Bahnbrechende Erkenntnisse zu Sex-Podcasts

Ich dachte, der Sexpodcast sei tot. Doch siehe da, er ist ein Stehaufmännchen!

Ich habe gedacht, das Thema sei abgeschlossen. Im Beitrag Ein Prickeln in den Ohren? habe ich mich zu den Sex-Podcasts geäussert und ein Urteil gefällt, von dem ich glaubte, es sei abschliessend: in der Theorie grossartig, aber in Echt völlig unbrauchbar.

Nun habe ich zufälligerweise festgestellt, dass auch «Die Zeit» einen Sexpodcast im Angebot hat. Ist das normal? heisst er und wird von Zeit-Wissensredakteur Sven Stockrahm und Sexualtherapeutin und Ärztin Melanie Büttner betreut (RSS, Apple iTunes, Spotify, Deezer).

Damit war meine erklärte Absicht, mich um das Thema zu foutieren, hinfällig. Denn ich habe mit den Podcasts von «Die Zeit» hervorragende Erfahrungen gemacht.

Im Beitrag Der Krimi-Podcast, den man zu Bildungszwecken hört habe ich «Zeit Verbrechen» nicht nur vorgestellt, sondern auch kräftig gelobt. Obendrein habe ich inzwischen alle alten Folgen nachgehört. Das ist etwas, das mir seit Jahren bei keinem anderen Podcast mehr passiert ist. Und ich habe ausserdem den Podcast Woher weisst Du das? der Wissens-Redaktion entdeckt (RSS, Spotify, Apple, Deezer), den ich womöglich einmal separat besprechen muss. Anspieltipp hier: Die halbe Wahrheit über Jesus.

Also, wenn «Die Zeit» einen Sex-Podcast macht, ist das ein erklärter Grund, auf das Thema zurückzukommen. Denn dieser Absender räumt ein grundsätzliches Problem aus dem Weg, das ich mit anderen Podcasts aus dieser Kategorie habe.

Dieses Problem besteht darin, dass bei den allermeisten Angeboten im Unklaren bleibt, ob Sex der Inhalt oder das Thema ist – und wie Form und Gegenstand in Beziehung stehen.

Geht das überhaupt?

Oder pointierter gefragt: Will so ein Podcast aufklären oder die Libido ankurbeln? Oder will er beides gleichzeitig – und geht das überhaupt?

Die im erwähnten Beitrag kritisierten Podcasts machen diese Unterscheidung explizit nicht. Im Gegenteil: Mit Titeln wie «Besser als Sex», «Oh, Baby!» oder «Sex Nerd Sandra» deutet sich ein lustvolles Hörerlebnis an. Die Gastgeber der Podcasts präsentieren sich nicht als Journalistinnen, Wissenschaftler oder Aufklärerinnen, sondern auch als Casanovas, Verführerinnen und Sirenen. Da verwendet in «Besser als Sex» die eine der beiden Frauen das Pseudonym Leila Lowfire, das keinen Interpretationsspielraum offen lässt. Genau sowenig, wie die illustrative Aufmachung des Podcasts.

Tag die Damen, worum geht es heute?

Diese Ambivalenz fördert das Publikumsinteresse am Podcast (sex sells), aber sie führt auch geradewegs in das Dilemma, an dem alle diese Podcasts hochkant gescheitert sind: Sie allesamt bieten in der vermeintlich lustvollen Verpackung Aufklärung, meinetwegen Lebenshilfe zum Thema. Und das ist ein Etikettenschwindel: Es liegt in der Natur der Sache, dass man entweder geil ist oder etwas lernen möchte.

Der Sex-Podcast von «Die Zeit» stellt im Titel die nüchterne Frage «Ist das normal?» und macht damit klar, dass das Hirn eingeschaltet bleiben sollte. Abgesehen davon besteht bei diesem Absender von vornherein keinen Zweifel, dass eine journalistische Annäherung ans Thema stattfindet. Das heisst nicht, dass das Zuhören keinen Spass macht – aber das nutzlose Spiel mit der Erwartungshaltung der Zuhörer ist vom Tisch.

Bist du geil oder willst du etwas lernen?

Nun hat der Podcast für mich auch die Frage schlüssig beantwortet, warum die mediale Behandlung des Themas Sex oft so unbefriedigend ausfällt. Denn nicht nur die Podcasts haben sich als nicht prickelnd entpuppt, sondern auch die Hörbücher (Ein literarischer Klimax ist das nicht) oder Comics (Ist das die digitale Zukunft des Comics?).

Das Aha-Erlebnis hatte ich bei der Folge Erotik bewegt sich oft an der Schwelle zwischen Angst und Neugier, in der es um Fantasien und Tagträume geht. Die Psychologin und Sexologin Angelika Eck erklärt gleich zu Anfang, dass diese Fantasien nicht ausformuliert – oder ausagiert, wie sie es nennt – sein müssen. Es braucht keine spielfilmartigen Szenen, die die Erregung wecken. Auch ein Erinnerungsfetzen, ein kurzer Moment im Alltag, ein Geruch oder ein Déjà-vu kann das auslösen.

Diese Fantasien bewirken mehr als nur Anregung: Sie können trösten, Erinnerungen aufleben lassen, über eine alte Enttäuschung hinweghelfen und uns mit uns selbst versöhnen. Das ist etwas Persönliches, das mit uns selbst zu tun hat und darum nur schwer von aussen angefeuert werden kann. Denn niemand kennt uns so wie wir selbst.

In der Tat: Es wäre schon ein Riesenzufall, wenn eine Podcasterin oder der Autor eines erotischen Hörbuchs oder Comics sich genau die Fantasie ausgedacht hätte, die uns in diesem inneren Kern berührt. Das erklärt, warum die erotischen Bücher, Filme und Podcasts sosehr vom Klischee und den stereotypen Situationen leben.

Das wussten wir doch schon immer

Das ist als Erkenntnis im Grunde nicht so bahnbrechend, wie ich es im Titel behauptet habe. Dennoch bringen der Podcast und Angelika Eck das präzise und nachvollziehbar auf den Punkt, was man immer irgendwie wusste, sich aber nie so wirklich klargemacht hat.

Und damit muss ich noch einmal auf die eingangs gestellte Frage zurückkommen: Schliessen sich Erregung und Erkenntnis grundsätzlich aus?

Meine Antwort ist fürs Podcast-Genre ja: Da geht nicht beides zusammen. Wenn man dieses Feld beackern will, müsste man sich für das eine oder andere entscheiden. Doch für uns selbst harmoniert beides hervorragend miteinander. Angelika Eck erklärt das schlüssig: Unsere Tagfantasien können uns Dinge über uns erklären, die wir nicht im Traum geahnt hätten. Reflektiert mit ihnen umzugehen, steigert somit das Wissen über uns und womöglich auch die eigene Lust…

Beitragsbild: Okay, laut Bildbeschreibung hört sie Musik (Andrea Piacquadio, Pexels-Lizenz).

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