Thomas Meyer ist ein Autor, den ich schätze. Ich mag seinen Humor, seine Herangehensweise an die Themen und die Furchtlosigkeit, mit der er mit seinen Figuren umspringt. Denn was er Motti Wolkenbruch in seinem letzten Buch angetan hat, war nicht ohne.
Ferner finde ich, dass Meyer eine ansprechende Homepage hat und für Twitter eine Bereicherung war. Ich habe es bedauert, als er irgendwann sang- und klanglos von der Plattform verschwunden ist. Gewundert habe ich mich darüber aber nicht. Meyer hat auch das Buch Trennt euch! verfasst, in dem er sich über «inkompatible Beziehungen und deren wohlverdientes Ende» ausgelassen hat. Ich nehme an, er hat seinen eigenen Ratschlag beherzigt. Und ja, ich denke mir oft, dass der Status «Es ist kompliziert» unser Verhältnis zu den sozialen Medien nur ansatzweise korrekt umschreibt.
Nun ist mir diese Woche eine neue Kolumne ins Auge gestochen. Amüsant und bewegend, wie man es von ihm gewohnt ist, schreibt Meyer von einer ganz wichtigen Trennung. Er sei, wie er meint, «dreissig Jahre lang mit dem Alkohol verheiratet» gewesen. Und weil das nun lang genug gewesen war, hat er dem Alkohol den Laufpass gegeben und ihm einen Abschiedsbrief geschrieben. Der ist lustig und bewegend, wie man sich das von Meyer gewohnt ist.
Eine Sache hat mich an dieser Kolumne hochgradig irritiert:
Warum zur Hölle?
Sie ist nämlich nicht in einer Wochenzeitung, in einem Blog oder einem gedruckten Magazin erscheinen, sondern bei Galaxus. Für meine Leserinnen in Deutschland: Das ist ein Internethändler, wie Amazon oder Otto, der mit Digitec einen Geschwister-Shop hat, der sich wie Mediamarkt oder Conrad um die Konsumbedürfnisse der technikaffinen Kundschaft kümmert.
Eine Google-Suche später wusste ich, dass diese Zusammenarbeit im August des letzten Jahres begonnen hatte und PR-Chef Alex Hämmerli seinerseits bebloggt worden war. Darin kommt Martin Jungfer zu Wort, der seinerseits Head of Content bei Digitec Galaxus ist und bekräftigt, dass unterhaltende Inhalte ein wichtiger Teil des Angebots im Magazin von Galaxus seien.
Es ist nichts Neues, dass Digitec Galaxus eigene redaktionelle Inhalte bereitstellt. Ich habe mich darüber in einem Beitrag zum Corporate Publishing ausgelassen. In dem ging es hauptsächlich um die redaktionellen Empfehlungen von Apple im Store. Auch die geben sich den Anstrich von Journalismus, lösen diesen Anspruch meines Erachtens aber nicht ein.
Ein Etikettenschwindel
Als Journalist kann man gar nicht anders, als sich daran zu stören. Doch auch fürs Publikum ist die Sache problematisch: Wie ich am Fall Apple exemplarisch darlege, wirken solche Berichte zwar wie eine normale, seriöse Berichterstattung.
Doch beim genauen Hinschauen fallen die blinden Flecke bei der Themenwahl auf, die mangelnde Kritikfähigkeit und die fehlende Transparenz bei der Frage, an welche Vorgaben die Autoren gebunden sind. Bei uns Journalisten gibt es in dieser Sache keine Unsicherheit: Wir haben Standesregeln, an die wir uns auch dann halten, wenn nur wir hobbymässig ein wenig vor uns hinbloggen.
Im Vergleich dazu ist die Kolumne eines Schriftstellers vergleichsweise unverdächtig: Meyer schreibt nicht über Produkte, Technik oder über andere Themen, bei denen ein Interessenskonflikt auftreten könnte. Es handelt sich, so weit ich gesehen habe, um Alltagsbeobachtungen. Und ich traue ich Thomas Meyer zu, die Distanz zu wahren – sosehr, dass ich es wiederum etwas suspekt fand, dass Martin Jungfer, Head of Content bei Digitec Galaxus, diesen Punkt trotzdem explizit anspricht:
Jungfer betont, dass die Artikel und Videos der Galaxus-Redaktion unabhängig von den kommerziellen Interessen des Onlinehändlers sind.
