Ein atemloses Lesevergnügen

Eine bezaubernde Trilogie von Andreas Eschbach über die Abenteuer von Saha, einer aussergewöhnlichen jungen Frau mit einem besonderen Bezug zum Wasser und den Tiefen des Meeres: Aquamarin, Submarin und Ultramarin.

Die x-Out-Trilogie von Andreas Eschbach (Mark Zuckerbergs feuchter Traum) richtet sich an Jugendliche. Deswegen hat man als Erwachsener vielleicht den Impuls, einen Bogen darum herumzumachen.

Doch ich hatte meinen Spass mit der Geschichte von Serenity und Christopher. Und darum habe ich mich an Eschbachs Trilogie herangewagt, bei der die Hürden noch etwas höher liegen. Die Hauptfigur ist Saha, ein 16-jähriges Mädchen. Und eine Identifikationsfigur für jene Leserinnengruppe, mit der ich mich nicht unbedingt identifizieren würde.

Trotzdem habe ich mich an die x-Marin-Trilogie herangewagt und es nicht bereut. Aber nach diversen Eschbach-Büchern vertraue ich darauf, dass der Autor so viel aus seinen Figuren und dem Stoff herausholt, dass ich meinen Spass habe, selbst wenn ich nicht das Zielpublikum bin.

Also, diese Trilogie hat, wie es sich für eine Trilogie gehört, drei Bände: Aquamarin (2015, Amazon Affiliate), «Submarin» (2017, Amazon Affiliate) und «Ultramarin» (2019, Amazon Affiliate). Es gibt sie als Hörbücher, die jeweils von Maximiliane Häcke gelesen werden.

Zugegeben: Der Nerdfaktor dieser drei Titel ist auf den ersten Blick niedrig. Aber es gibt ihn. Und wenn man genau hinsieht, dann ist diese Trilogie eine Sciencefiction-Geschichte im eigentlichen Sinn:

Tablets gehören zur Grundausstattung, eine gute Internetverbindung auch

Aquamarin: Saha kommt ihrem Geheimnis auf die Spur.

Die Geschichte spielt in der etwas ferneren Zukunft (2151). Der technologische Fortschritt ist spürbar. Tablets mit mobilem Internet sind für Saha Leeds eine Selbstverständlichkeit. Die virtuelle Realität ist im Alltag angekommen. Überfüllte Städte wie Hongkong werden mit simulierten Versatzstücken verschönert und auf diese Weise für die Bewohner erträglich.

Und die Gentechnik hat spürbare Auswirkungen im Leben der Menschen – und in dem der Hauptfigur. Saha merkt sie an sich selbst. Sie hat Verletzungen an ihrem Oberkörper, die nicht heilen wollen und die nicht ganz unbeteiligt daran sind, dass sie eine Aussenseiterin ist. Im Verlauf des ersten Bandes merkt Saha, dass es keine Verletzungen sind – sondern die Folge eines gentechnischen Experiments, das vor Hundert Jahren stattgefunden hat.

Das bringt Saha und ihre Ziehmutter Mildred in eine ungemütliche Lage. Seahaven, wo Saha und ihre Tante Mildred wohnen, gehört zur grössten neotraditionalistischen Zone Australiens.

Die Gentechnikverweigerer hocken in ihrer eigenen Zone

Submarin: Saha lebt mit den Submarines.

Dort wird die Gentechnik als problematische Angelegenheit betrachtet. Sie wird geduldet, wenn es um die Behandlung schwerer Erbkrankheiten geht. Aber alles darüber hinaus ist verpönt. Bewohner mit besonderen Fähigkeiten müssen mit der Verbannung rechnen, wenn deren Eltern mit Eingriffen ins Erbgut nachgeholfen haben. Denn der Neotraditionalismus schreibt vor, dass die Technik dem Menschen dienen soll. Jeglicher Technikeinsatz, der den Menschen Untertan machen könnte, wird gesetzlich und ideologisch bekämpft.

Saha versucht, ihr Geheimnis zu wahren. Aber natürlich bringen es die dramatischen Wendungen einer solchen Geschichte mit sich, dass es gerade deswegen ans Licht kommt. Saha hat keine andere Wahl, als sich mit ihren besonderen Fähigkeiten auseinanderzusetzen. Im zweiten Teil der Trilogie lernt sie die Welt kennen, aus der sie stammt. Und im dritten Teil wird sie zur Mittlerin zwischen ihresgleichen und den Menschen ohne ihre Fähigkeit.

