Zwei Klempner für Amerikas Seelennotstand

Nach Verbrechen, der Bibel und Sex nun auch noch die USA – ich bespreche «OK, America?» von «Die Zeit» und analysiere, warum es ausgerechnet einer Wochenzeitung gelungen ist, eine stringente Podcast-Strategie auf die Beine zu stellen.

Ich kann nicht versprechen, dass ich hier im Blog alle Podcasts von «Die Zeit» besprechen werde. Ich habe zwar hier «Zeit Verbrechen», hier «Woher weisst du das?», in dem es um Sex geht, vorgestellt. Und hier «Unter Pfarrerstöchtern» zur Bibel.

Aber es gibt bei «Die Zeit» noch eine ganze Menge mehr zu hören. Auf dieser Seite habe ich  ein Dutzend Serien gezählt. Plus drei, die im Moment auf Eis liegen. Zu den pausierenden Produktionen gehört ausgerechnet der Digitalpodcast mit dem klingenden Namen Wird das was? – was in dem Fall selbstreferenziell gemeint sein könnte.

Ob das noch was wird?

Zugegeben: Tech-Podcasts gibt es mehr als genug, auch in meinem Podcatcher. Ich bin mir übrigens meiner Schuld bewusst, selbst zu diesem Missstand beizutragen, indem wir auch beim Nerdfunk dieses übernutzte Feld beackern. Aber die Idee ist nicht gestorben, uns thematisch zu öffnen und uns dem Nerdtum im Allgemeinen zu verpflichten. Damit könnten wir uns von der Technik lösen und würden die Sendung häufiger mit Gästen bestreiten – was aber einen viel höheren administrativen Aufwand bedeuten würde.

Zu den pausierten «Die Zeit»-Podcasts gehört Wie war das im Osten?. In dem geht es um die DDR, womit er bestens zu dem seinerzeit hier vorgestellten Podcast «Staatsbürgerkunde» passt. Der weilt noch unter den Lebenden. Martin Fischer führt ihn in einem lockeren Monatsrhythmus. Das passt gut bei einem Thema, bei dem keine aktuellen Ereignisse zu erwarten sind.

So wenig vereinigt wie seit Asterix nicht mehr

Etwas kopflos sind sie manchmal ja, unsere amerikanischen Freunde.

Der Podcast, bei dem ich nicht um eine Besprechung herumkomme, heisst OK, America? (RSS, iTunes, Spotify, Deezer).

Mit Amerika ist weniger der Kontinent, als vielmehr das Land gemeint, das  von sich behauptet, aus vereinigten Staaten zu bestehen, das aber im Moment einen so zerstrittenen Eindruck macht, dass mir unweigerlich der Asterix-Band Der grosse Graben in den Sinn kommt. Der spielt bekanntlich in einem Dorf, in dem die Bewohner sich so wenig grün sind, dass Angehörige der Fraktion auf der einen Seite des Flusses ihre Opponenten durch Herausstrecken der Zunge zu begrüssen pflegen.

Man darf also voraussetzen, dass Amerika nicht okay ist – und dass das andauernde Spektakel in dieser grossen Nation mit den noch grösseren Konflikten die Würze dieses Podcasts sind. Und auch wenn die Frage im Titel offensichtlich eine rhetorische ist, so passt sie trotzdem ausgezeichnet: Es geht darum, die Verfassung auszuloten und das Psychogramm der amerikanischen Psyche fortzuschreiben.

Zu diesem Zweck werden die ganz aktuellen Ereignisse besprochen. Der Podcast hat die Präsidentschaftswahl, den Sturm aufs Kapitol, das Amtsenthebungsverfahren und die Übergabe der Regierungsgeschäfte an Joe Biden, sowie dessen erste Tage als neuer Präsident begleitet.

Es gibt auch Folgen, die nicht von tagesaktuellen Neuigkeiten, sondern von längerfristigen politischen Fragen handeln, zum Beispiel Amerikas Infrastrukturkatastrophe oder die Folge Wenn Wählerstimmen nicht gleich viel zählen über das Gerrymandering und andere Methoden, die demokratischen Rechte gewisser Wählergruppen zu beschneiden

OK, Switzerland?

In letzterer gibt es übrigens einen kleinen, aber gut platzierten Seitenhieb gegen die Schweiz, die sehr lange gebraucht hat, um das Frauenstimmrecht einzuführen. Nicht, dass ich das für ein Ruhmesblatt halte. Aber ohne lokalpatriotisch zu werden, darf man darauf hinweisen, dass in der Schweiz die Männer sich an der Urne dafür entschieden haben, ihre Macht mit den Frauen zu teilen.

