Rotes Warndreieck am Strassenrand vor einer Kurve auf einer ländlichen Strasse, umgeben von Bäumen und Gebüsch.

Wie ein am Strassenrand verreckter Tesla

Eine harte, aber total be­rech­tig­te Ti­ra­de: Wa­rum sich Web­de­sig­ner als «Hu­ren­söhne», «Voll­pfosten» und «Ma­so­chis­ten» be­schim­pfen las­sen müssen.

Ich habe selten eine Website gesehen, auf der mehr geflucht wird – zumindest, wenn wir die ganze Social-Media-Sphäre mit ihren oft harschen Umgangsformen einmal grosszügig ausklammern. Bei justfuckingusehtml.com steht ein weit verbreiteter Vulgärausdruck schon im Namen der Domain, und die Anrede auf der zweiten Zeile lautet «Volltrottel» (dipshit). In der gleichen Tonalität ist die ganze Abhandlung gehalten, die wir uns auch in Deutsch zu Gemüte führen dürfen. Dort heisst es dann: «Moin, du Hurensohn!»

Die Frage ist natürlich erlaubt, weswegen wir uns freiwillig würden beleidigen lassen wollen. Nun, entweder, weil wir uns nicht angesprochen fühlen. Oder aber, weil wir uns des Eindrucks nicht erwehren können, die Schmähungen zumindest im Ansatz zu verdienen. Was mich angeht: Nun, mich trifft eine Teilschuld.

Die Beleidigungen kommen nicht von ungefähr

Mit anderen Worten: Kyrylo Silin hat nicht unrecht. Es gibt Gründe, einen so harschen Ton anzuschlagen. Denn das angesprochene Problem ist riesig – annähernd so gross wie das World Wide Web.

Es geht um den Ballast, der auf vielen Websites zu finden ist. Der ist in der Tag gewaltig:

«Heise» fand im 2022 Web Almanac eine verblüffende Kennzahl, die das belegt:

Das Kapitel Page Weight untersucht den Umfang von Websites und stellt fest: Die durchschnittliche Seitengrösse steigt kontinuierlich weiter an. Die grösste gefundene Desktopwebsite ist 678 MB gross, die grösste gefundene Schriftartendatei umfasst 110 MByte.

2024 war der Trend ungebrochen; wie im Web-Almanach von 2024 im aktualisierten Kapitel Page Weight nachzulesen ist:

Die durchschnittliche Seitengrösse für eine Desktop-Seite lag im Oktober 2024 bei 2652 KB, für Mobilgeräte etwas darunter, aber immer noch bei beachtlichen 2311 KB. (…) Die durchschnittliche Desktop-Seite ist in den letzten zehn Jahren um 120 Prozent oder 1,4 MB gewachsen. Die durchschnittliche mobile Seite hat im gleichen Zeitraum einen noch deutlicheren Anstieg von 357 Prozent oder 1,8 MB verzeichnet. Dies entspricht einer Datenmenge, die mehr als einer 3,5-Zoll-Diskette entspricht.

Kleiner, robuster und funktionaler

Es ginge einfacher. Die allermeisten Websites würden hervorragend ohne Javascript funktionieren, nur mit den grundlegenden Webtechnologien HTML und CSS. Sie wären um Faktoren kleiner; in vielen Fällen einfacher zu warten, weniger fehleranfällig und womöglich sogar funktionaler:

Dieses HTML-Zeug ist der verdammte VW Golf des Webs. Der läuft auch nach Jahrzehnten noch problemlos über den TÜV, während dein überteuerter Tesla nicht mal mehr Softwareupdates bekommt und mit aufgeblähter Batterie am Strassenrand verreckt. Dein heissgeliebtes Framework erstickt gerade an seinem eigenen Hype und ist schon veraltet, bevor du überhaupt das Tutorial durch hast.

Nun, ich würde meine Website nicht mit Benzin betreiben wollen. Aber darum geht es gerade nicht. Der Anteil von Javascript liegt im Mobilbereich bei frappierenden 97,8 Prozent. Da drängt sich die Frage auf, die ich als direktes, leicht unflätiges Zitat Kyrylo Silins wiedergebe: «Warum zur Hölle verkomplizierst du alles, du masochistisches Arschloch?»