Ultramarin: Saha wird zur Mittlerin.

Ist diese Geschichte nun Sciencefiction und damit Nerdliteratur im eigentlichen Sinn – oder ist sie es nicht? Eschbach macht das, was er häufig tut: Er nutzt sein futuristisches Setting beiläufig. Niemand im Buch macht ein Aufhebens darum. Es ist für alle selbstverständlich.

Saha und ihr einziger Verbündeter, Pigrot Bonner, haben auch ganz andere Sorgen, als sich um die Features der neuesten Tablet (die sogenannten Tafeln, die es inzwischen tatsächlich auch an die Schulen geschafft haben), Gedanken zu machen. Das kann für die Nerds unter Leserinnen etwas enttäuschend sein – weil die sich für die Spezifikationen und die Features im Detail interessieren würden. Aber für die meisten Leser ist das egal.

Science-Fiction für Leute, die kein Science-Fiction mögen

Und man kann es auch so sehen: Eine Sciencefiction zeichnet sich dadurch aus, dass sie auch von Leuten gelesen wird, die gar keine Sciencefiction mögen. Nach diesem Massstab ist das eine gute Trilogie. Etwas flapsig könnte man auch sagen: ein atemloses Lesevergnügen!

Also: Wer Sciencefiction mag oder nicht mag, sollte diese Geschichte lesen. Man muss sich auf die Gedankenwelt eines 16-jährigen Mädchens einlassen können, selbst wenn die von einem mittelalterlichen Mann erfunden worden ist – da ich kein 16-jähriges Mädchen bin, kann ich nicht beurteilen, wie gut das gelungen ist.

Das Thema der Trilogie – das ich aus Spoilervermeidungsgründen nicht erwähnt habe, das sich aber anhand der Titel der Bücher erschliessen lässt – ist zwar nicht ganz so mädchenhaft wie Ponys und Einhörner. Aber es ist ein literarisches Topos. Und wenn man sich von Geschlechter-Stereotypen nicht abschrecken lässt, dann hat man auch als Mann an den leicht magisch angehauchten Szenen seine Freude.

Bei Eschbach nimmt der Kitsch nie Überhand

Denn eben: Das Buch stammt von Andreas Eschbach. Der Mann ist ein Garant dafür, dass es nicht kitschig, disneyhaft und überzogen emotional wird. Das heisst natürlich nicht, dass er es nicht beherrschen würde, Gefühle zu evozieren. Und das tut er: Die eine Szene, in der Mitte des zweiten Buchs, bei der Lacht-immer zu Lacht-nicht-mehr wird – die war das Traurigste, was ich je gelesen habe.

Soweit mein Fazit. Hier noch etwas mehr zum Inhalt, jetzt aber mit Spoilern:

Wie man als Leser schon bald ahnt: Die seltsamen Schnitte an der Seite von Sahas Oberkörper sind Kiemen. Sie ist eine Meerjungfrau: Eine Art moderne Nixe, aber selbstverständlich ohne Fischschwanz – der wäre schliesslich auch nicht zu verstecken gewesen. Saha stammt von einem Vater ab, dessen Vorfahren im Labor von Yeong-mo Kim gezüchtet worden sind. Dieser koreanische Biogenetiker hat vor mehr als Hundert Jahren Menschenexperimente durchgeführt. Er hat Chimären erschaffen: Mischwesen aus Mensch und Fisch.

Und wie es in solchen Fällen sowohl in der Literatur als auch in der Realität unvermeidlich ist, sind diese Wesen bei einer Polizeirazzia in die Freiheit gelangt. Sie haben sich vermehrt und bevölkern nun die Weltmeere – als eine Art submarines indigenes Volk.

Eine Chimäre

Saha ist aus einer Verbindung aus einer Luft atmenden Menschenfrau und einem Wasser atmenden submarinen Menschen hervorgegangen. Und sie kann etwas, das sonst niemand kann: Sie kann in beiden Welten leben und sowohl unter als auch über Wasser atmen. Am Anfang der Geschichte weiss sie das jedoch noch nicht. Sie getraut sich nicht ins Wasser, wird von ihren Mitschülern geschnitten und gemobbt. Und sie fühlt sich als Aussenseiterin. Ohne dass sie versteht warum.

