Statt ein guter hätte das ein hervorragender Podcast werden können

Teil zwei meiner grossen SRF-Podcast-Kritik: Die verpassten Chancen bei «Es geschah am – Postraub des Jahrhunderts».

Im Beitrag Was SRF von Old Shatterhand hätte lernen sollen ging es darum, dass sich SRF redlich bemüht, uns Podcast-Fans authentisches Hörfutter zu liefern – Produktionen, die nicht bloss abgefüllte Radiosendungen sind, sondern auch formal Neuland betreten.

Man nennt das auf Neudeutsch gerne Storytelling. Und weil ich mich jedes Mal schmutzig und unwürdig fühle, wenn ich diesen Begriff in den Mund nehme oder in meine Tastatur tippe, ist an dieser Stelle keine kleine Tirade unumgänglich. Also, bringen wir die schnell hinter uns:

Storytelling ist ein absoluter Bullshit-Begriff. Er zeigt vor allem, wie sehr wir uns nach wie vor von englischen Wörtern beeindrucken lassen. Wikipedia begründet das Phänomen mit der «Vorherrschaft der englischen Sprache in Wirtschaft, Wissenschaft, Popmusik und Informatik».

Das ist höchstens zur Hälfte der Grund. Ich vermute, es liegt vor allem daran, dass viele Manager Blender sind und festgestellt haben, dass sich viele Leute durch englische Floskeln blenden lassen.

Der heldenhafte Amerikaner

Und das hat in der Tat mit dem Bild des heldenhaften Amerikaners zu tun, das ebendieser Amerikaner gerne in der ganzen Welt von sich selbst verbreitet. Ein zweiter Grund ist die Unfähigkeit vieler Werber und PR-Menschen, sich die deutschen Begriffe für englische Buzzwords zu merken…

… und an dieser Stelle beende ich den Rant, weil ich einerseits das Wort Buzzword und zum anderen das Wort Rant vrerwendet habe. Qed.

Also, beim Storytelling geht es um eine erzählerische Informationsvermittlung. Es geht um Inhalte, die die Medien in den klassischen Genres distanziert geschildert hätten, und die nun in Form einer persönlichen Geschichte ausgedrückt werden. Und ja, auch das ist überhaupt nicht brandneu: Die gute alte Reportage hat schon immer von den subjektiven Eindrücken gelebt.

Der New Journalism ist gar nicht so neu

Und der New Journalism ist auch nicht mehr so neu. Ich dachte, der stamme aus den 1960er- und 1970er-Jahren und der Zeit von  Truman Capote. Doch gerade lese ich bei Wikipedia, dass es ihn schon viel früher gab; vielleicht schon 1887 mit einem Mann namens Matthew Arnold.

Es bleibt unter dem Strich eigentlich nur, dass man diese bewährten Darstellungsformen mit den neuen technischen Möglichkeiten anreichert – und im Fall des Podcasts eine besondere Stimmung erzielt. Sie ist durch die persönliche, fast schon intime Beziehung zwischen dem Erzähler und dem Zuhörer geprägt.

Also, endlich zurück zum Thema: Viele Medienhäuser wollen derzeit den Beweis antreten, dass sie diese neuen technischen Mittel und das Medium des Podcasts voll ausreizen können, auch SRF. Beim «Hotspot»-Podcast ist das nur halb geglückt. Aber wie sieht es bei einer anderen Produktion aus, nämlich bei Es geschah am – Postraub des Jahrhunderts?

Mit True Crime kann man nichts falsch machen, oder?

Diese Produktion gehört in die Kategorie True Crime. Und das ist bekanntlich die Mutter aller Storytelling-Podcasts. Es geht um den Postraub, bei dem die Post Fraumünster am 1. September 1997 um 53 Millionen Franken erleichtert wurde. Beteiligt waren fünf Kleinkriminelle, denen erst ein Jahrhundert-Coup gelingt – und die sich hinterher derartig dämlich anstellen, dass sie innert zwei Jahren allesamt gefasst werden.

Der Podcast ist als Begleitung zu einem Dokfilm erschienen, der am 25. April 2020 im SRF-Fernsehen lief. Er erzählt die Ereignisse nach und lässt auch die damaligen Täter, sowie Ermittler und Beteiligte zu Wort kommen. Und er macht es ganz gut, die damalige Stimmung wiederaufleben zu lassen: Wie die Nachricht vom Überfall es sogar geschafft hat, den Unfalltod von Lady Di vom 30. August 1997 aus den Schlagzeilen zu verdrängen.

Und dieser Podcast setzt viele der Mittel ein, mit denen US-amerikanische Produktionen das Publikum in Bann schlagen: Es gibt eine Erzählerin, O-Töne, Soundeffekte und Musik, die zu einer dichten Collage verwoben sind. Spannend und aufschlussreich, und so unbedingt hörenswert.

