Einen Aspekt bei der Computerhistorie fasziniert mich immer wieder aufs Neue. Das ist die Wandlung, die manche Begriffe und Konzepte durchlaufen. Das heutige Wort ist ein anschaulicher Beleg. Es geht um den Klammer- oder Affengriff, den PC-Nutzerinnen als Control, Alt, Delete kennen und (vielleicht) lieben gelernt haben.
Die Tastenkombination war ursprünglich eine rein technische Angelegenheit. Doch im Schlepptau der Revolution des Personal Computers entwickelte sie sich zu einer Metapher für eine Notbremsung oder Flucht. Heute ist der Affengriff ein popkulturelles Phänomen. Wikipedia erwähnt den Billy Talent-Song «Perfect World», in dem sich der Sänger mit dem Dreifingergriff «das Gedächtnis zurücksetzen» lässt.
Wie neue Technologien «domestiziert» werden
Es gibt einige weitere Fälle von popkultureller Vereinnahmung. Die Sanduhr von Windows und der Strandball des Todes beim Mac als ihr Gegenstück gehören ohne Zweifel dazu. Undo, Copy-Paste, der Fortschrittsbalken und the bluescreen of death zählten ursprünglich ebenfalls zum Insiderwissen, das nur computeraffine Leute besassen und das auf alle anderen Menschen seltsam oder sogar bedrohlich gewirkt haben muss.
Doch wie spielt sich diese Entwicklung ab? In welchen Stationen verwandelt sich ein Ding wie der Affengriff zum Allgemeingut?
Ich war voller Hoffnung, dass die Domestizierungstheorie von Professor Roger Silverstone¹ eine anschauliche Erklärung liefern würde. Leider gibt sie einen für meinen Geschmack zu technoiden Ansatz. Ich würde sie volkstümlich so zusammenfassen, dass sich die User und Anbieter in mehreren Schritten gegenseitig in die breite Öffentlichkeit schubsen.
Mit Control, Alt, Delete geschah das wie folgt:
David J. Bradley gehörte bei IBM zum Kern des Entwicklerteams, das 1981 den ersten IBM-PC zur Marktreife brachte. Der Google Books Ngram Viewer zeigt die Entwicklung auf schlüssige Weise auf: Es dauerte ungefähr vier Jahre, bis Ctrl, Alt, Delete überhaupt nennenswerte Spuren hinterliess. Ab 1985 sorgten vermutlich vor allem Fachpublikationen für moderate Ausschläge.

Endgültig zur Chiffre geworden
Ab 2004 stieg die Kurve an. Den Höhepunkt erreicht sie am Ende (2022). Das ist bemerkenswert, weil der Personal Computer seine Rolle als Innovationstreiber längst an das Smartphone abgeben musste. Über den Daumen gepeilt fand diese Ablösung in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre statt. Seitdem ist Ctrl, Alt und Delete mehr Chiffre als Aktion bei der Computerbedienung.
Auch die Schweizer Medien folgten exakt diesem Pfad².
Die erste Erwähnung erfolgte gemäss dem Datenbestand im elektronischen Archiv am 5. September 1995 in den «Luzerner Neuste Nachrichten». In einer Besprechung von Windows 95 erzählt der Journalist von der Installation der neuen Betriebssystemversion und erwähnt nebenbei den «Affengriff» als nicht empfehlenswert, wenn die Sache zu lange dauere. Das passt ins Bild: Der Journalist erzählt lieber seine persönlichen Erlebnisse, als auf die neuen Funktionen einzugehen. Der «Affengriff» ist eine Insiderfloskel, die seine Kompetenz unterstreichen soll.
Eine erste Bedeutungsverlagerung ist zwei Jahre später, am 23. Juli 1997, erkennbar. Eine Kurzmeldung in der Zeitung «Der Bund» verwendet das Tastaturkürzel als Synonym für Neustart. Es geht um die Marssonde «Pathfinder» und um deren Software, die anscheinend zu Abstürzen neigt:
Während irdische PC-Benutzer nach einem Softwareabsturz oft entnervt zum erlösenden «Ctrl-Alt-Delete» greifen müssen, kann sich der Computer von Pathfinder ganz von selbst neu aufstarten.