Doch wie zuvor erwähnt: Das bleibt nicht so. Halb freiwillig, halb gezwungenermassen kommt sie ihrem Schicksal auf die Spur und ihr Geheimnis ans Licht. Bei einem grossen Stadtfest rettet sie Jon Brenshaw, einen Schulkollegen, vor dem Ertrinken. Der gehörte zu ihren Peinigern, doch er ringt sich durch, seine Meinung zu ändern. Eine Heldin ist Saha trotzdem nicht – weil die ganze Stadt von ihrer ungewöhnlichen Fähigkeit Notiz genommen hat, ist sie in Schwierigkeiten.

Nun erfährt Saha von den Submarines: Dem im Meer lebenden Volk der Wassermenschen. Die haben an Land Freunde und Beschützer. Doch auch Feinde. Etwa den Industriellen James Thawte. Er duldet keine Menschen unter Wasser, die er als Konkurrenz wahrnimmt. Er plant einen Genozid an den Submarines: Sie sollen mit einem gentechnisch hergestellten Virus ausgerottet werden.

Der Menschenversuch wird vereitelt

Diese Experimente können Saha und ihre Freunde vereiteln. Sie befreien Schwimmt-schnell, an dem das Virus hätte getestet werden sollen. Und Saha begibt sich zu den Submarines, wo sie einen Grossteil des zweiten Buchs verbringt. Auf der Suche nach ihrem Vater lernt sie dessen Welt näher kennen. Sie wandert mit einem Stamm durch die Unterwelt des Atlantiks, lernt auf dem Walen reiten und stellt fest, dass es unterschiedliche Stämme gibt.

Der Stamm der Graureiter ist grösser, besser ausgestattet und ambitionierter als die anderen. Er wird von einem König geführt. Dieser heisst Hohe-Stirn, und er ist nicht so genügsam wie die meisten seiner Art. Er will den Krieg gegen die Luftatmer – und er benutzt Saha als Instrument für seinen Kampf, der mit Unterwasser-Sabotage beginnt.

Ende des zweiten Teils beschliesst Saha, die Existenz der Submarines vor der Welt zu enthüllen: Es geht nicht anders, weil die Feinde der Submarines an Land auf die Provokation von Hohe-Stirn eingestiegen sind und ihrerseits nun Krieg führen. Um die Submarines zu beschützen, muss die Menschheit von diesem Kampf erfahren.

Im dritten Teil kommt Saha mit Sechs-Finger, alias Léon Farnsworth zusammen, der einerseits der Adoptivsohn von Hohe-Stirn ist und andererseits ein Mischling wie sie. Sie wird zur Mittlerin zwischen den zwei Welten. Sie sorgt für den Dialog von Luftatmern und Submarines. Und wie es nicht anders sein kann, gerät sie dadurch selbst zwischen die Fronten.

Der aussichtslose Kampf gegen die Menschheit

Hohe-Stirn sagt den Menschen den Kampf an. Dazu will er das in einem Bunker in der Tiefsee gespeicherte Kohlendioxid freisetzen. Das CO₂ wurde der Atmosphäre entzogen, um die Klimaerwärmung zu stoppen. Wenn es auf einen Schlag freigesetzt würde, dann hätte fatale Folgen fürs Weltklima. Dass diese Guerilla-Aktion auch den Lebewesen im Wasser schaden würde, ist ihm egal – oder er nimmt es in Kauf.

Für seinen Kampf instrumentalisiert der König der Unterwassermenschen einen schwerreichen Luftmenschen. Der Milliardär Anil Mohan Mahajan soll ihm einerseits das U-Boot zur Verfügung stellen, mit dem er die Bunker mit dem gespeicherten Kohlendioxid aufknackt. Und andererseits muss er ihm Saha ausliefern. Die hat er seit Band zwei auf dem Kicker, wo er sie schon einmal aus dem Weg räumen wollte – weil Saha nicht so willfährig war, wie er es sich erhofft hatte.

Ein vierter Teil, Herr Eschbach?

Natürlich gibt es ein Happy End: Saha sabotiert, zusammen mit dem lang gesuchten Vater, die waghalsige Aktion in der Tiefsee. Hohe-Stirn kommt ums Leben und ihr Freund, der Kronprinz Sechs-Finger, wird König der Wasseratmer. Er plant längerfristig die Abschaffung der submarinen Aristokratie – und kommt trotz seiner Verpflichtungen für seinen Stamm auch den Pflichten als Freund Sahas nach. Ein schönes Ende für die Trilogie. Obwohl ich auch einen vierten Teil gerne gelesen hätte.

Aber der kann noch kommen. Auf der Suche nach den Lichtmenschen vielleicht, Herr Eschbach?

Beitragsbild: Pixabay/Pexels, Pexels-Lizenz

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