Die Verwurzelung des Podcasts in der Aktualität unterscheidet «OK, America?» von den anderen, hier vorgestellten Podcasts von «Die Zeit»: Die sind im Schnitt weniger der Dokumentation des Zeitgeschehens verpflichtet, sondern setzen ihre eigenen Themen. Das soll aber nicht heissen, dass die Einordnung, Gewichtung und Analyse in «OK, America?» keine Rolle spielen – im Gegenteil; das macht die Stärke des Podcasts aus. Die News an sich gibt es schliesslich auch anderswo.

Eine Verdienstmedaille für den Erfinder!

Nebst dem Drama, das die US-amerikanischen Politik auszeichnet, hat «OK, America?» eine weitere Zutat, die für spannende Podcasts typisch ist: nämlich die Chemie zwischen den Hosts.

Rieke Havertz und Klaus Brinkbäumer.

Das sind Klaus Brinkbäumer, der Chef des «Spiegel» und Washington-Korrespondent für «Die Zeit» war und heute in Leipzig beim MDR auf Chefsessel sitzt, sowie Rieke Havertz, die Chefin von Zeit Online war. Und wer immer auf die Idee gekommen ist, die beiden zusammen in einen Podcast zu stecken – er verdient die goldene Medaille am Band für ausserordentliche Verdienste im Dienste audiophoner Informationsformate.

Denn die beiden harmonieren einerseits, bieten aber auch genügend Reibungsfläche, damit das Zuhören spannend bleibt. Da ist auf der einen Seite Brinkbäumer, der zwischendurch zum Dozieren neigt und dann wieder auf den Spuren eines exaltierten Lokalmoderators wandelt. Und da ist auf der anderen Seite Havertz, die davon gänzlich unbeeindruckt ist jeweils umso nüchterner reagiert, je mehr ihr Gegenüber die Showtrompete bläst – das passt ausgezeichnet und gibt den Gesprächen eine zügige Taktung, ohne dass sie gehetzt oder allzu gescriptet wirken würden.

Ironisch. Oder doch nicht.

Fazit: Es ist in gewisser Weise ironisch, dass es ausgerechnet «Die Zeit» geschafft hat, eine stringente Podcast-Strategie auf die Beine zu stellen. Denn zur Erinnerung: «Die Zeit» ist eigentlich ein Printprodukt, und damit von Haus aus viel weniger prädestiniert für eine solche Leistung als eine Radioredaktion.

Aber ich denke, genau da liegt der Hase im Pfeffer: Die Radiomenschen haben in den letzten Jahren eine derartige Angst vor den angeblichen Ab- und Umschaltimpulsen der Hörerinnen entwickelt, dass sie alles vermeiden, was einen schönen Podcast auszeichnet. Stattdessen gibt es dann ultrakurze, dafür überproduzierte Beiträge, die einen aber leider komplett kaltlassen.

Das Geheimnis: Erzählen können

Ein Medium, das als Haupttugend das «Storytelling» pflegt – und ich meine das nicht im neudeutschen Sinn von multimedialem Schnickschnack auf Websites, sondern in der klassischen Wortbedeutung als Geschichtenerzählen –, das erfüllt die wichtigste Voraussetzung für einen gelungenen Podcast. Wenn dann die sorgfältige Produktion (mit übrigens einem ansprechenden und durchgängig wiederzuerkennenden Jingle-Design) und ein gutes Gespür für Länge und Taktung dazukommen, dann sind die Grundsteine für einen guten Podcast gelegt.

Ein Quäntchen Glück gehört auch dazu. Und dazu zähle ich den Umstand, dass «Die Zeit» in allen hier besprochenen Produktionen charismatische Moderationspärchen am Start hat. Leute zu finden, die harmonieren und sich kontrastieren, ist keine einfache Sache, weil sich ein solches Duo auch über ein paar Sendungen warmlaufen muss. Aber Sympathie hilft sicher – und ohne nun über Insider-Informationen zu verfügen¹ würde ich vermuten, dass da die Unternehmenskultur eine wesentliche Rolle spielt.

Fussnoten

1) Ich hatte meinen Einstand beim «Tagesanzeiger» im Bund «Digital», der von Roger de Weck gegründet worden war, der seinerseits längere Zeit für «Die Zeit» gearbeitet hat. Er wurde dann dort Chefredaktor, noch bevor ich dazugestossen bin, was erklärt, dass es mir an dieser Stelle an Insiderinformationen mangelt. 😉

Beitragsbild: Wenn Fahnenschwenken Probleme lösen würde… (Josh Willink, Pexels-Lizenz)

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