Mensch hält eine professionelle Videokamera mit Mikrofon, Nahaufnahme auf das Objektiv. Verschwommener Hintergrund.

Videoschnitt im Browser? Beim Teutates, das geht!

Capcut ist ein Video-Editor in der Cloud: Ein aus­führ­li­cher Test zeigt, in wel­chen Be­rei­chen er klas­si­schen Schnitt­pro­gram­men wie Pre­miere Pro und Final Cut eben­bür­tig ist, wo er sie über­flü­gelt und wo seine Gren­zen liegen.

Viele Anwendungen sind längst ins Web gewandert: Office, Mail, Notizen und Bildbearbeitung¹. Ob es uns gefällt oder nicht (Spoiler: Mir gefällt es nicht), die Cloud ist inzwischen das dominierende Paradigma.

Ein gallisches Dorf hat sich dieser Entwicklung bisher entgegengestellt. In Aremorica wird Videobearbeitung auf die gute alte Art betrieben, nämlich auf leistungsfähiger Hardware und mit Programmen wie Premiere Pro, Final Cut und Davinci Resolve. Doch siehe da, auch in dieser Disziplin wollen die Römer (a.k.a. die Cloudanbieter) ihren Herrschaftsanspruch durchsetzen.

Naja, zumindest für kleine, schnelle Projekte wie das Zusammenschustern eines Clips für Tiktok, Instagram oder Youtube Shorts. Kinofilme und selbst die privaten Ferienfilme werden mit Vorteil weiterhin auf die traditionelle Weise produziert. Das soll uns jedoch nicht daran hindern, einen genauen Blick auf eine dieser Video-Webapps zu werfen.

Capcut.com: Diese Anwendung gibt es auch für Windows und Mac und fürs Smartphone (iPhone und Android). Die iPhone-Variante testete ich vor zwei Jahren. Ich fand sie überambitioniert und chaotisch – aber interessant genug, um mir heute den Online-Editor anzusehen.

CapCut Benutzeroberfläche: Funktionen zur Erstellung von Videos und KI-basierten Tools. Optionen für Video, Bild, Podcast, Story und Werbung. Seitliche Navigation mit Speicher- und Vorlagenoptionen.
Die Startansicht von Capcut hinterlässt einen chaotischen Eindruck. Doch über «Neues Video» gelangen wir zum Editor.

Wie könnte es anders sein: KI-Features, wo wir nur hinschauen

Wie es nicht anders sein kann, steht der ganz im Zeichen der künstlichen Intelligenz: Die generiert auch Bilder und Voice-overs per Sprachsynthese, und sie tut als audiovisueller Gemischtwarenladen noch viele Dinge mehr, auf die ich nicht näher eingehe.

Benutzeroberfläche eines Video-Editors mit Optionen zur Konvertierung langer Videos in Kurzvideos, Auswahl von Untertitelvorlagen und Festlegung der Videodauer.
«Lange Videos in Kurzvideos konvertieren»: Diese Funktion zerlegt die Originalaufnahme automatisch in Kurzhäppchen für die sozialen Medien.

Mich interessiert erst einmal die Funktion Langes Video in Kurzvideos konvertieren (Long video to shorts): Die kürzt Videos automatisch und verwandelt sie in Social-Media-gerechte Häppchen.

Zumindest in der Theorie. In der Praxis begegne ich mehreren Hürden:

  • Mein erster Versuch mit zwei Agentur-Newsclips führt nicht zum Ziel: Diese Clips sind beide unter einer Minute lang. Die Automatikfunktion greift erst bei Clips über einer Minute.
  • Der zweite Versuch mit einem eigenen Video klappt nicht, da die Schweizerdeutsche Tonspur für Niederländisch gehalten wird. Da die Kürzung anhand des Transkripts stattfindet, erkennt die KI nicht einmal, wo ein Satz aufhört und ein neuer beginnt.
  • Beim dritten Mal klappt es: Ein Video in Hochdeutsch von gut drei Minuten Länge wird auf sinnvolle Weise in sechs Kurz-Clips von zwanzig bis 42 Sekunden aufgeteilt. Die Software konvertiert sie auf brauchbare Weise ins Hochformat und fügt Untertitel hinzu.

