Ð, þ und ein paar isländische Geschichten

Wer Krimis aus dem hohen Norden mag, sollte Arnaldur Indriðason und seine Bücher «Gletschergrab» und «Kälteschlaf» kennen. Der eigentliche Tipp heute ist aber Michael Ridpath mit «Meltwater» und sein Ermittler Magnus Jonson.

Als Island- und Krimifans lesen in diesem Haushalt alle gerne die Bücher von Arnaldur Indriðason. Ein Grund der Bewunderung für mich ist, dass er wie Stieg Larsson vorführt, wie man den Niederungen des Journalismus durch Krimiautorwerdung entfleucht.

Auf dem Weg zum nächsten Abenteuer.

Wie jeder gute Krimi sind die Werke von Indriðason untrennbar mit ihren Schauplätzen verbunden. Sie spielen, wie man an dem seltsamen, d-ähnlichen Kringel¹ im Namen des Autors schon erahnt, in Island und handeln weniger von Ponys und von Papageitauchern, als vielmehr von Leuten, die im Herbstnebel auf Nimmerwiedersehen verschwinden.

Nach vielen Jahren brechen exzessive Familiengeheimnisse auf, sodass Indriðasons Geschichten häufig mit Rückblenden arbeiten – weil das Unheil schon vor vielen Jahren geschah und erst dann ans Tageslicht kommt, wenn die Gletscher besonders stark schmelzen. Die Hauptfigur in Indriðasons Büchern ist Erlendur, der Kommissar mit den traurigen Augen. Neben dem klassischen Ermittlerroman gibt es mit Gletschergrab aber auch einen eigentlichen Thriller, bei dem die beiden Protagonisten einem Geheimnis durch halb Europa hinterherjagen, und der, genauso wie Ian Fleming in James Bonds Diamantenfieber, den Showdown auf einem Schiff inszeniert.

Þingvellir

Indriðason führt einen an Schauplätze, die man als Tourist kennt. In Kälteschlaf zum Beispiel nach Þingvellir (noch so ein seltsames isländisches Zeichen). In Nordermoor bringt er auch aktuelle Themen wie die Datenbank von Decode Genetics aufs Tapet. Indriðason lese ich drum gerne, ebenso wie Árni Thórarinsson, der nicht ganz so humorlos ist wie Indriðason, und der in Todesgott seinen Helden von Reykjavík nach Akureyri zwangsversetzt.

Nachdem wir in unseren letzten Ferien auch mal da waren, kann ich mir ausmalen, dass das doch ein bisschen aufs Gemüt schlägt. (Obwohl der einheimische Reiseführer nicht müde wurde zu betonen, dass die im Süden ja so gar keine Ahnung hätten. Und wer braucht schon die blaue Lagune, wenn man das Jarðböðin-Naturbad hat?! Der Betreiber des Bads war sein Cousin, glaube ich. Ich kann mich aber auch täuschen).

Und wenn ich noch einen Namen in die Runde werfen darf, bevor ich endlich aufs Thema komme: Michael Ridpath ist zwar kein Isländer, lässt seine Romane aber trotzdem dort spielen. Und die Mischung zwischen isländischem Schauplatz und angelsächsischem ImpactEinfluss ergibt eine leichtfüssige Lektüre. Meltwater ist hier die Empfehlung.

Þjóðminjasafn Íslands

Das neueste Werk von Indriðason jedenfalls hat mich hellhörig gemacht. Es verwendet das Match des Jahrhunderts als Motiv: Die Schachweltmeisterschaft von 1972 zwischen Boris Spasski und Bobby Fischer. Ich würde an dieser Stelle jetzt gern behaupten, dass Indriðason durch meine Verschwörungstheorie der Woche auf dieses Thema gekommen ist. Das würdet ihr mir aber vermutlich nicht abkaufen.