Eine Aussage, die in dieser Form unhaltbar ist.
Ähm, Wohlfahrt ist es nicht, oder?
Denn natürlich beschäftigt Galaxus Redaktion und Kolumnisten aus kommerziellen Interessen – sonst könnte der Onlinehänder dieses Budget auch der Wohlfahrt spenden. Selbstverständlich sollen Kolumnen und Videos Leute auf die Plattform bringen, wo sie sich dann auch noch die Tagesangebote, die Rabattaktionen, die Top-10-Kategorien und all die anderen schönen Dinge, die es in einem Onlineshop so gibt, ansehen können. Was Jungfer vermutlich meinte, ist, dass es keine Umsatzvorgaben gibt. Doch das ist die Minimalforderung, um glaubwürdig zu bleiben.
Also, die eigentliche Frage an dieser Stelle ist: Warum stört es mich, dass ich diese Kolumne bei Galaxus lesen muss und nicht beispielsweise beim «Sonntagsblick», wo Meyer auch schon eine Kolumne hatte?
Es sind zwei Dinge:
Erstens finde ich die Präsentation wirklich verunglückt. Die redaktionellen Inhalte des Magazins sind bei Galaxus und Digitec lieblos in den Shop hineingewurstelt. Es gibt Aktionen rundherum, die Shop-Kategorien, das Tagesangebot. Es gibt keine Übersicht der bisherigen Kolumnen oder eine Art Dossier. Im Vergleich zu diesem Wühltisch ist jedes WordPress-Blog aufgeräumter.
Wie das Jawort im Einkaufszentrum
Und überhaupt: Das ist nicht das Umfeld, in dem ich schöne Texte lesen will. Genauso wenig, wie ich meine Hochzeit in einer Kapelle in der Shoppingmall feiern würde, obwohl das ohne Zweifel möglich wäre.
Zweitens ist es ein echtes Alarmsignal, dass die traditionellen Medien inzwischen so unattraktive Auftraggeber geworden sind, dass ein Schriftsteller wie Meyer seine Kolumne lieber für Galaxus schreibt.
Und ja, ich weiss, dass Digitec Galaxus als grösster Online-Händler der Schweiz zur Migros gehört, die seit 1942 das «Migros-Magazin» herausgibt. Das hat eine Reichweite, von der selbst grosse Medienhäuser nur träumen können: Der «stille Riese der Schweizer Medienlandschaft» (NZZ) hat eine Millionenauflage und ist der Beweis, dass Corporate Publishing weder ein neues Phänomen ist noch der Medienlandschaft wirklich geschadet hat.
Das könnte sich allerdings ändern, wenn die klassischen Titel und Kanäle weiterhin an Boden verlieren, die Medienkonzentration weiterhin fortschreitet und die Ressourcen für unabhängige Berichterstattung weiterhin schwinden.
In einer verarmten Medienlandschaft führt das Corporate Publishing unweigerlich zu Verzerrungen: Vor allem auch dann, wenn Medienhäuser die «Performance» eines jeden Online-Beitrags messen und sich zunehmend auf die lukrativen Themen konzentrieren. Die Corporate-Publisher sind spätestens dann in einer vorteilhaften Position, weil sie ihr Mediengeschäft nur nebenbei und nicht unbedingt gewinnbringend betreiben müssen: Da sie aber nur bedingt Kritik an sich selbst und an der eigenen Branche betreiben, wird das dazu führen, dass manche Themen ganz aus der Berichterstattung verschwinden.
Beitragsbild: Zur Kapelle geht es da hinten rechts (Demian Smit, Pexels-Lizenz).
Lieber Mr. Cllicko, lieber Matthias
Wenn ich schon so direkt angesprochen und erwähnt bin in Deinem Blog-Beitrag, will ich gerne kurz auf die ein oder andere Frage eingehen, die Du da stellst.
