Die App für gewachsene Schnäbel

Die Dialäkt-Äpp erschliesst die Schweizer Mundart: Sie findet anhand weniger Begriffe heraus, wo man zuhause ist und zeigt auf, wie sich die Sprache und Sprechweise zwischen den Generationen verändert.

Die Dialäkt-Äpp (kostenlos fürs iPhone und im Web unter dialaektaepp.ch) führt vor Augen Ohren, dass wir aller Globalisierung zum Trotz verwurzelte Wesen sind. Zumindest, was die Sprache von Leuten wie mir angeht, die nie ausgewandert oder weggezogen sind. Die App stellt einem 16 Fragen zur Aussprache von Dialektbegriffen wie Abend, Apfelkerngehäuse, Augen, Bett und Donnerstag – beziehungsweise zu einzelnen Laute aus diesen Worten. Daraus ergibt sich der wahrscheinlichste Wohnort, der in meinem Fall mit Winterthur hundertprozentig genau ermittelt wurde.

Ist das nun eine erstaunliche Leistung? Oder ist es im Grund banal, und einfach nur systematisiert, was ein geübter Zuhörer und Dialektkenner nach zwei, drei Sätzen sowieso herausgehört hätte? Ich finde, es ist beides. Einerseits natürlich tatsächlich banal:  Meine Grossmutter, die züritüütschi Prosa geschrieben und sich während ihres ganzen Lebens für Sprache und Mundart interessiert hat, erzählte mir einmal, dass man früher den meisten Leuten angehört hat, woher sie kamen.

Wie tönt das L in Kelle?

Die Herkunft war nicht nur bei Leuten aus den grossen Städten zu hören, sondern auch bei den Bewohnern der kleinen Gemeinden im Zürcher Weinland. Ich weiss jetzt nicht, ob es so weit ging, dass sie jemanden von Oberherten von einer Person von Unterherten unterscheiden konnte.

Aber mit einem Bewohner von Altikon hat sie sie jedenfalls nicht verwechselt. Irgendwann in den 1950er- oder 1960er-Jahren gab es offenbar sogar ein Projekt, bei dem die Unterschiede der Gemeinden erforscht worden sind. Sie sagt, sie habe als sprachliches Beispiel für die Gemeinde Thalheim an der Thur gedient, was offenbar sogar auf Schallplatte gepresst worden war. Falls jemand diese Platte im Schrank hat, bitte unbedingt digitalisieren und mir zur Verfügung stellen. Danke!

Winterthur hat mich assimiliert

Volltreffer!

In meinem Fall ist es doch interessant, dass mein Dialekt inzwischen genau mit meiner Wohngemeinde übereinstimmt. Ich bin bis zum zweiten Kindergarten in der Innerschweiz aufgewachsen und hatte einen strammen Luzerner Dialekt. Ein paar Merkmale, vor allem das dunklere A, haben sich lange gehalten. Doch nach gut vierzig Jahren haben sie sich offenbar komplett abgeschliffen.

Das wäre aber sicherlich reversibel – denn als ich seinerzeit mit einem Luzerner Kollegen zusammengearbeitet habe, haben sich die Luzerner Anteile in meinem Dialekt verstärkt, ohne dass ich das hätte verhindern können (oder wollen).

Auch die Dialekte entwickeln sich weiter

Wenn man falsch verortet wird, kann das an einem verwaschenen Multikulti-Idiom liegen. Oder aber am Dialekt selbst. Das wird wie folgt erklärt:

Spuckt die App unerwartete Resultate aus, so kann es sein, dass sich Ihr Ortsdialekt in den letzten 100 Jahren weiterentwickelt hat – und/oder Sie sprechen durch Ihre Mobilität etc. bestimmte Wörter anders aus, als sie in Ihrer Region noch vor 100 Jahren ausgesprochen wurden.

Wenn man möchte, kann man sich mit persönlichen Daten oder eigenen Sprachbeispielen beteiligen.

Wird die Dialäkt-Äpp in zwanzig oder fünfzig Jahren noch funktionieren? Oder werden in den kommenden Jahren auch die Sprachräume verschmelzen, so wie derzeit Gemeinden fusionieren? Was wird das Resultat sein? Eine Art Pidgin-Schweizerdeutsch, das Elemente von Züritüsch, Bäärndüütsch und Baslertiitsch enthält? Stelle ich mir enorm gruselig vor.

Aber wenn die Separatisten und Isolationisten sich durchsetzen, dann wird man der Sprache der Leute vielleicht sogar anhören, aus welcher Subkultur und Webcommunity sie stammen.

Die App jedenfalls macht Spass. Die Nutzer können eigene Aufnahmen einreichen. Die sind auf der Karte verortet, sodass man sich anhören kann, wie sich die Aussprache von Männern, Frauen, Alten und Jungen unterscheidet.

Die Veränderungen werden hörbar

Beim Anhören einiger Beispiele kann man den Eindruck bekommen, dass die Jungen die Wörter schneller und kürzer sprechen als die Alten. Ob das bloss die Ungeduld der Jugend oder ein sprachlicher Trend ist, müsste aber natürlich untersucht werden…

Bild: So ein Schnabel, und erst noch schön geschminkt. (Oleg Magni/Pexels, CC0)

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