Ich hatte letzte Woche Gelegenheit, eine Lichtfeldkamera zu testen. Sie ist offiziell nach wie vor nur in den USA erhältlich, aber die findigen Einkäufer bei Digitec haben Mittel und Wege gefunden, die famose Kamera von Lytro in die Schweiz zu bringen (hier erhältlich). Meine Besprechung ist heute im Tagi erschienen.
Ich hatte beim Spielen mit der Kamera eine Art Erleuchtungserlebnis. Dass der Fokuspunkt nicht im Bild festgefroren ist, sondern nachträglich verändert werden kann, widerspricht jeglicher fotografischer Erfahrung. Doch schon auf dem winzig kleinen Bildschirm, das am einen quadratischen Ende der würfelförmigen Kamera sitzt, kann man mit einem Tippen des Fingers den Fokuspunkt verstellen. Da ist aufgrund der geringen Auflösung des Displays nicht wahnsinnig viel zu erkennen. Doch man sieht genug, um festzustellen, dass es funktioniert – und das ist ein echter Gänsehautmoment. Als Gadget-Freak und Technik-verliebter Mensch sagt man sich: Das ist zwar noch nicht das Holodeck, aber ein kleiner Schritt in die richtige Richtung.
Der erste Vertreter einer neuen Art
Die Kamera selbst ist solide gebaut, aber offensichtlich der erste Vertreter einer neuen Art. Sie liegt nicht so gut in der Hand wie das Modell eines Herstellers, der seit 50 Jahren Kameras baut und auch das Touch-Feld, über das man das Zoom steuert, ist nicht unbedingt optimal platziert und reagiert manchmal etwas träge. Und wie erwähnt: Das Display ist, verglichen mit herkömmlichen Kameras von Nikon, Canon oder Samsung, klein und grob aufgelöst. Das Gleiche gilt für die Software, mit der man die Bilder am Computer betrachtet: Sie erfüllt ihren Zweck, hält aber nur die allernötigsten Funktionen bereit.
Wir sind Zeuge wie eine neue Foto-Disziplin das Licht der Welt erblickt. Die Lichtfeldfotografie ist etwas für Pioniere. Es ist nämlich überhaupt nicht so, dass man mit der Kamera von Lytro wie gewohnt arbeiten könnte, einfach, ohne dass man sich um die Fokussierung foutieren muss. Nein. Die Kamera hat eine fixe Blende von f/2 und sie wählt die Belichtungszeit automatisch. Es gibt keine ISO-Einstellung und als besonders lichtstark kann man die Kamera auch nicht bezeichnen. Man verwackelt die Fotos relativ leicht und Bewegungsunschärfe kann natürlich auch das Lichtfeld nicht ausbügeln, wie bei einigen meiner Testbilder ersichtlich ist.
Viele Restriktionen
Sie stellt keine manuelle Belichtungsmöglichkeit zur Verfügung. Man kann Belichtung und Weissabgleich zwar etwas steuern, indem man einen Punkt auf dem Bildschirm antippt, an dem sich die Kamera orientiert, aber das ist auch schon alles. Die Kamera verwendet das (für die nicht mit Grossformatkameras arbeitenden Fotografen ungewohnte) quadratische Bildformat.
Es gibt kein RAW-Format und keine Bearbeitungsmöglichkeit. Denn natürlich beherrschen weder Photoshop noch iPhoto das Lichtfeld-Format und in der Lytro-Software kann man am fertigen Bild gar nichts ändern. Man kann die Fotos zwar als JPG exportieren und hat dann die üblichen Bearbeitungsmöglichkeiten zur Verfügung, aber der Fokuspunkt ist dann natürlich fixiert. Und eben: Die Auflösung von 1080 Pixeln pro Kante ist nicht der Rede wert, verglichen mit den 16- oder 35-Megapixel-Brocken, die aus modernen Spiegelreflexkameras herausfallen.
Das heisst: Für die allermeisten fotografischen Aufgaben eignet sich die Lichtfeldkamera bislang nicht oder jedenfalls nicht so gut wie die Spiegelreflex, die Kompaktkamera oder die Handycam. Man muss sich in der Lichtfeldfotografie die Motive suchen, die sich eignen: Makro-Welten oder überraschende Kombinationen von Vorder-, Mittel- und Hintergrund. Auch mit Spiegelungen und Reflexionen kann man wunderbar arbeiten.
Die Kamera könnte auch von Filmemachern eingesetzt werden, die aus einem Lichtfeld-Bild eine kurze Filmsequenz generieren, bei der der Fokus von einem Bildelement auf ein anderes springt. Die Möglichkeit, einen Fokuspull zu definieren und als Film auszugeben, fehlt in der Software bis jetzt. Ebenso die Möglichkeit, ein durchgängig scharfes Foto zu exportieren. Eine solche «All in focus»-Funktion soll kommen, existiert bislang aber nicht.
Die Lichtfeldfotografie ist vorerst nur etwas für Pioniere – für Leute, die auch Zeitraffer-Filme basteln, mit einem Fischaugen-Objektiv experimentieren und sich Geld für ein Tilt-Shift-Objektiv vom Mund absparen. Aber ich bin sehr gespannt, was die so alles mit den Lichtfeldern anstellen werden!