Und es ist bekanntlich so, dass zwei Dinge, die vernünftigerweise nicht Korrelation stehen können, häufig durch eine gemeinsame Ursache verbunden sind. Anzunehmen ist denn auch, dass wir beide die gleiche Ausstellung im isländischen Nationalmuseum gesehen haben, die dort vom 3. März 2012 bis zum 31. Januar 2013 zu sehen war und das Match dokumentierte. Es dient in Duell als Rahmenhandlung für den Mord in einem Kino in Reykjavík, in dem ein Jugendlicher erstochen wird (und nicht erschlagen, wie es im Pressetext heisst).

Ragnar hatte die etwas seltsame Gewohnheit, die Tonspur der Filme aufzunehmen, was schon in den 70ern, noch vor der Urheberrechts-Paranoia, für Probleme sorgen konnte. Indriðasons neuer Kommissar, Marian Briem vermutet denn auch schnell, dass auf der Aufzeichnung noch mehr als nur die Tonspur des Films drauf sein könnte.

Die Geschichte, die ich als von Walter Kreye gelesenes Hörbuch verfolgt habe, kommt wie oft bei Indriðason nur langsam in Fahrt, und es gibt auch bei diesem Titel lange Rückblenden. Diese führen in die Jugend des Kommissars. Er hat einen Vater, der ihn nicht anerkennt (und darum keinen auf -son endenden Nachnamen), und er litt in seiner Jugend unter Tuberkulose. Das führte ihn auf eine eigentliche Odyssee in ein Lungensanatorium, wo er seine Jugendliebe traf, die seine einzige Liebe blieb. Aber un- oder nur halb erwidert, weil damals archaische Behandlungsmethoden wie die Rippenresektion praktiziert wurden. Die dem Leben von Katrín eine neue Richtung gaben.

Berklaveiki

Man kann darüber geteilter Meinung sein, wie wichtig das Privatleben des Kommissars sein soll und darf. Klar – Ermittler ohne jegliches Privatleben wie der selige Stephan Derrick sind heute kaum mehr vorstellbar. Das Land und die Umgebung, in der eine Kriminalgeschichte spielt, prägen nicht nur den Fall und den Verbrecher, sondern auch das Ermittlungspersonal. Das fein auszubalancieren, ist eines der Kunststücke, die ein Autor leisten muss. Ich mag die Kommissare nicht, die Helden ohne Fehl und Tadel sind.

Aber allzu verkrachte Existenzen sind auch nicht glaubwürdig. Denn ohne eine einigermassen gefestigte Persönlichkeit kann man den Job nicht machen, denke ich. Bei «Duell» habe ich Marians Tuberkulose-Odyssee gern verfolgt, weil sie einfühlsam erzählt ist und ohne Melodrama vor Augen führt, wie viel härter das Leben noch vor wenigen Jahrzehnten war. Der Aufhänger des Buchs, das Match des Jahrhunderts, bleibt Staffage (auch wenn es durchaus Verbindungen zu den Tätern gibt).

Das fand ich schade. Aber ich nehme an, dass das mit der Menge der gesicherten Fakten zusammenhängt, die Indriðason über das Ereignis zusammentragen konnte. Da wollte sich Indriðason wohl nicht allzu weit auf die Äste hinauslassen – und damit hatte er auch wieder recht.

Fazit: Kein adrenalingeschwängerter Knaller, sondern ein ruhiges Buch mit zwei exzentrischen Schachspielern in Nebenrollen, einem unschuldigen Mordopfer, primitiver Medizin und unerfüllter Liebe, und gleich zwei Kriegsschauplätzen. Denn es sind der kalte Krieg und der Kabeljaukrieg, die damals in den Siebzigern die Stimmung in Island geprägt haben².

Fussnoten

1) Der Beitrag sollte ursprünglich «Ð, þ und ein paar isländische Geschichten» heissen. Es hat sich herausgestellt, dass mein CMS mit diesen isländischen Buchstaben seine liebe Mühe beweist. Schade – aber da die isländische Literatur nicht mein Hauptthema ist, müsste ich damit leben können… (Mit dem Umstieg auf Worpress konnte dieses Problem endlich gelöst werden.)

2) Es gibt von Michael Ridpaths Buch mehrere Fortsetzungen, die mich allerdings vor einige Probleme gestellt haben. Siehe dazu Verlags-Idioten.

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