Wie geile Väter in den 1990ern die Telefonrechnung in die Höhe trieben

Der «Operator»-Podcasts schildert Aufstieg und Fall des Telefonsex-Geschäfts in den USA. Er tut das erfrischend vorurteilsfrei und mit viel Sympathie für die Frauen, die sich am anderen Ende der Leitung all den Kram anhören mussten.

Es gibt kulturelle Errungenschaften, die fast so schnell verschwinden, wie sie gekommen sind. Um eine davon geht es heute – und ich muss mit einem gewissen Bedauern vermelden, dass ich seinerzeit nie die Gelegenheit wahrgenommen habe, sie auszuprobieren. Einerseits aus Gründen des Geizes, andererseits, weil es mir hochnotpeinlich gewesen wäre.

Die kulturelle Errungenschaft, von der die Rede ist, heisst Telefonsex. Sie wurde, natürlich, in den USA erfunden und auf ihrem Höhepunkt von der Pornografie im Internet verdrängt – wobei ich nicht ausschliessen will, dass es noch einige Nischenanbieter gibt.

Aus Sicht der Konsumenten ist diese Entwicklung ein Vorteil: Die Telefonsexnummern waren teuer; man zahlte mehrere Geldeinheiten pro Minute, sodass sich beim regelmässigen Konsum einige hundert Dollar, Franken, DM oder Schilling zusammenläpperten. Das war erstens ein finanzielles Risiko und zweitens unter Umständen eine Belastung für Beziehungen, wenn der Partner Rechenschaft für dubiose Einträge auf der Telefon- oder Kreditkartenrechnung verlangte.

Das Internet spart Geld

Im Internet kommt man günstiger weg; wenn man es nur ansatzweise geschickt anstellt, sogar gratis. Trotzdem ist der Internetkonsum in gewisser Weise weniger kreativ; wenn ich so sagen darf. Denn beim Telefonsex konnte man seine Fantasien interaktiv ausleben, während man im Internet zum passiven Zuschauer wird. Eine Ausnahme bilden natürlich die einschlägigen Chats oder auch die künstlichen Intelligenzen, mit denen man sich auch über derlei Themen austauschen kann. Siehe dazu auch: Beziehungsratgeber für Menschen, die etwas mit einer KI haben.

Damals, als das Telefon noch ein Kabel hatte.

Warum ich über dieses Thema schreibe, ist eine neue, achtteilige Podcastreihe, die sich mit dem Aufstieg und Fall des Telefonsex-Geschäfts in den USA beschäftigt. Sie heisst Operator, stammt vom Podcastverlag Wondery, von dem hier auch schon die Rede war, und von der Journalistin Tina Horn. Es gibt sie via RSS, iTunes, Spotify und Google.

Bemerkenswert an dieser Podcast-Reihe ist, dass sie – für US-amerikanische Verhältnisse geradezu revolutionär – unverkrampft und ohne moralische Vorbehalte ans Thema herangeht. Sie nennt die Dinge beim Namen und stellt die Kundschaft nicht in eine bestimmte Ecke; auch wenn die Hauptnutzer dieser Telefonsex-Angebote liebevoll-despektierlich als Horny dads (geile Väter) bezeichnet werden.

Besonders bemerkenswert ist die vierte Folge mit dem Titel Hang Time. Er bezieht sich darauf, dass die Frauen (und wenigen Männer), die bei den Anrufen den Hörer abnahmen, alle möglichen und unmöglichen Tricks anwandten, um die Gesprächspartner:innen möglichst lang am Draht zu halten – denn eben, jede Minute war Geld.

Aber was würde die Verlobte sagen!

Diese vierte Folge stellt nun einige typische Gesprächssituationen nach: Da ist der verklemmte Fetisch-Liebhaber, der sich seiner Verlobten gegenüber nicht in der unterwürfigen Pose präsentieren darf, weil er keine Ahnung hat, wie die darauf reagieren würde. Da ist der einsame Mann, der sich eine romantische Partnerschaft wünscht.

