesehen werden könne. Er meinte, beide Serien würden stereotype Figuren benutzen, um diese durch unerwartete Intelligenz zu subvertieren. Und:

Jedoch könnte «Letterkenny» auch in der Tradition von Serien wie Trailer Park Boys oder Parks and Recreation stehen. «Trailer Park Boys» zeigt das Leben einer Gruppe von Aussenseitern in einer Trailerpark-Gemeinde und verwendet einen ähnlichen Mockumentary-Stil, um Humor aus alltäglichen Situationen zu ziehen. «Parks and Recreation» nutzt ebenfalls ländliche, kleinstädtische Figuren, die auf den ersten Blick klischeehaft wirken, aber durch ihre Tiefe und Entwicklung überraschen.

Bemerkenswert noch, dass diese Serie das Licht der Welt auf Youtube erblickt hat und dort im Kanal Letterkenny Problems noch heute zu sehen ist.

Beitragsbild: Im Fall dieser beiden ist die Frage in der Überschrift zu verneinen (Screenshot Netflix).

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