Weil keiner mehr Zeit und Musse hat

Die Antwort liegt auf der Hand: Weil es bequem ist und immer schnell gehen muss. Weil Webdesigner auch nur Menschen sind, die den neuesten Trends hinterherhecheln. Weil sich vorgefertigte Bausteine leichter rezyklieren lassen. Und natürlich wegen der Datensammelei. Der Web Almanac 2024 weist nach, dass 2024 geschlagene 92 Prozent aller Websites Elemente von Drittanbietern eingebunden haben, sei das Werbung, Analytik-Tools, Social Media, Videos oder Consent-Provider z. B. für die Cookie-Abfragen.

Womit wir bei der Selbstkritik angelangt wären: Diese Website hier gehört zu den 36 Prozent, die mit Word­press laufen. Bei diesem Content-Management-System geht es gar nicht anders, als dass ich mich von Kyrylo Silins Tirade angesprochen fühlen muss. Klar, wie meine Entschuldigung lautet: Ich mache das hier nicht beruflich. Sonst wäre natürlich alles vieeel besser!

Zwei abschliessende Punkte:

Ist das überhaupt ein Problem, wo der grösste Teil des Datenverkehrs ohnehin von Videos stammt und die meisten von uns 5G und Glasfaser nutzen? Aber ja, das ist es. Erstens hat am Handy nicht jeder eine Daten-Flatrate. Zweitens verursacht übertrieben grosser Datenverkehr einen unnötigen Energieverbrauch. Drittens gibt es nach wie vor Weltregionen, wo die User alte und leistungsschwache Geräte verwenden und (wie Deutschland) der Internetzugang so langsam ist, dass diese dicken Websites so langsam übertragen werden, dass es nervt.

Die KI als Ritter in glänzender Rüstung

Abschliessend ein Hoffnungsschimmer: Es könnte sein, dass sich die Situation bessert – dank der künstlichen Intelligenz. Die ist, wie neulich dargelegt, eine hervorragende Hilfe beim Webdesign. Gut möglich, dass sie bald so gut sein wird, dass selbst lausige Webdesigner (wie ich) in der Lage sein werden, ihre Sites nicht mit Lösungen ab Stange, sondern massgeschneidert aufzusetzen.

Beitragsbild: Der kaputte Tesla steht weiter vorn (stux, Pixabay-Lizenz).

Ein Kommentar zu «Wie ein am Strassenrand verreckter Tesla»:

  1. Wenn man externe Ressourcen über CDNs einbindet, fällt zumindest bei populären Bibliotheken wie jQuery das Datenvolumen nicht so ins Gewicht, weil die Dateien schon im Browsercache gespeichert sind. Wobei CDNs andere Nachteile (beispielsweise im Bereich Datenschutz) haben.

    Schlimmer ist der zur Ausführung der Scripts benötigte Rechenaufwand: Dass die Website einer Schweizer Tageszeitung auf einem zehnjährigen iPad nur ruckelnd dargestellt wird, ist kein Naturgesetz, sondern Bloat.

    Was mich beim Thema Webdesign aber noch mehr ärgert, ist das dauernde Betteln um Aufmerksamkeit. Wenn ich mit einem Browser ohne AdBlocker unterwegs bin, werde ich fast wahnsinnig. Zack, springt mich ein Dialog „wir und unsere 932 Partner setzen uns für den Schutz Ihrer Daten ein“ an. Kaum weggeklickt, schiebt sich von oben eine Leiste ins Bild, die mich daran erinnert, die App zu installieren. Gleichzeitig kommt von unten eine weitere Leiste mit dem Hinweis auf ein Sonderangebot. Wenig später verschiebt sich die ganze Seite nach unten, um Platz zu machen für ein grossflächiges Video mit Werbung für ein Auto. Der Schliessen-Knopf ist gut versteckt und eher klein.

    Ich bin auch etwas erstaunt, dass sich solch aufdringliche Werbung auszahlt. Wenn mir ein Video den Lesefluss stört, verbinde ich das darin gezeigte Auto nicht mit positiven Emotionen.

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