Apple, nimm dir mal Microsoft als Vorbild!

Wie lässt sich Fort­schritt bewerk­stel­ligen, ohne die Nutzer vor den Kopf zu stos­sen? Microsoft, Apple und Adobe haben unter­schied­liche Ansätze und aus­ge­rech­net Apple hat sich mit der Fotos-App einen ge­wal­tigen Schnitzer ge­leistet.

Um weiterzukommen, muss man auch alte Zöpfe abschneiden. Das ist eine Binsenweisheit, die ich oft gepredigt habe. Wenn sich Leute an ihren Gewohnheiten und den alt gedienten Produkten festklammern, dann geht nichts vorwärts¹. Windows XP ist so ein Beispiel. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte das Microsoft schon zum Erscheinen von Windows 7 einstellen können. Also Ende 2009 und nicht erst im April 2014.

Kooperiert bestens mit seinem Desktop-Gegenstück.

Es kommt allerdings auch vor, dass in Sachen Fortschritt übers Ziel hinausgeschossen wird. Als Steven Sinofsky mit seinem «Touch first»-Ansatz in Windows 8 die «User Experience» von Windows komplett umgekrempelt hat, da hat er den Nutzern ganz offensichtlich zu viel zugemutet. Adobe hat den Creative Suite-Nutzern mit der Creative Cloud ein Mietmodell um die Ohren gehauen, dass denen Hören und Sehen verging.

Und jetzt ist Apple drauf und dran, mit der Fotos-App die Nutzer zu verprellen. Ich habe letzte Woche im Beitrag Apples Fehlschuss in die Cloud einen Verriss dieser App geschrieben. Darauf gab es einige Reaktionen. Einige Apple-Fanboys und -girls haben erwähnt, man könne die App schliesslich auch ohne iCloud betreiben.

Schrott, Dreck

In meinem Umkreis wurde die App andererseits durchs Band weg ablehnend beurteilt. Unter anderem sind Attribute wie «Schrott» und «Dreck» gefallen. Ich vermute, dass ich Adobe über neue Lightroom-Kunden freuen darf. Andere werden wohl versuchen, so lange als möglich mit iPhoto auszuharren – in der Hoffnung, dass Apple vielleicht doch ein Einsehen hat.

Und auch wenn noch nicht bewiesen ist, dass die Fotos-App ein Debakel werden wird, so lassen sich doch folgende Erkenntnisse festhalten:

  • Den Nutzern darf eine Neuerung nicht aufoktroyiert werden.
  • Eine Neuerung muss sinnvoll sein.
  • Es braucht genügend Gewöhnungszeit.

Apple hat bei der Fotos-App alle drei Punkte auf eine Art und Weise ignoriert, die man nur als arrogant bezeichnen kann: Das Ende von iPhoto und Aperture wurde verkündet, noch bevor die Fotos-App überhaupt vorhanden war. Die Fotos-App ist ganz auf die Gewohnheiten und Erfahrungen der iPhone- und iPad-Nutzer ausgerichtet.

Die Leute vor den Kopf gestossen

Sie stösst die Desktop-Nutzer vor den Kopf: Ihnen nimmt man vertraute Werkzeuge weg und verlangt, dass sie eine neue Software erlernen. Von der noch nicht einmal klar ist, was sie in der fertigen Version taugt. Apple hat sich keine Mühe gegeben, die Neuerung zu erklären oder Anreize für den Umstieg zu bieten. In einem Mail an die Aperture-Nutzer heisst es:

Wenn die Fotos App für OS X in diesem Frühjahr auf den Markt kommt, wird Aperture nicht mehr zum Kauf im Mac App Store angeboten. Aperture kann weiterhin unter OS X Yosemite verwendet werden, es ist aber nicht mehr möglich, zusätzliche Kopien der App zu kaufen.

Vorhandene Aperture-Mediatheken lassen sich einschliesslich aller Fotos, Anpassungen, Alben und Schlagwörter für die Fotos App für OS X migrieren. Nach der Migration bleibt die Aperture Mediathek intakt. Da Aperture und die Fotos App keine einheitliche Mediathek verwenden, werden nach der Migration vorgenommene Änderungen nicht in beiden Apps bereitgestellt. (…)

«Vielen Dank für die Verwendung von Aperture. Wir hoffen, dass dir die neue Fotos App für OS X gefallen wird.»

Und warum das? Wegen der iCloud Photo Library, die längst nicht alle haben wollen. Dass das nicht gut ankommt, sollte eigentlich niemanden wundern.

Müssen Maus- und Touch-Apps näher zusammenrücken?