Falls alles passt, laden wir die Clips herunter und veröffentlichen sie ohne weitere Umstände auf Tiktok.

Sechs Videovorschauen. Links: Person spricht mit gelbem Text «KLAR ES HÄNGT». Mitte: Person vor Laptop mit «DAS LETZTE BEISPIEL». Rechts: Computerbildschirme mit Texten wie «1 UMFASSENDERES BILD».
Das Ausgangsvideo wurde automatisch in sechs Clips aufgeteilt.

Falls nicht, haben wir die Möglichkeit, den Stil der Untertitel anzupassen oder aber den Clip in den Editor zu laden. Dieser Editor steht uns auch direkt zur Verfügung, d. h., wir können mit unserem Rohmaterial ohne den Umweg über die automatische Kürzung dort starten und nach unserem Gusto schneiden. Als Erstes seien die Funktionen erwähnt, die es bei klassischen Schnittprogrammen nicht gibt, die den Produktionsprozess aber beträchtlich beschleunigen können:

Bearbeitung über Transkript

Dieses Feature kennen wir aus dem Audiobereich etwa von Descript: Wir löschen Passagen anhand der Verschriftlichung. Das funktioniert natürlich nur mit Teilsätzen oder ganzen Aussagen, wenn sich keine Sprach- oder Verständnislücken auftun. Doch wenn diese Voraussetzung gegeben ist, erfolgt die Kürzung extrem zeitsparend.

Eine Gruppe von Menschen steht um einen Schreibtisch. Ein Mann in der Mitte hält ein Dokument in die Kamera, während andere applaudieren. Untertitel weisen auf politische Themen hin.
Die Funktion «Bearbeitung über Transkript» erlaubt es, das Video anhand von Textpassagen zu schneiden.

Untertitel

Die Transkription erfolgt automatisch. Wie oben angedeutet, ist sie in Deutsch nicht über alle Zweifel erhaben. Die manuelle Korrektur ist unvermeidlich, aber sie lässt sich speditiv erledigen. Und es gibt eine Latte von animierten Untertitel-Varianten, wie man sich das von Tiktok gewöhnt ist.

Formatanpassungen (Reframing)

Screenshot eines Bildbearbeitungsprogramms. Ein Bild zeigt ein Gebäude mit einem «Planned Parenthood»-Schild. Links sind Optionen zum Zuschneiden und Stabilisieren des Bildes sichtbar.
Wenn ein Video auf ein anderes Seitenformat geändert wird, wählt die Software automatisch den passenden Ausschnitt.

Hier ändern wir das Seitenverhältnis, zum Beispiel vom Querformat auf das Tiktok-kompatible Hochformat oder für Instagram auf einen quadratischen Zuschnitt. Wenn wir einen Clip auswählen, stehen in einem Pop-up-Menü Befehle zur Verfügung, die es uns erlauben, das Video auch bei radikalen Änderungen möglichst ohne schwarze Balken einzupassen: Wir schalten zwischen Füllen und An Bildschirmgrösse anpassen um.

Mit dem Befehl Zuschneiden erscheint ein Fenster, in dem wir das Bild manuell auf die gewünschte Grösse bringen. Hier findet sich auch die Option Auto-Formatänderung. Bei der kommt ein Algorithmus zum Zug, der den Ausschnitt so anpasst, dass die wesentliche Aktivität im sichtbaren Bereich gehalten wird. Nebenbei lässt sich hier auch eine Bildstabilisierung aktivieren.

Wenn wir einen Clip über die eingangs erwähnte Long video to shorts-Funktion importiert haben, dann ist er im 19:6-Hochformat gerendert. Wir können durch das Ändern des Seitenformats die weggeschnittenen Bereiche nicht wiederherstellen, sondern müssen den Clip erneut importieren und entsprechend der Vorgabe manuell zuschneiden.

