Damit Trump nicht so leicht davonkommt

Der Podcast «Will be wild» hat den Anspruch, den Sturm aufs Kapitol in Washing­ton aufzuar­beiten und die Hinter­gründe zu klären. Ich bin nicht überzeugt, ob er ihm gewach­sen ist. Aber hörens­wert ist er alle­mal.

Beitragsbild: Sie sind überall (Overall von Tyler Merbler/Flickr, CC BY 2.0).

Will be wild ist ein Podcast, der genauso unvermeidlich wie unverzichtbar ist. Er beschäftigt sich mit dem Sturm auf das Kapitol in Washington vom 6. Januar 2021 beschäftigt.

Dieses Ereignis hat damals viele erschreckt und erschüttert. Aber der Schock ist erstaunlich schnell verpufft. Vielleicht täusche ich mich, aber in meiner Wahrnehmung hat die Welt diesen Angriff achselzuckend ad-acta gelegt, nachdem Trumps zweites Amtsenthebungsverfahren ohne Amtsenthebung geendet war. Ob die Pandemie schuld war oder der Eindruck, dass letztlich «nichts Schlimmes» passiert ist, weiss ich nicht. Vielleicht hat auch die Abwahl Trumps dazu geführt, dass das Ereignis im kollektiven Bewusstsein nach hinten gerückt ist.

Aber auch wenn eine weitere politische Aufarbeitung an der Weigerung der Republikaner zu jeglicher Einsicht scheitert und die juristische Aufarbeitung und Verurteilung der Randalierer und Möchtegern-Putschisten weitergeht, so ist es wichtig, dass die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Ereignis weitergeht: Und zwar nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. Wir lernen daraus, dass die Demokratie nicht nur theoretisch, sondern praktisch und handfest verteidigt werden muss.

Die wilden Versprechen des Donald Trump

Und es ist wild geworden.

Genau das versucht der Podcast «Will be wild» (RSS, iTunes, Spotify). Der Titel bezieht sich auf einen Tweet von Trump, mit dem er seine Anhänger dazu aufgerufen hat, an der Protestveranstaltung in Washington teilzunehmen. Am 12. Dezember 2020 hat er getwittert, man möge teilnehmen, es werde wild werden.

Der Podcast ist auf acht Folgen ausgelegt und nähert sich seinem Thema von unterschiedlichen Seiten her an. In Folge eins, Warnings, zeigt auf, wie die von Trump vorangetriebene Spaltung mitten durchs Land geht und ein Teenager sich gezwungen sieht, seinen Vater beim FBI zu melden, weil er, radikalisiert und aufgepeitscht, jegliches Gefühl für Realität und menschlichen Umgang verloren hat.

Die Folge zwei, Boots on the Ground, versucht zu erforschen, warum der Aufruf zur Radikalisierung in manchen Gruppen, namentlich bei den abgehängten Veteranen, auf so fruchtbaren Boden gefallen ist. Folge drei, Homeland, beschäftigt sich mit der Frage, warum die Homeland Security, das Ministerium für Innere Sicherheit, die Gefahr des inländischen Terrorismus erst massiv unterschätzt und dann aus politischen Gründen nicht adäquat priorisiert hat.

Nüchtern, aber nicht neutral

Die beiden Stimmen im Podcast stammen von Andrea Bernstein und Ilya Marritz. Das sind zwei Journalisten beim öffentlich-rechtlichen Radiosender WNYC aus New York. Sie versuchen, ihr Thema nüchtern anzugehen, auch es meines Erachtens zu denjenigen gehört, bei denen man nicht «neutral» bleiben kann – zumindest nicht, wenn man sich zur Demokratie und den Grundrechten bekennt. Der Podcast hält viele spannende Details bereit und liefert interessante Hintergründe, namentlich zum Versagen von Homeland Security.

Trotzdem bin ich nach den ersten Folgen nicht überzeugt, ob er es schafft, den Sturm aufs Kapitol in ausreichender Breite und Tiefe zu erklären. Zugegeben, das ist eine Aufgabe von herkulischem Ausmass, weil dafür auch die politische Spaltung der USA und die Gefühlslage der republikanischen Partei dargelegt werden muss – und beides oberflächlich einfach zu umreissen ist, aber in vielen Belangen so irrational und widersinnig wirkt, dass es sowohl gefühlsmässig als auch intellektuell nicht zu fassen ist.

Als ob er noch nie ein Streichholz gesehen hätte

Aber ich habe noch ein paar Folgen vor mir. Und darum erlaube ich mir hier keine abschliessende Meinung, aber die Empfehlung, dem Podcast eine Chance zu geben. Was er auf alle Fälle hervorragend tut, ist, die Spaltung aufzuzeigen, die in den USA mitten durch die Familien gehen. Darum geht es in der Folge Rules for Radicals. Sie dreht sich um Jackson Reffitt, einen 19-Jährigen, der am Weihnachtsabend 2020 seinen Vater beim FBI gemeldet hat, weil er die Radikalisierung erkannt und Anzeichen eines Gewaltausbruchs vorhergesehen hat.

Worte haben Taten zur Folge – daran lässt der Podcast keinen Zweifel. Das zeigt sich auch in der Folge sechs, The War on Pineapple, in der durchexerziert wird, wie Desinformation entsteht, sich verbreitet und in der letzten Eskalationsstufe Taten und Handlungen zur Folge hat. Diese Folge ist erhellend, weil sie diesen Ablauf erst theoretisch erörtert und im Anschluss aufzeigt, wie er sich beim Sturm auf Kapitol fast exakt gemäss dem Modell abgespielt hat.

Folge für Folge setzt dieser Podcast Leute wie Donald Trump ins Unrecht: Leute, die andauernd zündeln, aber hinterher so tun, als ob sie noch nie ein Streichholz gesehen hätten.

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