Diese Lektion ging voll in die Hose

Ich Naivling mal wieder! Dachte ich doch, auf Twitter eine erhellende Diskussion führen zu können.

Das ist eine Fortsetzung zu meinem Blogpost vom Freitag, Eine Lektion in Ambiguitätstoleranz, zum Podcast «The Witch Trials of J.K. Rowling». Denn auf Twitter ist meine Lektion nicht angekommen. Im Gegenteil: Twitter hat mir eine Lektion erteilt, dass mein versöhnlicher Ansatz überhaupt nicht gefragt ist. Damit hadere ich:  Denn wenn ich auf die Kacke haue, ist Gegenwind in Ordnung. Aber wenn ich mir eine Basis für Verständigung offenbar nur herbeihalluziniert habe, dann muss ich über die Bücher.

Was ich hiermit tue: Auf Twitter (andernorts war die Reaktion positiver) hat man mir zu verstehen gegeben, dass bei Joanne Rowling null Raum für diese Ambiguität existiert, die ich vermutet habe – zumindest diejenigen, die darauf reagiert haben, waren sich so einig, wie ich es auf Twitter selten erlebt habe. Allerdings hat niemand auf den Blogpost Bezug genommen. Statt einer Art Metadiskussion gab es eine inhaltliche Debatte über die Position von Rowling – um die es mir nicht ging, weil ich, wie geschrieben, nicht sicher bin, ob sie recht oder unrecht hat.

Alle haben eine betonharte Überzeugung – nur ich nicht

Das Fazit der Debatte lautet, dass die Meinungen bei allen ausser mir gemacht und unverrücklich sind. Es gibt – zumindest bei denen, die sich an der Diskussion beteiligt haben –, offenbar genau einen richtigen Standpunkt. Ein Spielraum für unterschiedliche Ansichten, über die eine inhaltliche Auseinandersetzung stattfinden könnte, hat sich mir nicht aufgetan. Das ist mir neulich schon mal passiert, als ich zum Leistungsschutzrecht nicht den Kanon rezitiert habe. Das irritiert mich – und es entspricht nicht meiner Überzeugung, dass Haltungen nie in Stein gemeisselt sein sollten. Sie müssen jederzeit erklärt, überdacht und revidiert werden können.

Einerseits frage ich mich, ob mit mir etwas nicht stimmt, weil ich diese Eindeutigkeit nicht erkenne. Reda hat mir eine leichte Geisteskrankheit attestiert, indem er meinte, diese «Widersprüche seien nur in meinem Kopf». Ich kann nicht ausschliessen, dass er recht hat. Andererseits habe ich vieles, was er behauptete, diametral anders erlebt. Und er hat für meinen Geschmack zu hart auf die Frau gespielt und zu viele Beleidigungen ausgeteilt, dass ich seinem Engagement gegen Diskriminierung hätte folgen mögen.

Warum noch diskutieren?

Andererseits – und das ist es, was dieser Erfahrung einen bitteren Nachgeschmack verleiht – ist es komplett nutzlos, überhaupt noch diskutieren zu wollen. Das gilt auch bei Dingen, wo es für mein Verständnis einen grossen Graubereich gibt, bei dem man in guten Treuen unterschiedlicher Meinung sein kann, eine andere Perspektive hat oder Dinge unterschiedlich gewichtet. Und die Ironie ist, dass diese Ambiguitäts-Intoleranz sich hier bei einem Thema offenbart hat, bei dem Toleranz und Akzeptanz zum Kernanliegen gehören.

Ich habe gelernt, wie schmal der Grat ist, der Abweichler zu Feinden macht. Was heisst das für Unentschlossene? Hat man Lust, sich mit vermeintlich dummen Fragen zu exponieren?

Frontenbildung

Und ja, diese Haltung gabs schon in den Newsgroups des Ur-Internets – ich sollte also nicht allzu überrascht sein. Wobei: Wieso haben wir die Chance nicht genutzt, uns kommunikativ etwas weiterzuentwickeln? Mich beelendet es, wenn es unterm Strich nur zwei Wahlmöglichkeiten gibt: komplette Loyalität oder Feindeslager. Oder eben: Klappe halten. Das ist auch das, was Reda J.K. Rowling empfohlen hat: Die solle sich als Millionärin doch in ihr Schloss verkriechen und die Beine stillhalten (der Tweet, auf den ich hier geantwortet habe, hat er allerdings inzwischen gelöscht).

Ich konstatierte ein Komplettversagen bei der Meinungsbildung. Wenn es nur noch darum geht, sich zwischen Lager A und Lager B zu entscheiden, bin ich raus. Und ich bin es leid, Leute zu hören, die alles so genau wissen, dass sie es nicht mehr nötig haben, nur den leisesten Zweifel zu äussern. Mir geht es genau andersrum – je einhelliger alle um mich herum, desto seltsamer kommt mir das vor.

Beitragsbild: Einmal ist keinmal (Muyuan Ma, Unsplash-Lizenz).

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