Am lächerlichen Ende angesiedelt

Apropos Soundeffekte. Die sind teils am lächerlichen Ende angesiedelt: Zum Beispiel, wenn die Erzählerin sagt, die Verbrecher seien kurz nach ihrem grossen Coup vor einem Scherbenhaufen gestanden – und man hört, wie eine winzig kleine Vase zu Bruch geht.

Trotzdem gibt es einige Dinge, die SRF falsch gemacht hat – und darum die Gelegenheit verpasst wurde, statt eines guten einen herausragenden Podcast zu produzieren. Die Erzählerin, Florence Fischer, ist nur Erzählerin, nicht aber Protagonistin. Sie hat selbst keine Rolle in der Geschichte – das ist aber essenziell für einen Podcast. Der Erzähler nimmt den Zuhörer bei der Hand und lässt ihn an seinem Abenteuer, der Suche nach der Wahrheit teilhaben.

Bemerkenswert an diesem Podcast ist, dass er aus zwei Teilen besteht, die sich auf formal komplett unterscheiden. Die ersten vier Teile erzählen die Ereignisse nach und sind dicht produziert. Die zweiten vier Teile bestehen aus Gesprächen zwischen der Produzentin des Podcasts, Beatrice Gmünder und der Reporterin Andrea Pfalzgraf. Sie hat die Räuber aufgespürt und ist ihnen teils über Jahre an den Fersen geblieben.

Die Frau hätte die Führung übernehmen sollen

Und damit ist klar, dass sie die Erzählung hätte übernehmen müssen. So gut Gmünder und Pfalzgraf in den Gesprächen auch harmonieren – die spannendste Geschichte wäre die Ich-Erzählung von Andrea Pfalzgraf gewesen: «Wie ich die Motive der Posträuber ans Licht befördert habe!»

Mir ist nicht klar, warum SRF seinen Protagonistinnen (wie schon im Hotspot-Podcast) noch immer einen quasi-neutralen Moderator vor die Nase setzt. Soll das die journalistische Distanz demonstrieren? Oder soll sie einem allfälligen Personenkult entgegenwirken, sodass sich ein Journalist nicht allzu sehr als unerschrockener Aufklärer im Dienste der Wahrheit inszeniert?

Das wären einleuchtende, weil typisch Schweizer Reflexe. Doch beim Podcast wirken sie kontraproduktiv. Natürlich muss der Journalist die Standesregeln einhalten – aber er darf und muss sich sogar involviert und persönlich betroffen zeigen. Und er darf ein bisschen Personenkult um sich selbst betreiben. Wichtig ist, das mit Charme zu tun, so wie der hier schon öfters erwähnte Malcolm Gladwell.

Vermutung: Spannende Anekdoten blieben unerzählt

Ich bin überzeugt, dass Andrea Pfalzgraf viele spannende Anekdoten zu erzählen gehabt hätte – und es spannend gewesen wäre, wenn die Hintergründe der Recherche eingeflossen wären. Nur zwei Beispiele, bei denen ich während des Hörens gedacht habe, wie spannend solche Details gewesen wäre.

Da erzählt der Leiter der Sonderkommission der Polizei, wie ein grosser Teil der Beute sichergestellt werden konnte. Doch wohin mit dem vielen Bargeld? Er erzählt, wie er bei der Nationalbank ein Konto eröffnen musste, weil er die Beute nicht einfach so in einem Safe deponieren konnte – was unweigerlich an «Asterix bei den Schweizern» erinnert, wo auch Bankier Vreneli darauf bestand, dass Asterix und Obelix ein Konto einrichten, um sich selbst im Panzerschrank zu verstecken.

Wie gross war die Versuchung für den Polizisten?

Er habe sich damals als Millionär gefühlt, was schon besonders gewesen sei – und natürlich die Frage provoziert, wie gross denn die Versuchung gewesen ist. Und ob das Verständnis für die Bankräuber, wenigstens ein kleines bisschen, gewachsen ist.

Oder der Moment, wo erzählt wird, wie Domenico S. nach seiner Verhaftung in Miami in die Schweiz überführt werden sollte, was durch bürokratische Hindernisse aber immer wieder verzögert wurde. Da hatte der Soko-Chef die Idee, die Bundesanwältin Carla Del Ponte auf den Plan zu rufen. Die hat Strippen gezogen – und bald war S. zurück in der Schweiz. Was hat Del Ponte gemacht? Wir wissen es nicht – aber zu einem echten True-Crime-Podcast gehört es, dass wir hören, wie sich der Reporter bei einem solchen Detail in eine Sackgasse recherchiert…

Beitragsbild: SRF Media Relations

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