Der Spamfilter für die Haustür

Das Spam-Problem hat sich in die reale Welt verlagert: In manchen öffent­lichen Räumen kann man keinen Meter mehr gehen, ohne von einem Fund­raiser an­ge­sprochen zu werden. Und neuer­dings klingeln die sogar daheim.

Wer erinnert sich noch an die Flut unerwünschter E-Mails, mit denen wir in den Nullerjahren zu kämpfen hatten? Wir haben daraus gelernt, dass es Hürden bei der Kontaktaufnahme braucht. Es geht nicht, dass wir als Privatpersonen von beliebigen Leuten und Organisationen nach deren Gutdünken angesprochen und mit irgendwelchen Anliegen behelligt werden.

Das allein aus Kapazitätsgründen: Wenn jeder uns persönlich von seinem tollen Produkt, seinem süffigen Wein oder seiner Weltverbesserungs-Idee erzählen will, dann kommen wir zu nichts anderem mehr. Welche Dimensionen das annehmen kann, sieht man in den USA: Vermittels der digitalen Automatisierung haben die sogenannten Robocalls dort ungeahnte Ausmasse angenommen und zunehmend strenge Regulierung nach sich gezogen. Bei uns ist das Problem des Telefon-Spams auch bekannt. Doch mit der Möglichkeit, die Nummern von Callcentern am Telefon zu sperren (fürs iPhone und Festnetz), hat es sich in der letzten Zeit entschärft.

«Haben Sie eine Minute?» (Ehrlicher wäre natürlich «Haben Sie 50 Stutz?»)

Es kommt daher nicht von ungefähr, dass sich die Versuche zur Kontaktaufnahme im realen Leben verschärfen. Im öffentlichen Raum, insbesondere auf den Bahnhöfen der SBB und in Einkaufsmeilen wie der Marktgasse hier in Winterthur stehen ständig Leute, die einen in ein Gespräch verwickeln wollen. Nebst dubiosen Figuren, die kaum eine Bewilligung für ihr Tun haben, gibt es eine Inflation der Spendensammler.

Dieses Geschäft wurde längst an spezialisierte Unternehmen ausgelagert. Ein solches ist die Corris AG, die die eigene Arbeit hier wie folgt schönfärbt (Baldwin Bakker, der zitiert wird, ist der Chef der Profi-Spendensammler):

Ein gewinnorientiertes Unternehmen, das gemeinnützige Anliegen kommuniziert und dafür gezielt auf Spenden aus ist im öffentlichen Raum? Für Bakker ist das kein Widerspruch. «Ich glaube, dass der Spender vor allem will, dass sein Geld effizient zum Ziel gelangt», sagt der CEO. Fundraising im Auftrag von Non-Profit-Organisationen durchzuführen, sei ein Konstrukt, das für alle Seiten funktioniere.

Ausser für Leute wie mich, die sich davon belästigt fühlen. Um es deutlich zu sagen: Betteln bleibt betteln, auch wenn man ihm einen modernen und professionellen Anstrich verleiht und es für eine gute Sache tut.

Eine Randbemerkung: Ich billige auch einem «richtigen» Bettler edle Motive zu: Der eigene Lebensunterhalt zu bestreiten, ist nichts, wofür man sich schämen müsste. Trotzdem ist es sinnvoll, dass es soziale Netze gibt, dass es uns erlaubt, im Gegenzug das Betteln zu verbieten (auch wenn ein solches Verbot wiederum Schattenseiten hat).

Die Taktiken, um uns das Geld aus der Tasche zu locken

Ich nehme Fundraisern ihre psychologisch ausgeklügelten Taktiken übel – denn was sie tun, ist im Kern moralische Erpressung.

Und sie nutzen den Umstand kalt aus, dass sie per se im Vorteil sind, weil sie sich auf ihre Arbeit vorbereiten. Im Gegensatz dazu bin ich als Angesprochener in aller Regel ahnungslos. Ich würde darauf wetten, dass man diesen professionellen Fundraisern in ihren Schulungen beibringt, dass sie so schnell als möglich zuschlagen müssen. Denn wenn sie uns «Opfer» Zeit zum Nachdenken geben, dann könnte uns ein Gedanke kommen, auf welche Weise wir ihr Ansinnen elegant ablehnen. Darum ist die joviale Art dieser Fundraiser leider reine Fassade – und Mittel zum Zweck, mich zu etwas zu verleiten, was ich womöglich nicht tun will.

Wir haben es mit einer Situation zu tun, in der ich als Angesprochener mich in der Defensiven wiederfinde: Wie will ich mich einem hehren Anliegen verweigern? Weil ich geizig bin? Keine Lust habe? Oder gerade keine Zeit? Alle diese Argumente klingen natürlich auch in meinen Ohren hohl und schal, sodass ich im Grund keine Wahl habe, als das Portemonnaie zu zücken und zehn oder zwanzig Franken zu spenden, nur um uns nicht schäbig zu fühlen.

Egal, ob man spendet oder nicht – schlecht fühlt man sich sowieso

Bedauerlicherweise ist es so, dass ich mich in beiden Fällen schlecht fühle: Wenn ich nicht spende, erlebe ich mich selbst als hartherzig. Wenn ich spende, dann habe ich es nicht aus freien Stücken getan, sondern um einer unangenehmen Situation zu entkommen und mich nicht rechtfertigen zu müssen. Das beschädigt meinen Wunsch nach Selbstbestimmung.

