Microsoft dreht das Rad zurück

Kommt bei Windows 10 der Vista-Look zurück? Die Verän­derungen beim Start­menü deuten darauf hin – ebenso all das Glas, die Trans­parenz und die plastischen Elemente.

Wir sind es uns gewohnt: Im Herbst gibt es von Microsoft ein Update für Windows 10. Das war auch heuer nicht anders. Das Update trägt den Codenamen 20H2 (siehe Die bizarre Zahlenmystik, die Microsoft mit Windows 10 betreibt). Es wird derzeit über die automatische Update-Funktion an die Nutzer ausgeliefert.

Ja, ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen: Es gibt nur wenige Neuerungen in diesem Update. Und die Hauptneuerung finde ich nicht gelungen.

Diese Hauptneuerung ist die optische Auffrischung des Startmenüs. Microsoft-Manager Brandon LeBlanc erklärt im Windows-Blog, die Kacheln seien nun «Theme-aware» – was eine extravagante Formulierung dafür ist, dass sie das für Windows gewählte Farbschema berücksichtigen.

Die Veränderungen am Startmenü beschreibt LeBlanc wie folgt:

Wir frischen das Startmenü auf und machen es stromlinienförmiger. Die einfarbigen Flächen hinter den Icons werden durch einen einheitlichen, teilweise transparenten Hintergrund ersetzt. Dieses Design schafft eine schöne Bühne für Ihre Apps, insbesondere für diejenigen, die Fluent Design-Icons verwenden, wie Office und Microsoft Edge. Auch die mitgelieferten Apps wie der Taschenrechner, Mail und Kalender haben seit Anfang Jahr neue Symbole bekommen.

An dieser Stelle ist ein kleiner Exkurs zu diesem Fluent Design angebracht.

Das Fluent Desgin als neue Bildsprache

Es handelt sich um die Bildsprache, die in Windows 10 und bei den modernen Apps Verwendung findet. Microsoft hat sie 2017 vorgestellt und bringt sie seitdem schrittweise ins System ein.

Diese sanfte Einführung ist bestimmt dem Umstand geschuldet, dass die Nutzer allzu radikale Veränderungen an der Optik nicht goutieren. Wir erinnern uns an den Aufschrei nicht nur bei Windows Vista, sondern auch bei Windows 8. Die Leute lehnten die neuen Oberflächen ab und wollten den alten Look zurück, so hässlich der auch gewesen war. Darum geht der Wandel zum Fluent Design bei Windows 10 so langsam vonstatten, dass viele Nutzer die Änderungen noch nicht einmal bemerken und sich sanft daran gewöhnen.

Das Fluent Design zeichnet sich, gemäss Wikipedia, durch fünf Schlüsselkomponenten aus: Licht, Tiefe, Bewegung, Material und Skalierung.

Das klingt nun erst einmal nach dem Sales Pitch des Gestalters, mit dem er Microsoft dieses neue Design schmackhaft gemacht hat.  Die Schlagwörter erklären aber nicht wirklich, was es konkret für die Benutzeroberfläche bedeutet. Ich versuche das einmal so zu erklären, wie ich es verstanden habe.

Natürlicher und lebensechter

Also, diese Benutzeroberfläche soll lebensechter wirken. Das Schlagwort der Bewegung steht für die diversen Animationen, mit denen Interaktionen mit dem Nutzer visualisiert werden können. Die sehen interessant aus und sorgen für Abwechslung. Aber sie helfen den Nutzern auch zu verstehen, was passiert. Wenn die Elemente einer Liste umsortiert werden, dann ist es sinnvoll, wenn man in animierter Form sieht, wie sie die Plätze tauschen.

Die Skalierung besagt, dass Apps und Elemente der Benutzeroberfläche sich flexibel und elegant an unterschiedliche Bildschirmgrössen anpassen.

Und die Materialien, das Licht und die Tiefe geben Oberflächen Textur und eine physische Dimension. Und damit steht unweigerlich eine Frage im Raum. Nämlich: Ist das Fluent Design eigentlich ein Rückschritt? Kommt mit ihm der alte Skeuomorphismus zurück?

Durch die Hintertür zurück zum Skeuomorphismus?

Wir erinnern uns: Das ist das klassische Erscheinungsbild der Software, bei dem die reale Welt am Bildschirm nachgebildet worden sind: Da haben Oberflächen metallisch geglänzt, wirkten transparent wie Glas, wie aus Plastik gemacht oder mit Holz oder Leder überzogen.

Diese Optik wurde vor ungefähr zehn Jahren als altmodisch und obsolet gebrandmarkt. Damals war das Flat Design eine eigentliche Revolution. Microsoft hat es 2010 mit Windows Phone 7 eingeführt. Mit Windows 8 kam es auf den Desktop und hat die gläserne, transparente Optik von Windows Vista abgelöst. Apple hat 2013 mit iOS 7 auf die minimalistische Bildsprache gewechselt: Die Oberfläche wurde viel abstrakter und moderner.

Und ja, das Flat Design scheint wieder auf dem Rückzug zu sein. In einem interessanten Beitrag wird das «Neuomorphismus» genannt:

Viele Menschen sind es leid, auf leblose Schriftzüge und Schaltflächen in immer gleichen, minimalistischen Designs zu schauen, daher werden wir im Jahre 2020 wieder mehr 3D-Elemente auf Webseiten und in Apps bestaunen dürfen.

Böse Zungen werden sagen, dass das auch in der Gestaltung das Rad nicht neu erfunden wird, sondern dass die so genannte Avantgarde einfach die Trends von vorgestern als neu verkauft. Daran ist etwas Wahres. Doch natürlich wird nicht einfach das flache Design ungeschehen gemacht und der frühere Look reaktiviert.

Fusion von alt und neu

Es ist vielmehr eine Fusion zwischen den abstrakteren Elementen mit den plastisch anmutenden Flächen, dem Glas und Acryl und den greifbar wirkenden Elementen.

Und damit sind wir bei den Neuerungen des Windows-Updates 20H2: Es verleiht dem Startmenü eine leichte Transparenz und bringt die Kacheln – das eigentliche Markenzeichen von Windows 8 – fast zum Verschwinden. Persönlich finde ich das neue Startmenü im Vergleich zum Vorgänger etwas gar grau und langweilig – und darum kein sonderlich gutes Beispiel für das Fluent Design.

Aber im Video erkläre ich, wie man diesen Effekt abmildert. Es gibt ausserdem weitere Tipps zum Herbst-2020-Update – und ein Fazit zu fünf Jahren Windows 10. Denn 20H2 ist eigentlich auch ein Jubiläums-Update, auch wenn man ihm das nicht so richtig anmerken mag.

Unsere Bilanz nach fünf Jahren Windows 10

Beitragsbild: Ganz so schlimm ist es nun auch wieder nicht (Amos Bar-Zeev, Unsplash-Lizenz).

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