Schoschona gegen die Hassmaschine im Internet

«Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin» ist das neue Buch von Thomas Meyer über Motti – mit einem waghalsigen Genre-Wandel vom Entwicklungsroman zur Groteske.

Wolken­bruchs wunder­liche Reise in die Arme einer Schick­se (Amazon Affiliate)  ist ein Roman, den ich seinerzeit mit viel Spass gelesen, aber nicht hier besprochen habe. Denn so amüsant und aufschlussreich das Buch von Thomas Meyer über Motti Wolkenbruchs Versuch, aus den Konventionen seiner Kultur und Religion auszubrechen auch war, so wenig hat das mit dem Blog hier zu tun.

Orangen, Reichsflugscheiben und viel absurder Humor.

Mit dem Nach­folge­werk sieht das nun anders aus. Im Buch Wolken­bruchs wag­halsi­ges Stell­dich­ein mit der Spionin (Amazon Affiliate) geht es um Dinge, die ich in diesem Blog oft thema­tisie­re: Um die sozialen Medien, den Hass im Netz und den Umgang, den wir online pflegen. Da komme ich nicht umhin, das Werk zu bebloggen – auch wenn ich das nicht vorgehabt hatte.

Da das nicht ohne Spoiler abgehen wird, hier erst mein Fazit zum Buch – damit die unter euch, die es noch lesen wollen, das tun können, bevor sie zu den weiteren Ausführungen zurückkommen. Also: Ich mag den Stil und den lockeren Ton, den Thomas Meyer auch im zweiten Teil anschlägt. Den Sprung, den der Autor zwischen dem ersten und zweiten Buch macht, muss man allerdings erst einmal verkraften.

Der erste Teil ist ein Buch über Beziehungen, eine Art Coming of Age-Geschichte. Motti war zwar schon 25. Jahre alt, was typischerweise zu alt für die Hauptfigur eines solchen Werks ist. Aber bei den engen Fesseln, die die orthodoxe jüdische Religion und Kultur ihren Kindern anlegt, dauert alles ein bisschen länger. Dieses Buch lebt von Motti, seiner Mame Judith und dem Rest der Familie – und von Laura, die nicht nur einen eindrücklichen Tuches, sondern auch andere körperliche und charakterliche Merkmale hatte, die Motti keine andere Wahl liessen, als sich ihn sie zu verlieben.

Das zweite Buch ist nun eine Groteske. Sie dreht die Probleme, die wir anständigen Menschen mit dem Internet haben, ins Absurde. Es geht um Verschwörungstheorien, um Nazis, um eine arische Mata-Hari und um Orangen, die mittels Influencertums zu einem Hit auf dem Weltmarkt werden. Und es geht darum, dass die Mutter aller Verschwörungstheorien Realität und das Weltjudentum errichtet werden soll.

Die Fortsetzung wird viele irritieren

Es gibt keinen Zweifel, dass Meyer mit dieser Fortsetzung viele Motti-Fans vor den Kopf stossen und sogar bitter enttäuschen wird. Ein Beispiel aus den Kommentaren aus Amazon:

Vom Charme und Witz des ersten Bandes ist nichts übrig geblieben. Die Geschichte ist grauenvoll konstruiert, an den Haaren herbei gezogen und gipfelt in einem mühsamen Happy End.

Ich habe mich von der Verwandlung seiner Figur nicht aus der Ruhe bringen lassen. Aber ich habe mich gefragt, ob es nicht besser gewesen wäre, die gleiche Geschichte mit anderen Protagonisten zu erzählen und die Figur von Motti von dieser Dr. Seltsam-mässigen Wendung unberührt zu lassen.

Aber es ist auch klar, dass Wolkenbruch eine eingeführte Marke ist, die mit der Verfilmung von 2018 einen neuerlichen Popularitätsschub erfahren hat – und das allein einen Grundumsatz beschert, den man mit neuen Figuren überhaupt erst einmal erreichen muss. Darum hätte ich es als Autor auch so gemacht.

