Das Leben als Blogger ist manchmal eine Herausforderung. Vor drei Wochen habe auf Twitter ein Video angeklickt und sogleich den Drang zum Bloggen verspürt: Hach, wie sehr ich mich über dieses Video würde lustig machen können. Der Beitrag würde sich von selbst schreiben, mit Worten wie Wohlstandsverwahrlosung, weinerlichem Schneeflöckchentum und hedonistisch zelebriertem Selbstmitleid.
Zwei Sekunden später war mir bewusst, dass ich beinahe einem niederen Bloggininstinkte erlegen wäre. Sich über die Frau lustig zu machen, wäre naheliegend. Aber es wäre auch billig und überheblich. Also habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, hier wohlwollend und zugeneigt über sie zu schreiben.
Es handelt sich um dieses Video hier: Eine junge Frau beklagt sich darüber, dass sie Hunger habe und beim Einkaufen im Rewe nichts Veganes finden würde – nicht einmal Chips. Ein weiteres Video findet sich auf Youtube. Dort wird in der gleichen Tonlage reklamiert, dass ihr Freund ein ganzes Glas Pesto gefressen habe, das sie am Abend zuvor mühsam zubereitet hatte.
Wie immer bei Inhalten aus den sozialen Medien sollten wir die Möglichkeit nicht ausschliessen, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Falls ja, ist das wunderbar geschauspielert: Gebt der Frau einen Preis!
Wer im Supermarkt noch nie überfordert war, werfe den ersten Stein
Falls nein, gibt es gute Gründe für Verständnis. Zwar bin ich nicht im Detail über das Angebot an veganen Lebensmitteln im Rewe informiert und über die veganen Chips dort weiss ich schon gar nicht Bescheid. Aber es geht mir auch oft so, dass ich in dem riesigen Angebot eines Supermarkts nichts finde, das exakt zu meinen individuellen und speziellen Bedürfnissen passen würde. Und bei allem, was ich ins Körbchen lege, beschleicht mich das Gefühl, dass ich etwas Besseres übersehen habe.
Das ist kein individuelles Problem, sondern eine Folge der Multioptionsgesellschaft, die uns ständig schwierige Entscheidungen abnötigt. Zum Veganismus kann man stehen, wie man will, aber dass sich jemand dafür entscheidet, müssen wir positiv werten: Denn ein Mensch übt persönlichen Verzicht, weil ihm die Tiere und/oder das Klima am Herzen liegt. Das ist eine selbstlose Tat für die Allgemeinheit. Wenn die Allgemeinheit im Gegenzug ein bisschen Gejammer zu hören bekommt, ist das trotzdem eine faire Sache!
Wem sollen wir unser Leid denn klagen?
Natürlich sind wir uns einig, dass es nichts bringt, diese kleinen Widrigkeiten des Alltags per Tiktok oder Youtube in die Welt hinauszuposaunen. Derlei Inhalte haben fast gar keinen Nutzen. Sie appellieren an die Schadenfreude und wecken – siehe oben – niedere Blogger-Instinkte. Wenn wir krampfhaft versuchen, ihnen etwas Positives abzugewinnen, dann kommen wir vielleicht zum Schluss, dass sich andere ermutigt fühlen könnten, weil nicht nur sie mit der erschlagenden Auswahl im Supermarkt und mit den Herausforderungen einer Partnerschaft zu kämpfen haben.
Fazit: Geben wir doch einfach zu, dass uns diese sozialen Medien überfordern. Sie verlangen von uns, Privates in die Öffentlichkeit zu tragen und Content zu liefern, auch wenn wir gar nichts zu sagen haben. Da kann es passieren, dass wir der Kamera statt einem Freund oder einer Freundin unser Herz ausschütten und Häme ernten statt Mitgefühl. Statt uns deswegen gegenseitig auszulachen, sollten wir böse mit den Unternehmen sein, die uns all das aus reiner Profitgier antun.
Beitragsbild: «Bitte nicht aufs Mal auffressen» (Milivigerova, Pixabay-Lizenz).