Bleibt die Frage: Soll man Software für den mit Maus und Tastatur gesteuerten Desktop und für die Touch-Mobilgeräte harmonisieren? Es ist sicherlich sinnvoll, sie näher zusammenzuführen. Der Austausch von Dokumenten muss einfach gewährleistet sein, ohne dass sich Formatierungs- oder Kompatibilitätsprobleme auftun.

Es ist sinnvoll, dafür die Cloud heranzuziehen. Ein (realer oder vermeintlicher) Cloud-Zwang andererseits ist ganz schlecht – und meines Erachtens sollte der Nutzer auch die Wahlmöglichkeit haben, welche Cloud er verwenden darf.

Es hilft, wenn die Programme auf den verschiedenen Plattformen die gleichen Dateiformate nutzen. Bei der Bedienung muss den Unterschieden Rechnung getragen werden: So wenig, wie man eine auf die Maussteuerung ausgelegte Software mit dem Finger bedienen will, so toll ist es, wenn man an seinem grossen Bürobildschirm eine auf die Gestensteuerung ausgerichtete Oberfläche vor der Nase hat. Die mobilen Apps dürfen bzw. sollen einfacher gehalten sein und nur einen Teil der Funktionen aufweisen.

Bei Office ist Microsoft Vorbild

Ein gutes Beispiel IMHO ist Microsoft mit Office. Die Mobil-Apps bieten die Funktion, die für grundlegende Arbeiten am Tablet oder Smartphone nötig sind. Eigenschaften, die am Mobilgerät nicht unterstützt werden, gehen nicht verloren, wenn die Dokumente mobil bearbeitet werden. Nebst dem eigenen OneDrive unterstützt Microsoft auch Drobox, Box und iCloud. Die Desktop- und Mobil-Apps sind sich ähnlich, aber nicht zwangsweise gleichgeschaltet. Und niemand wird gezwungen, langjährige Kenntnisse aufzugeben und etwas Neues zu lernen…²

Fussnoten

1) An dieser Stelle tut sich die Frage auf, ob Fortschritt eigentlich immer weitergehen muss oder ob es einen Endpunkt gibt. Auf Produkte umgemünzt, kommt man zum Schluss, dass es durchaus Dinge gibt, die man als ausgereift ansehen kann – und dass es reine umsatzgetriebene Zwängerei ist, wenn an diesen eigentlich nicht mehr verbesserungsfähigen Dingen weiter herumgefrickelt wird.

Allerdings bin ich der dezidierten Ansicht, dass es im Bereich der ITC-Technologie noch längst nicht so weit ist. Da habe ich einen gewissen Eigennutz, weil mir, wenn ich das Ende der Fahnenstange verkünden müsste, die journalistischen Themen fehlen würden. Aber ich selbst bei «reifen» Produkten wie Photoshop oder Word haben die Hersteller bezüglich Leistung, Stabilität und Benutzerfreundlichkeit längst noch nicht das Maximum herausgeholt.

Darum will ich mich bei dieser philosophischen Frage nicht verzetteln, sondern festhalten, dass es zwar Produkte gibt, die so gut sind, dass man die Entwicklung stark verlangsamen könnte – aber dass der Mensch sich nicht damit begnügen sollte, an Ort zu treten. Ein bisschen was geht immer!

2) Obwohl ich Adobe oben im Beitrag gescholten habe, hätte sich Apple ein Beispiel an Lightroom und Photoshop Elements nehmen können. Adobe hat nämlich, genauso wie Microsoft, eine vernünftige Dopelstrategie herausgearbeitet. Lightroom führt vor, wie man die Cloud-Synchronisation von Bildersammlungen aufgleist, sodass der Benutzer die Wahlfreiheit hat und auch nur einen Teil seiner Bilder abgleichen kann – beschrieben im Beitrag Das Lightrümchen fürs Tablet.

Photoshop Elements wiederum zeigt, den Anwendern mit unterschiedlichen Ansprüchen ihre eigenen Zugangsmöglichkeiten bieten kann. Elements bietet die Modi Schnell, Assistent und Experte. Im ersten Modus gibt es alle die automatischen Funktionen – die könnten bei einer analogen Umsetzung in der Fotos-App genauso funktionieren wie Werkzeuge in der iPhone-/iPad-Fotos-App. Im Modus Experte sind komplexe Bearbeitungen möglich – auf die Fotos-App adaptiert, liessen sich hier die alten Werkzeuge aus iPhoto bzw. Aperture unterbringen.

Das ist nicht sonderlich elegant. Aber es nimmt dem Nutzer nichts weg, sondern überlässt ihm die Entscheidung, wie er am liebsten arbeitet.

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