Ich bin daher dazu übergegangen, Fundraiser aus Prinzip abblitzen zu lassen. Ich verweigere mich dem Gespräch, und zwar allein, weil ich die Methode ablehne. Ob ich das Anliegen gut oder schlecht finde, ist nicht Gegenstand meiner Beurteilung. Vielleicht überlege ich mir das, wenn mir der Sinn danach steht. Und ab und zu spende ich dann sogar – und zwar in aller Regel mehr als eine Pro-Forma-Zwanzigernote.

So weit, so unerfreulich. Was mich nun wirklich auf die Palme treibt, ist die Tatsache, dass nun neuerdings auch an der Haustüre geklingelt wird. Diese Woche kamen zwei Studenten im Auftrag des Roten Kreuzes vorbei, um Spenden zu sammeln und zu fragen, ob man vielleicht auch für Fahrdienste zu haben wäre. So viele Sympathien ich auch für das Rote Kreuz habe, so übergriffig finde ich diese Methode – zumal die beiden Studenten es nicht bei einem Besuch haben bewenden lassen.

Via Twitter bin ich dabei herauszufinden, ob das ein Ausrutscher war oder systematisch betrieben wird. Eine offizielle Stellungnahme habe ich bislang nicht erhalten –  was umso störender ist. Denn wenn man derlei offensives tut, müsste man auch bei den Erklärungen offensiv sein.

Beitragsbild: Hier bitte nicht putzen (Pixabay, Pexels-Lizenz).

2 Kommentare zu «Der Spamfilter für die Haustür»

  1. Ich muss fürchterlich böse und grimmug aussehen, mich lassen diese Leute immer aus, ich werde sehrr selten angesprochen, auch nicht an Hotspots wie Stadelhofen und HB. 🙂

  2. Bei uns kommen seit einigen Jahren jährlich Studenten vorbei, um Mitglieder für die lokale Sektion vom Roten Kreuz anzuwerben. Über die Methode kann man geteilter Meinung sein, aber es ist seriös: Sie wollen nicht direkt Geld, sondern nehmen die Daten auf und man bekommt dann einen offiziellen Brief. Ich bezahle seit dem ersten Besuch der netten jungen Leute im Jahr 120 Fr. Ich wollte eigentlich 100, aber sie fanden, 20 Fr. pro Monat wären doch nicht zu viel. Von daher: Der persönliche Kontakt lohnt sich. 😀

    Wenn ich etwas Zeit habe, sind mir persönliche Besuche lieber als Werbung im Briefkasten, die Altpapier verursacht. Mehr als ein Besuch im Monat ist es nicht. Einmal Rotes Kreuz, einmal Samariterverein, einmal Verschönerungsverein (die pflegen ehrenamtlich die vielen schönen Bänkli und den Blumenschmuck im Ort, das ist mir 50 Fr./Jahr wert), ein paar Mal Schüler mit einer Schülerzeitung, um Geld fürs Klassenlager zu sammeln und dann noch die Kinder mit den Schoggitalern. Die haben wir früher auch verkauft. Mit Pro-Juventute-Marken kommt niemand mehr, das wurde wohl abgeschafft.

    Dann noch die Zeugen Jehovas. Mit denen hatte ich schon interessante Gespräche, aber denen mache ich nur auf, wenn ich Zeit und Lust dazu habe.

    Früher kamen noch die Sternsinger zur Weihnachtszeit, aber ich glaube, der Brauch ist auch ausgestorben.

    Was mich sehr ärgert, sind die „Handwerker“, die „gerade vor Ort“ sind und mal schnell das Dach reinigen oder den Hausplatz neu machen wollen. Immer super Preis, aber man muss sich sofort entscheiden.

    Früher kamen jeweils noch Fahrende. Die machen immer noch Halt in der Nachbargemeinde, aber anscheinend betätigen sie sich jetzt als Webdesigner oder so und nicht mehr als Messerschleifer und Korbflechter. Ich habe ihre Besuche immer geschätzt, sie haben zu einem fairen Preis die Messer und Scheren geschliffen. Da es fast keine Messermacher mehr gibt, ist es gar nicht so einfach, dafür Ersatz zu finden. Die geflochtenen Körbe sollten zum Glück noch ein paar Jahre halten. 😀

    Das beste Erlebnis hatte ich kürzlich mit einer kreativen Art Bettler: Er wollte mir einen Besen verkaufen, einen ganz gewöhnlichen Reisbesen. Für 20 Fr. Ich sagte ihm, das seien doch genau die gleichen Besen, die es im Coop im Nachbardorf für weniger als 10 Fr. gebe. Er meinte, ja, das stimme, von da habe er sie sogar, aber wenn ich bei ihm kaufen würde, hätte ich den Besen gleich in der Hand und müsste nicht einkaufen gehen. Da wir neu im Haus waren, konnte ein zweiter Besen nicht schaden, so habe ich ihm die 20 Fr. gegeben. Fünf für den Besen und 15 für die Geschichte.😀

    Man sieht, die Abneigung gegen „Spam an der Haustüre“ ist nicht überall gleich gross. Vielleicht liegt es daran, dass wir als Kinder früher häufiger an fremden Türen klingeln mussten: Schoggitaler, Pro-Juventute-Marken, Pro-Patria-Abzeichen, Schülerzeitung…

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