Die intelligenten Tools

Sie finden sich in der Leiste am rechten Rand. Die Option Automatisches Entfernen löscht den Hintergrund, d. h., stellt das Subjekt automatisch frei, sodass es auf einen anderen Hintergrund gepackt werden kann. Das funktioniert in meinem Test sogar mit einer Aufnahme, in der ich draussen vor einer sehr unruhigen Szenerie aufgenommen habe.

Ein Mann mit roter Krawatte spricht vor Mikrofonen. Im Hintergrund ist ein grüner Bildschirm. Ein Text am unteren Rand ist teilweise sichtbar.
Die automatische Freistellung zählt zu den «intelligent tools». Dort, wo der Reporter im Vordergrund sein Mikrofon hinhält, hat es allerdings nicht ganz geklappt.

So weit der moderne Schnickschnack. Natürlich steht und fällt ein solcher Video-Editor mit den Werkzeugen, die für die Basisarbeit notwendig sind. Zu denen folgende Beobachtungen:

Die Bearbeitungsmodule

Benutzeroberfläche einer App zeigt Körper- und Videoeffekte. Kategorien wie «Angesagt», «Pro», und «Klon» mit Vorschau-Bildern von Effekten wie Bewegung, Regenbogen und leuchtenden Linien.
Das Angebot an Effekten, Übergängen, Titeln, Elementen, Filtern, Vorlagen und Audio-Elementen ist riesig. Hier die «Körpereffekte».

Die folgenden Module sind über die Leiste am linken Rand zugänglich:

  • Medien: Diese Rubrik ist die Mediathek mit dem Rohmaterial, in der wir auch Intros und ähnliche Standardelemente ablegen. Von Capcut gelieferte Komponenten sind unter Vorlagen zu finden. Unter Elemente wiederum gibt es Stock-Videos und -Fotos sowie Sticker und animierte GIFs.
  • Audio: Dieses Modul hält ein Angebot an Hintergrundmusik, Soundeffekten und Ambient-Klängen bereit.
  • Text: Hier gibt es ein Angebot an teilweise animierten Einblendungen und Bauchbinden.
  • Übergänge: Wer seine Videos nicht hart schneiden will, findet hier eine beeindruckende Menge an Überblendungen, Kameraeffekten, bewegten oder aufwendig bzw. dreidimensional animierten Bildwechseln.
  • Effekte: Sie modifizieren den laufenden Clip farblich oder in seiner Bewegung. Auch Elemente, Licht- oder Farbspielereien und Simulationen alter Film- und Fernsehlooks gibt es hier. Eine Spezialität sind die Körpereffekte, die sich an der Silhouette der sichtbaren Personen orientieren.
  • Filter: Wie einst bei Instagram werden sie über das ganze Bild gelegt, d.h. über alle Videospuren. Sie geben den Look des finalen Videos vor.
  • Markenkits: Hier werden die Elemente wie Bilder und Videos platziert, die zur einheitlichen, wiedererkennbaren Ästhetik der eigenen Produktionen benötigt werden.

Zeitleiste

Mit den Werkzeugen teilen wir einen Clip auf, trimmen ihn am Anfang oder Ende, spiegeln ihn horizontal oder vertikal oder frieren ein Standbild ein. Wir können auch mehrere Videos in der Timeline vertikal übereinanderlegen bzw. nebeneinander anordnen.