Zunächst einmal ganz frank und frei: Ja, Digitec und Galaxus unterhält eine Redaktion aus kommerziellen Interessen. So wie Medienhäuser auch, muss auch diese Firma am Ende Geld verdienen, um überleben oder sogar wachsen zu können. Darin ist hoffentlich nichts verwerflich.
Bei einem klassischen Medium arbeiten Journalistinnen und Journalisten auch nicht, ohne dass ihre Arbeitgeber auch wirtschaftliche Ziele verfolgen. Redaktionelle Inhalte dienen – online wie gedruckt – als Grundrauschen, damit die Vermarkter möglichst viele Print-Inserate, Online-Banner, Sponsored Contents oder Taboola-Feeds darum herum platzieren können. Und hier gilt: Was klickt, bringt Geld. Darüber hinaus haben die Medienhäuser inzwischen zum Glück auch entdeckt, dass sie langfristig vielleicht erfolgreicher sind, wenn sie Leserinnen und Leser an sich binden, die bereit sind, für guten Journalismus zu bezahlen. Ich halte diesen Journalismus für existenziell wichtig für das Funktionieren unserer Demokratie und Gesellschaft.
Welche Rolle spielt dann aber die Redaktion eines Online-Shops? Die Antwort: Wir sind überzeugt, dass guter Journalismus überall stattfinden kann. Sicher werden wir nicht Corona-Entscheide des Bundesrats kommentieren. Wenn aber aufgrund dieser Entscheidungen, Herr und Frau Schweizer im Homeoffice arbeiten, wollen wir Tipps geben, wie das am besten funktioniert. Oder allgemeiner formuliert: Menschen sind konsumierende Wesen. Rund um die Konsum-Entscheidungen öffnet sich ein breites und interessantes Themengebiet. Ich sehe keinen Grund, warum wir es allein Rand-Ressorts der etablierten Redaktionen überlassen müssten.
Ich möchte Dir gerne noch in zwei Punkten zustimmen.
Erstens sollten wir klarer kommunizieren, wie wir arbeiten. Wir arbeiten an einem Redaktionsstatut, in dem wir erklären, was wir tun und wie wir mit Abhängigkeiten umgehen bzw. vielmehr, wie es uns gelingt, uns davon freizumachen. Bisher signalisieren wir in erster Linie durch unsere Artikel, dass wir uns vor keinem Hersteller fürchten und schlechte Produkte als das bezeichnen, was sie sind: schlecht. Oder indem wir Themen aufgreifen, die «produktfern» sind. In diesen Artikeln geht es um Datenschutz, das Recycling von Elektrogeräten, um Gift in der Kleidung oder um das Fairtrade-Label beim Kaffee, das gar nicht so fair zu den Kaffeebauern ist. Kritische Produkttests und Themenwahl sind ein guter Anfang, aber noch nicht genug.
Zweitens: das Umfeld. Dein Screenshot zeigt eine Desktop-Ansicht. Damit gehörst Du zur Minderheit, weil die meisten Leserinnen und Leser unsere Artikel mobile lesen. Da fallen dann die Dich störenden Shop-Angebote weg. 😉
Damit will ich nicht ablenken davon, dass wir die Darstellung der redaktionellen Inhalte noch verbessern können und werden. Weder Aufbau und Darstellung der einzelnen Inhalte noch Struktur und Ordnung sind so, wie man das von Häusern kennt, deren Kerngeschäft Content ist. Aber wir arbeiten daran, versprochen.
Den sehr geschätzten Thomas Meyer muss und werde ich an dieser Stelle nicht verteidigen. Er hat in meinen Augen nichts Verwerfliches getan. Unsere Leserinnen und Leser schätzen seine Kolumne sehr.
Danke für Deine Kritik, die mich darin bestärkt, dass wir an den Dingen, die wir begonnen haben, weiterarbeiten. Für weitere Fragen stehe ich bei Bedarf gerne zur Verfügung.