Menschen und ihr Innenleben

Die Cormoran-Strike-Krimiserie von Robert Galbraith alias J.K. Rowling ist das Beste, was das Genre derzeit hergibt. Ich habe zwei Erklärungen, was Robin Ellacott und Cormoran Strike so besonders macht.

Ich habe es getan: Nachdem ich mit dem letzten Band durch war, habe ich mir die ganze Cormoran-Strike-Serie von Robert Galbraith alias Joanne K. Rowling noch einmal zu Gemüt geführt. Jawoll, alle fünf Stück, von The Cuckoo’s Calling (Der Ruf des Kuckucks) und The Silkworm (Der Seidenspinner) über Career of Evil (Die Ernte des Bösen) und Lethal White (Weisser Tod) bis hin zu Troubled Blood (Böses Blut)¹. Das sind insgesamt nicht ganz so viele Seiten wie in «A Song of Ice and Fire» – aber auch nicht wesentlich weniger.

Und, keine Angst, ich werde nun nicht in meiner üblichen Manier ausführliche Zusammenfassungen aller fünf Plots abgeben: Das würde sogar mich als Freund ausufernder Blogposts überfordern. Aber ich nehme es zum Anlass zu erläutern, weswegen ich J.K. Rowling für die beste zeitgenössische Krimiautorin halte. Und zwar mit Abstand – deutlich vor Stieg Larsson, der mit Lisbeth Salander und Mikael Blomkvist vielleicht sogar einen gewissen Einfluss darauf hatte, dass in dieser Serie ebenfalls ein Ermittlerpärchen zugange ist – auch wenn sich Robin Ellacott und Cormoran Strike sowohl mit ihren Fähigkeiten als auch Temperamenten deutlich unterscheiden².

Zwei Gründe machen Strike einzigartig

Also, spannende und vertrackte Fälle mit überraschenden und befriedigenden Auflösungen gibt es bei vielen Autoren. Warum sticht diese Serie dann trotzdem so deutlich heraus? Es sind meines Erachtens zwei eng miteinander verwandte Gründe.

Erstens die Figuren: Während viele Autoren dazu neigen, schablonenhafte, stereotype Figuren auf die Leserschaft loszulassen, erschafft J.K. Rowling lebensechte Personen: Die wecken Interesse und haben ein glaubwürdiges, reiches Innenleben. Das gilt für die beiden Hauptfiguren, die beide einen sturen Kopf, eine detailreiche Biografie und auch ihre Beeinträchtigungen haben: Robin, die Opfer einer Vergewaltigung wurde und ihre berufliche Karriere dem trauten, beschaulichen Eheglück mit dem dann doch nicht so sympathischen Matthew Cunliffe vorzieht und Cormoran Strike, der eines seiner Beine bei einem Militäreinsatz in Afghanistan verloren hat, was ihn bei der Ausübung seines Berufs immer wieder behindert.

Und ja, der versehrte Held ist ein Klischee. Es gibt ihn in fast jedem Krimi, in jedem «Tatort» und sogar in den Kinderbüchern. Aber da es quasi unmöglich ist, dieser Tatsache aus dem Weg zu gehen, kommt es darauf an, ob diese Versehrungen nur oberflächliche Attribute sind, die den einen oder anderen Plot-Twist rechtfertigen, oder ob sie die Figuren in ihren Handlungsweisen nachhaltig prägen.

Die Liebe für die Nebenfiguren

J.K. Rowling kümmert sich auch mit Inbrunst um ihre Nebenfiguren. Das eindrücklichste Beispiel dafür findet sich in «Lethal White» in der Figur des Billy Knight. Sie hat vor allem die Aufgabe, die Ermittlungen in Gang zu bringen. Knight ist der Bruder von Jimmy, einer der Hauptfiguren. Er ist psychisch krank, wirkt bedrohlich und weckt bei seinem Auftritt in der Detektivagentur den Eindruck, als ob er am besten für lange Zeit weggesperrt gehört. Doch bei J.K. Rowling ist Billy Knight nicht nur ein zweckdienlicher Verrückter. Er ist eine Figur, die der Autorin offensichtlich am Herzen liegt und die am Ende der Geschichte zwar nicht im Sinn eines simplen Happy-Ends rehabilitiert wird, aber trotzdem ihren Frieden findet. Und weil uns Krimiautorinnen und Autoren in Abgründe blicken lassen, sind solche kleinen Momente der menschlichen Zuneigung umso wohltuender.

Der zweite Grund ist das Beziehungsgeflecht zwischen den Figuren, das J.K. Rowling mit viel Liebe zum Detail, Inbrunst und den sehr detaillierten Einvernahme-Situationen ausbreitet. Für diese Qualität es in allen Bänden Belege: Robin und Matthew, Cormoran und sein biologischer Vater Jonny Rokeby, Cormoran und seine schöne, aber seelisch verkrachte Langzeit-Freundin Charlotte Campbell – und natürlich die schwierige Beziehung zwischen Robin und Strike selbst.

Die scheinbaren Nebensächlichkeiten

Und auch im Hinblick auf Zwischenmenschlichkeit überzeugen die Bücher mit den kleinen, scheinbar unwichtigen Details. Geblieben ist mir eine Szene aus dem zuletzt gelesenen fünften Band, «Troubled Blood». Bei dem bekommen es die beiden Detektive mit einem «Cold Case» zu tun, bei dem Anna Phipps neue Ermittlungen zum Verbleib ihrer Mutter anstrengt: Margot Bamborough war Ärztin und ist vor 39 Jahren, 1974, spurlos verschwunden. Hier ist mir Cynthia Phipps in Erinnerung geblieben: Sie war Annas Kindermädchen, hat nach dem Verschwinden der Mutter den Vater geheiratet und findet sich in einer zwiespältigen aufgefühlten Gemütsverfassung wieder, als am Ende Margot Bamborough aufgefunden wird, an der wir mit einer präzisen, nachvollziehbaren Schilderung teilhaben.

Fazit: Ich freue mich aufs siebte Buch, das hoffentlich wieder mehr von diesen beiden Ingredienzien hat als das sechste. «The Ink Black Heart» spielt zu einem wesentlichen Teil im virtuellen Raum, was mir zwar als Nerd gefallen hat, aber auch die Entfaltung dieser beiden Stärken beeinträchtigt hat. Wenn man strikefans.com glauben darf, sind inzwischen sechs Teile im Kasten. Was natürlich die Frage aufwirft, wie viele Teile das Werk denn haben wird …

Fussnoten

1) Wikipedia: The Cuckoo’s Calling (Der Ruf des Kuckucks), The Silkworm, Career of Evil, Lethal White, Troubled Blood, The Ink Black Heart

2) Immerhin wissen, wir dank Robin, dass bei J.K. Rowling Stieg Larsson gelesen wird. In «Troubled Blood» heisst es in Kapitel 33:

“Hey, Robs. You didn’t answer my text.”
She knew perfectly well that she hadn’t. He’d sent it that morning, while she’d been watching Two-Times’ girlfriend having a blameless coffee, alone with a Stieg Larsson novel. Jon wanted to know whether he and a female friend could come and stay at her flat on the weekend of the fourteenth and fifteenth of February.

Beitragsbild: Cormoran Strike and Robin Ellacott arriving on a murder scene (midjourney).

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