Die Befehle zur Bearbeitung der in der Zeitleiste platzierten Clips finden sich in der Leiste am rechten Rand:

  • Einfach: In diesem Bereich haben wir die Möglichkeit, Clips über Masken zu beschneiden. Wir ändern die Deckkraft oder den Mischmodus eines Clips und bearbeiten Farbe und Belichtung über Regler oder über Kurven. Falls nötig, aktivieren wir die Optionen Stabilisieren, Bildrauschen reduzieren oder Flimmern entfernen.
  • Hintergrund: Wir passen den Hintergrund farblich an, können auch Bilder oder Grafiken platzieren und unter Animationen visuelle Effekte für den ausgewählten Clip aktivieren.
  • Bei Geschwindigkeit passen wir das Tempo des Clips an. Es lässt sich nicht nur linear ändern. Bei Kurve ist es auch möglich, den Clip zu beschleunigen oder abzubremsen. Und die Option Tonlage sorgt dafür, dass Stimmen nicht brummelig oder quietschend werden.
  • Audio: Die Tonspur eines Clips bearbeiten wir über dieses Fenster, indem wir die Lautstärke anpassen. Durch die Checkbox Geräuschreduktion können wir versuchen, akustische Störungen zu reduzieren. Und es gibt Regler, um den Clip am Anfang und/oder Ende ein- bzw. ausblenden. Bemerkenswert ist schliesslich die Rubrik Stimmänderung, die eine Menge akustischer Effekte bereithält.

Fazit: Ein Funktionsumfang, der sich sehen lassen kann

Nach diesem Test darf die Videobearbeitung im Browser als eine echte Alternative zu den bekannten Schnittprogrammen gelten: Capcut hat einen eindrücklichen Funktionsumfang, der für einfache Projekte allemal ausreicht. Das gilt sowohl für klassische Videoprojekte in 16:9, als auch für hochformatige Social-Media-Clips, die mit allerhand optischem und akustischem Schnickschnack angereichert werden wollen. Die KI-Spielereien sind derzeit natürlich ein gutes Verkaufsargument, doch ernsthafte Videoprofis dürfen sie als nette Dreingabe betrachten, die bei der herkömmlichen Arbeit nicht in die Quere kommt.

Bei meinem Test hat der Online-Editor im Browser zuverlässig mitgespielt. Was ich nicht endgültig beurteilen kann, ist die Performance bei längeren Projekten oder solchen mit vielen Spuren oder 4k-Material. Es liegt aber auf der Hand, dass bei denen ein lokaler Editor auf leistungsfähiger Hardware gegenüber der Cloud einen unbestreitbaren Vorteil hat. Premiere Pro und Final Cut sind auch weiterhin unverzichtbar, wenn mehrere Kameraperspektiven synchronisiert werden müssen oder wenn Bearbeitungen anhand von Keyframes ausgeführt werden sollen. Auch beim exakten Grading und dem sorgfältigen Audio-Mastering gebe ich den lokalen Schnittprogrammen den Vorzug – in Capcut fehlen der Kompressor und Limiter für die fertige Tonspur.

Das abschliessende Kriterium, an dem sich Capcut messen lassen muss, ist der Preis: Diese Software will für 25 Franken im Monat oder 250 Franken im Jahr abonniert werden. Angesichts der Tatsache, dass ich Final Cut seinerzeit für 300 Franken kaufen konnte, ist mir das zu teuer – aber für ein Projekt zwischendurch 25 Franken aufzuwerfen, liegt allemal drin.

Doch bevor ihr sogleich ein Abo abschliesst, noch ein Hinweis: Ich habe nebst Capcut einen zweiten Online-Editor getestet, der mir noch besser gefällt. Die Besprechung von Kapwing gibt es hier im Blog!

Fussnoten

1) Was mich angeht: Für meine Arbeit nutze ich inzwischen fast ausschliesslich den Browser. Die lokalen Programme, die gelegentlich noch zum Zug kommen, sind Photoshop für die Bildbearbeitung und Slack – wobei Letztere als Electron-App auch bloss eine verkappte Variante von Chromium darstellt. Studien zeigen, dass das in vielen Unternehmen inzwischen ähnlich ist: 22 Prozent der Unternehmen nutzen in Deutschland ausschliesslich die Private Cloud und 62 Prozent der deutschen Unternehmen wären ohne Cloud-Dienste sofort handlungsunfähig.

Beitragsbild: Nach der Anschaffung dieses Equipments reicht es leider nicht mehr fürs Premiere-Pro-Abo (Terje Sollie, Pexels-Lizenz).

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