Die jüdische Vereinnahmung Alexas

Ich habe auch den zweiten Teil gern gelesen und oft gelacht – und die jüdische Vereinnahmung von Amazons Alexa ist ein satirischer Meisterstreich. Trotzdem ist der erste Teil authentischer und irgendwie runder. Darum würde ich empfehlen, unbedingt erst das zu lesen, sollte man es noch nicht kennen. Das Hörbuch wird übrigens von Thomas Meyer selbst gelesen. Man hört, dass er kein Profisprecher ist. Aber er macht das mit viel Leidenschaft und Talent wett.

Also, jetzt aber zu der inhaltlichen Diskussion und den Spoilern.

Wir erfahren von Thomas Meyer, dass das Internet eine Erfindung der Nazis ist – respektive jener Neogermanen, die nach dem Zweiten Weltkrieg noch übrig geblieben und sich in einer Bergfestung in den bayerischen Alpen verschanzt haben. Sie wollen nicht von ihrer Ideologie ablassen. Sie planen einen Propagandafeldzug. Und weil sie keine Ahnung haben, wie sie das tun sollen, erfinden sie aus lauter Verzweiflung den Computer, das Internet und die Hassmaschine, die ohne Unterlass Fakenews, Verschwörungstheorien und Hasskommentare ausstösst. (Was Erinnerungen an dieses Buch wachruft.)

Warum nicht wirklich die Weltverschwörung anzetteln?

Ein kleines Grüppchen von Juden kommt seinerseits zum Schluss, dass sie genau das tun wollen, was ihnen die Verschwörungstheoretiker ständig unterstellt: Sie wollen die Weltherrschaft an sich reissen. Der Urheber dieser Idee war ein Jude, der mit seiner Familie entführt worden war und für die Neogermanen in der bayerischen Bergfestung die Reichsflugscheibe zum Fliegen gebracht – und letztlich für seine Flucht benutzt hat.

Motti wird von diesen Judenverschwörern rekrutiert, als er nach der Trennung von Laura frustriert in einem Hotel hockt und sich täglich volllaufen lässt. Die anderen Verschwörer sind wie er Juden, die von ihrer Familie verstossen wurden, weil sie sich nicht an die Regeln gehalten haben und nun in einem Kibbuz in Israel Orangen züchten.

Als der Führer dieses versprengten Grüppchens stirbt, wird Motti unversehens zum Vorsitzenden – und er hat den zündenden Gedanken. Einer der Verschwörer ist nämlich ein Programmierer bei Amazon. Er manipuliert Alexa, worauf die anfängt, ihre Nutzer mit der jüdischen Kultur vertraut zu machen. Sie empfiehlt entsprechende Restaurants und Reisen nach Israel, fügt heimlich Klezmer-Stücke zu den Wiedergabelisten ihrer Nutzer hinzu und verhält sich zunehmend wie eine typische jüdische Mame.

Die Hassmaschine hat keinen Stich

Am Schluss geraten Schoschona, wie Alexa nun inoffiziell heisst und die Hassmaschine aneinander – und Schoschona tischt ihre Opponentin gnadenlos ab. Damit ist der Hass besiegt und das Weltjudentum hat sich durchgesetzt. Es regiert zwar nicht die Welt, aber es hat dieselbige an Hummus, Matzeknödel und andere Errungenschaften der jüdischen Küche und Kultur gewöhnt – sodass man den Antisemitismus als erledigt betrachten darf.

Natürlich: Der Computer-Journi in mir hat andauernd gemurmelt, dass das leider alles nicht so einfach sei. Es ist nun einmal keine Hassmaschine, die den Hass im Internet verbreitet – respektive die Internetkrieger der Neogermanen in ihrer bayerischen Festung. Es sind die normalen Menschen von überallher, die das tun. Und die Vorurteile und Ressentiments sitzen tiefer, als dass man sie mit ein paar Alexa-Empfehlungen und leckeren Gerichten aus der Welt schaffen könnte. Aber klar: Man wird ja wohl noch träumen dürfen. Davon, dass es wirklich so einfach wäre.

Beitragsbild: Screenshot aus dem Film «Wolkenbruch» (wolkenbruch-film.ch).

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