Popkultur dank Party-People

Die Ankunft im Alltag erfolgt am 13. Januar 2003: Die Boulevardzeitung «Blick» dokumentiert diesen historischen Moment in einem Artikel, in dem es nicht um Computer geht, sondern um Partynamen. Für Leute, die sich darunter (wie ich) nicht sogleich etwas vorstellen können: Es scheint sich dabei um ein Label zu handeln, das der Feier auch ein Motto gibt. Der Autor behauptet in seinem Aufklärungsstück, sie seien «die Verpackung einer Party. Je origineller, desto besser», schreibt Thomas Wyss.
Um die Tragweite dieses Sachverhalts zu unterstreichen, kommt ein Experte zu Wort:
Was sollen sich die Partypeople etwa unter «Club», «Mega-Party» oder «Superheavyfunkysexy» vorstellen? «Die Namen müssen kurz und prägnant sein und sollten einen Bezug zum Event herstellen», sagt Eventveranstalter Joko Vogel (organisiert die Al-Capone-Nights). «Und der Name muss dem Produkt Party zu einer hohen Bekanntheit verhelfen.»
Der «Blick» lieferte uns auch je eine Aufzählung mit an- und abgesagten Partynamen. Und siehe da, an der Spitze der Top-Liste finden wir Ctrl, Alt, Delete.
Wir dürfen konstatieren: Dank des Zürcher Feiervolks hat es David Bradleys unscheinbare Technik-Erfindung nach 22 Jahren in den helvetischen Alltag geschafft!
Fussnoten
1) Der Ablauf der Entwicklung, gemäss der Domestizierungstheorie und anhand von Wikipedia zusammengefasst:
- Technologien finden Eingang in den Alltag. Sie werden an die täglichen Gewohnheiten adaptiert.
- Nutzerinnen und Nutzer gewöhnen sich daran und passen sich und ihr Umfeld entsprechend an.
- Dann fliessen diese Veränderungen in Entwicklungsprozesse in der Industrie ein und prägen die nächste Generation der Technologien und Dienstleistungen.
- Schliesslich findet dieser Wandel seinen Abschluss, indem und greifbar wird, wie und auf welche Weise die Technologie in der Lage ist, die Kultur eines Haushalts widerzuspiegeln. ↩
2) Ich habe nicht nur nach «Ctrl Alt Delete» gesucht, sondern auch nach «Control Alt Delete», nach «Klammergriff» und «Affengriff». Wie nicht anders zu erwarten, kommt der Klammergriff vor allem im übertragenen Sinn vor. Den «Affengriff» gab es schon in der Zeit vor dem IBM-Computer. Der erste Treffer dazu stammt vom 24. November 1975, als in der Schweiz im Auto die Gurtenpflicht diskutiert wurde, die demnächst eingeführt werden sollte – hierzulande bekannt unter dem sperrigen Begriff des Gurtentragobligatoriums. Die «Schweizer Illustrierte» berichtete und wies auf eine weitere Gesetzesänderung hin:
Mit dem Gurtentragobligatorium kommt auch ein neues Gesetz zum Schutze der Kinder: Kinder bis zu zwölf Jahren dürfen nur noch hinten sitzen. Die meisten Mütter waren bis heute der Meinung, einem im «Affengriff» auf dem Schoss transportierten Buben oder Mädchen könne nicht viel passieren, besonders wenn der Erwachsene korrekt angegurtet sei.
In Tat und Wahrheit bedarf es bloss einer verhältnismässig leichten Kollision, damit einem das Kind aus den Armen gerissen und gegen die Frontscheibe geworfen wird. Weder allein noch «unter dem Schutz» einer Begleitperson dürfen also kleine Passagiere künftig vorne befördert werden. ↩
Beitragsbild: Das hätte David Bradley 1981 nicht für möglich gehalten (dramitkarkare, Pixabay-Lizenz).