Da ist der Perverse, der seine Lust daraus bezieht, die Frau am Draht herabzuwürdigen und zu bedrohen. Und da ist der Mann, der mit seinen Fantasien für College-Studentinnen zumindest die Frage aufwirft, ob er ein Problem damit hat, erwachsen zu werden. Und schliesslich ist da die Ehefrau, die ihrem Mann auf die Schliche gekommen ist und jetzt unbedingt wissen muss, was er mit den Damen alles beredet.

In dieser Folge werden die Frauen nicht nur als Projektionsfläche für erotische Fantasien gezeigt, sondern auch als geschickte Diplomatinnen, als psychologische Stütze und als Freundin. Das ist in dieser erzählerischen Verdichtung ohne Zweifel eine hochgradige Verklärung; der Alltag war sicherlich banaler und viel weniger glamourös.

Werden hier Dinge weichgezeichnet?

Den Verdacht, dass manche Dinge retrospektiv beschönigt werden, beschleicht einen auch, wenn geschildert wird, wie das Unternehmen, American Telnet, trotz der hohen Personalfluktuation als familiärer Betrieb geschildert wird. Aber seis drum – die Erzählung ist interessant genug, weil sie viele Facetten enthält. Auch aus technischer Sicht bietet sie einiges.

Der Betreiber musste nämlich in mehrerer Hinsicht Pionierarbeit leisten. Es gab in den USA zwei Möglichkeiten, die Telefongespräche abzurechnen: Entweder per Kreditkarte oder aber über die Telefonrechnung (je nachdem, ob man über eine 800er- oder 900er-Nummer anrief).

Die Anrufe, die via Telefonrechnung verbucht wurden, unterstanden der Regulierung der Kommunikationsbehörde FCC, weswegen die Angestellten des Telefonsex-Unternehmens keine expliziten Begriffe verwenden durften. Um verdächtige Einträge auf der Telefonrechnung zu vermeiden, gab es auch das System, dass das Telefonsex-Unternehmen die Kunden zurückriefen und ein Collect Call bzw. R-Gespräch führten, bei dem die Kosten dem Angerufenen belastet werden – denn sie erscheinen bloss unter einer neutralen Bezeichnung auf der Rechnung.

Doch da sich solche Belastungen anfechten liessen, musste sich der Betreiber etwas einfallen lassen, um sich abzusichern. American Telnet hat darum eine kurze Bestätigung mit einer Einverständniserklärung aufgezeichnet und sogar mit Spracherkennung experimentiert, was in den 1990er-Jahren einer Vorreiterrolle entsprach.

Das hätte auch in die Hose gehen können

Fazit: «Operator» ist ein gelungener Balanceakt bei einem Thema, das bei einem Scheitern genauso hochnotpeinlich herüberkommen könnte, wie ich mir ein verunglücktes Telefonsexgespräch vorstelle. Dass es geklappt hat, ist zum grossen Teil das Verdienst der Podcasterin, Tina Horn, die selbst viele Jahre Sexarbeiterin war, wie sie im Podcast erzählt. Mir gefällt, wie im Podcast die Frauen, deren Stimmen damals am anderen Ende zu hören waren, darüber jetzt selbstbewusst von ihren Visitenkarten erzählen, auf denen «Voice Actor» stand.

Und ein lustiges Detail am Rand: American Telnet hat nicht mit Sexnummern, sondern mit Astro-Hotlines angefangen. Der Sponsor des Podcasts ist nun kein Astrologe, aber auch ein Telefonberatungsdienstleister – nämlich die in den USA boomenden Therapeuten, die ihre Dienstleistung per Telefon und Chat anbieten.

Nachtrag: Besonders hörenswert ist die Bonusfolge mit Bernardo, der vor vierzig Jahren ebenfalls Operator war und aus dem Nähkästchen plaudert.

Beitragsbild: Na gut, es gab in den 1990er-Jahren schon Telefone, die etwas moderner waren (Leah Kelley, Pexels-Lizenz).

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